Das Geräusch von rhythmisch aufeinander geklopften Steinen mischte sich mitten in der Nacht in die ansonsten, vom Knarren der Masten und dem leisen Glucksen der See abgesehen, ruhige Szenerie auf der Admiral Saidon. Priesterin Mavey Varik, ihres Zeichens Klerikerin des wiedergekehrten Kriegsgottes, saß mit hochernster Miene im Schneidersitz auf einer Kiste am anderen Ende des Schiffes, weit weg von den Unterkünften und zerstieß eine der unzähligen mitgebrachten Tabletten zu einem sehr feinen Pulver.
Ihr Vorhaben war in seiner vollkommen eigenen Art perfide und dennoch schaffte sie es nicht echtes Bedauern zu empfinden. Jeder Gedanke war eine Rechtfertigung, ein Schönreden der eigenen Prinzipien die sie verriet. Mit einem resignierenden schnaufen hielt sie inne, betrachtete die immer feiner werdende weiße Substanz und musste sich doch mit einem äußerlich angewiderten Blick davon abwenden.
'Du tust das einzig Richtige!'
Exakt. Sentenzar Dronon hatte alle Chancen verspielt, die sie ihm für eine einigermaßen friedliche Lösung angeboten hatte. Alle. Und nun, wo der Meister der Herausforderungen, der Herr des Feuers, wieder unter ihnen weilte und es sich bewahrheitete, dass ihr Weg ohnehin schon immer der Weitsichtigere gewesen war, gab es keinen Grund ihn noch länger zu schonen. Es musste getan werden, denn wer weder zögert, noch zurückweicht, der wird belohnt werden. Und sie hatte nicht vor zu zögern.
Gute zehn Minuten später betrachtete sie ihr Werk und griff simultan dazu nach dem extra mitgenommenen Trinkschlauch des Kriegspriesters, den sie zuvor mit frischem Wasser gefüllt hatte. Erfahrungsgemäß löste sich der Inhalt, wenn er gut zerkleinert wurde, in Flüssigkeit nahezu geschmacklos auf. Prüfend nahm sie selbst noch einen kleinen Schluck von dem Inhalt - nur nicht zu viel - und stellte alsdann den genutzen Mörser und den Stößel beiseite. Es war vollbracht und das Schicksal würde unweigerlich seinen Lauf nehmen. Sich leicht vorbeugend warf die Dunkelhaarige einen prüfenden Blick in Richtung der Schlafstätten und kletterte dann mit dem Trinkschlauch hinauf zum Steuer der Admiral, während Sentenzar den Schlaf der Ahnungslosen schlief.
"Hey Käpt'n!" - "Na, Schlomoh." - Schlomoh. Verloren. Genau so sah der Kerl auch aus. Wie ein Verlierer. Doch sein Handwerk verstand er und irgendwie konnte sie den Kerl, dem beide oberen Frontzähne fehlten, trotz aller Unterschiede gut leiden. Ihn würde sie mit Sicherheit vermissen, wenn alles vorbei war. Den Trinkschlauch an ihrem Gurt verstauend, stellte sie sich neben ihn und zog sie aus einem Beutel das silberne, verbeulte Zigarettenetui, welches sie nun schon so viele Jahre begleitete. Besser sah es nicht aus, eher schlechter nach all der Zeit , aber es war noch immer zuverlässig. Ein treuer Begleiter in guten wie in schlechten Tagen.
"Man war das heute ein Spaß, was?" Die schon etwas zitternde Stimme des alternden Seebären riss sie aus ihren - im wahrsten Sinne des Wortes - nebulösen Gedanken. Die legere Ansprache des Mannes tolerierte sie ohnehin nur, weil er eine gewisse Machtposition unter den Piraten besaß und ihr damit die ein oder andere Tür öffnen konnte. Und dennoch verzog sie missfallend das Gesicht : Dachte er wirklich, dass sie Freude empfand, wenn sie zusehen musste, wie irgendwelche Leute zur Erhaltung der Moral hier an Boot, sterben mussten? Dachte er wirklich, es wäre ihr egal, wenn ein Leben verlosch?
Leicht schüttelte sie den Kopf und zog aus dem Etui einen der extra vorbereiteten Glimmstengel hervor, die etwas dicker waren, als jene, die sie vor ihrem Mann zu rauchen pflegte. Mit einem trägen seufzen hielt sie sich das gerollte Kraut unter die Nase und zog geräuschvoll das Aroma in ihre Nase. "Das war nicht einmal ein Kampf. Ressourcenverschwendung. " - "Mhrm."
Beide verfielen für einen Moment in angenehmes Schweigen. Die aufkommende Stille wurde lediglich durch die üblichen nächtlichen Schiffsgeräusche untermalt - Geräusche, an die sich Mavey mittlerweile gewöhnt hatte. Eine Wolke schob sich vor den vollen Mond, als eine kleine Flamme aus elementarem Feuer den Tabak und das Papier des Glimmstengels entzündete und direkt nach dem ersten Lungenzug seitens der Klerikerin für einen charakteristisch süßen Duft sorgte. Lange hielt sie den Rauch in sich, dann reichte sie mit einem anbietenden Nicken den Dübel weiter. "Also ehrlich Priesterin... " begann er mit gepresster Stimme, während wieder ausatmete. "Ich meine... Käpt'n. Ich verstehe das nich." - "Was?" Sie lupfte eine Braue, konnte sich beim besten Willen nicht erklären, was er meinte und eilte sich das rauchen nicht zu vernachlässigen. Das Kraut war von guter Qualität. Brave ehemalige Novizin.
"Na, das Ganze." Er vollführte fuchtelnderweise eine umfassende Geste, die das gesamte Schiff einschloss. "Die Männer ham sich zwar schwer damit getan 'ne Frau zu akzeptieren, aber mittlerweile is die Stimmung klar auf eurer Seite. Also wenn... " - "Das klingt nach einem Angebot für einen Machtwechsel. Meuterei?" - "Aye." Der alternde Steuermann nickte mehrfach und senkte verstohlen die Stimme, während der Dübel die nächste Runde drehte. "Ich merk das doch, dass ihr nich ganz einverstanden seid mit dem was der Dronon macht. Der Angriff heute hat euch richtig gestört, isses nich so?" Langsam nickte sie, was der Mann zum Anlass nahm weiter zu sprechen. "Ja, also. Und das wird nicht besser. Ich hab eh so das Gefühl, dass wir für den nich mehr sind als Vieh. Das mag ich nich. Das mag keiner der Männer. Wir alle würden sofort hinter euch stehen. Nur ein einziges Wort dann... " - "Dann?"
Die Antwort Schlomoh's bestand aus einer Geste, bei der er mit dem Daumen über seine Kehle strich und einem dazugehörigen gurgelndem Geräusch. "Mhrm." Mavey blickte in die Ferne und zog die Brauen nachdenklich zusammen. Natürlich war die Vorstellung attraktiv endlich die alleinige Herrschaft zu besitzen und die Ketten die sie hielten abzustreifen. "Ich hab auch gesehen wie ihr da Pulver in seinen Trinkschlauch gekippt habt. War doch seiner, nich wahr? Kann das nur unterstützen, ehrlich und meine Lippen sind versiegelt. Ihr könnt mir Vertrauen, wirklich. Ich erkenne 'nen guten Käpt'n wenn ich 'n vor mir sehe. " Er wagte es in der Tat sie locker mit dem Ellebogen in die Seite zu stechen in kumpelhafter Manier. Eine Handlung die sie mit einem leicht verklärten Lächeln beantwortete. Die Droge zeigte Wirkung. "Und die Männer würden ALLE hinter mir stehen? Oder gibt's da Ausnahmen? Weisste... " In der Tat verfiel sie in früheren Löwensteiner Slang, von dem sie eigentlich geglaubt hatte, ihn längst verloren zu haben. Das Rauschkraut lockerte ihre Zunge, ihren Geist und half ihm Szenarien in Erwägung zu ziehen, die sie sonst kategorisch ablehnen würde. "... ich hab keine Lust auf böse Überraschungen. " - "Fast alle. Einigen ist es egal, aber die hätten nichts dagegen den Priester loszuwerden. Nehmen lieber ne Frau als den Spinner. Joggl, der is vollkommen gegen Euch. Aber das habta nicht von mir." Er kicherte leise und verschlagen, während er einen Finger auf seine von der Salzluft spröden Lippen legte.
Stunden später
Die Priesterin war längst fort, da endete die Schicht Schlomohs. Sein Ersatz kam nur halb so verschlafen ans Steuer, wie sonst, was den Alten allerdings nicht davon abhielt einige dumme Sprüche zu reißen. Er klopfte dem Burschen auf die Schulter und verließ seinen Platz, um sich eine Mütze schlaf zu gönnen, die längst überfällig war. 'Nur noch kurz pissen.' In seinem Alter konnte man sich nicht mehr auf die vermaledeite Blase verlassen und er hasste es noch einmal aufzustehen, wenn er gerade die optimale Schlafposition gefunden hatte. Mit leicht schwankenden Gang ging er an das Heck der Admiral Saidon, ein wenig aus der Sicht der restlichen Crew. Nach all den Jahren konnte er noch immer nicht vor anderen seine dringenden Geschäfte erledigen.
An der Reeling angekommen öffnete er die Hose und seufzte erlöst auf, als er sich nach und nach entleerte. Er hörte die Schritte, die gemächlich näher kamen und zog grummelnd die Brauen zusammen. "Bin gleich soweit, warte mal kurz" , sprach er, in der Hoffnung, wer auch immer da kam, würde sich von seinen Worten aufhalten lassen. Doch dieses Mal nicht. "Hör mal, verzieh dich, oder ich schiff dir auf die ... " Und trotzdem sich der Himmel gerade in den schönsten Farben zu zeigen begann, wurde es für den guten alten Schlomoh für immer dunkel.
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