„Perfektion erfordert Routine“
Tonteich vor etwa 20 Jahren:
„Papa! Papa! Wenn ich groß bin will ich genauso schöne Kleider nähen wie Mama es tut!“ rief das junge Mädchen mit dem braun gelockten Haar während es die Kleider betrachtete, welche den drei Puppen im Ausstellungsraum angezogen wurden. Ihr Vater räusperte sich leicht bevor er seine Tochter hochhob und auf die eigenen Schultern setzte. „Nun meine kleine Amelia, wenn du einmal so gut wie deine Mutter werden willst merke dir stets ‚Perfektion erfordert Routine‘.“ „Und das ist alles?“ fragte die kleine Amelia. „Das ist alles.“ erwiderte ihr Vater mit einem bestätigenden Nicken.
Götterfels am 81. Steckling, 1330 N.E.:
Pünktlich zur sechsten Morgenstunde erwachte Amelia Darell. Pünktlich wie jeden Morgen. Jeden Tag um zur gleichen Zeit zu erwachen war nun mal Routine für sie. Abgesehen von einem seidenen, natürlich selbstgemachten, Nachthemd, passender Wäsche und der Kette, welche ihr Dorian vor wenigen Wochen geschenkt hatte, trug sie im Bett nichts. Bei der Kette handelte es sich um eine Silberkette mit einer violetten Perle, violett wie ihre Augen. Anlass für dieses Geschenk war, dass er sie und ihre Arbeit für mehr als selbstverständlich erachtet hatte.
Fünf Minuten dauerte es bis Amelia sich in ihrem Bad befand. Fünf Minuten bis sie damit begann ihr von Natur aus gelocktes Haar unter Kontrolle zu bringen und den täglichen Waschungen nachzugehen. Eine Routine, die bis in die letzte Minute durchgeplant war.
Auf die Minute genau eine viertel Stunde nach dem der Glockenturm die siebente Stunde verlauten ließ, verließ Amelia das Badezimmer. Fünfzehn Minuten später war sie angekleidet und verließ wie jeden Dienstag das Haus um halb acht. Auch das war Routine und mancher Einer würde sicherlich die Uhr nach dieser Routine stellen.
Mit dem achten Glockenschlag erwarb Amelia die neuste Ausgabe der Zeitung ‚Schirm & Stock‘ nur um sich zehn Minuten später in einem Café niederzulassen und eine Tasse Earl Grey zu ordern. Sobald sie den Tee erhielt setzte sie ihre Hornbrille auf um die Zeitung zu studieren. Bis zu diesem Punkt war alles routiniert abgelaufen. Routine wie sie sogar in ihrem Terminplan steht:
Dienstägliche Routine:
06:00: Aufwachen
06:05: Betreten des Bads und morgendliche Waschung
07:15: Ankleiden
07:30: Haus verlassen
08:00: ‚Schirm & Stock‘ erwerben
08:10: Earl Grey im Café bestellen und ‚Schirm & Stock‘ lesen
Die Zeitung färbte sich dunkel als der Tee die Zeitung benetzte. Tatsächlich musste Amelia vor Überraschung ihren Tee ausspucken als sie las, dass sie für den Maskenball zwei Mal zwei Gewänder als Preis anfertigen musste. „Die Zeitung mit Tee bespucken sollte keine Routine werden.“ ermahnte sie sich umgehend. Einen solchen Preis bei einer Veranstaltung zuzusichern konnte nur auf Dorians Mist gewachsen sein ging es ihr durch den Kopf und die Wut begann in ihr hochzukochen. Wieder hatte er ihre Arbeit als selbstverständlich gesehen, obwohl er schwor dies nie wieder zu tun.
So schnell wie der geneigte Beobachter ihren Kopf vor Wut erröten sah, so schnell konnte er auch wieder beobachten wie Amelia seelenruhig ihren Earl Grey trank. Was dem Beobachter jedoch verborgen blieb war folgendes:
09:00: Dorian Ashcroft in den Hintern treten.
„Ja, das könnte wirklich zur Routine werden,“ dachte sie sich. „denn wie sagte Vater doch immer? ‚Perfektion erfordert Routine‘.“
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