Lieber Käfer,
ich schreibe dir heute mit betrübtem Herzen – ist das nicht eine wunderbare Formulierung?
Ich habe sie in einem Roman gelesen und wollte sie selber einmal niederschreiben.
Eigentlich ist ja alles wie immer.
Ich arbeite viel, und wenn ich nicht arbeite, bin ich zu Hause.
Irgendwie ist es schon humorig, das ich jetzt, wo du fort bist, das Leben führe das du dir damals immer gewünscht hast.
Hätte ich da schon gewusst, das es gar nicht so schlimm ist wie ich immer dachte, hätte ich deinem ewigen Drängen auf ein ruhigeres Leben vielleicht zugestimmt.
Jetzt ist es wohl zu spät.
Ein bisschen anders ist es in letzter Zeit aber doch geworden.
Die Linda, die wir eingestellt haben um die Zweigstelle in Beetletun zu besetzen, arbeitet nicht mehr für uns.
Der Grund dafür ist kein schöner: Sie hat gestohlen.
Das haben wir aufgrund von Unregelmäßigkeiten in den Büchern heraus gefunden. Ich wollte darüber gern erst einmal in Ruhe mit ihr reden, aber Liese ist da ein bisschen ungnädiger als ich. Ich bin trotzdem nach Beetletun gefahren, bevor Lieses schreckliche Rache sie hätte treffen können, aber da war Linda schon fort, und mit ihr die Hälfte unserer Waren.
Vielleicht hat sie geahnt, das sie aufgeflogen ist.
Ich frage mich, wieso Linda nie mit uns über ihre Probleme gesprochen hat. Vielleicht dachte sie, wir würden das nicht verstehen, oder wir würden sie raus werfen, wenn sie erzählt, das sie in einer Notlage steckt und dringend Geld braucht. Ich habe auch nie bemerkt das sie bedrückt wäre oder das es ihr nicht gut geht, wenn ich ihr ihren Monatslohn gebracht habe.
Und jetzt haben wir den Salat: Liese ist verärgert, ich fühle mich hintergangen, wir haben Waren in einem hohen Wert verloren den wir irgendwie ausgleichen müssen und Linda hat keine Arbeit mehr.
Ganz schön blödi.
Deshalb bin ich nun meistens in Beetletun, bis wir jemanden gefunden haben, der dort aushelfen mag.
Wir suchen aber nur halbherzig, wir müssen nämlich ein bisschen einsparen, der Salat macht sonst unsere grandiose Gewinnbilanz dieses Jahr kaputt.
Liese und ich, wir waren sehr fleißig, und wir haben dieses Jahr vermutlich das am meisten Gewinn bringende überhaupt.
Das ist total gut, ich möchte diesen Winter einiges an die Armen spenden. Der Krieg setzt den Leuten einfach viel zu sehr zu.
Kurz vor dem Herbstball ist dann auch noch etwas ganz dummes passiert.
Ich habe meine Medizin aus dem Meridian nicht mit nach Beetletun genommen, und als das allmonatliche Unglück über mich hinein brach und ich versuchte irgendwie nach Hause zu kommen kam ein Mann in den Laden und dachte ich sterbe. Der hat mich dann zu einem Heiler gebracht, aber am nächsten Morgen gings ja schon wieder gut.
Der Heiler hat gesagt, ich habe eine Frauenkrankheit. Die ist nicht so super häufig, aber fast alle Frauen, die daran leiden, können keine Kinder bekommen. Ich also wohl auch nicht.
Ich habe ganz schön viel geweint.
Eigentlich habe ich bisher gar nicht so viel darüber nachgedacht, Nachwuchs zu bekommen. Es ist ja auch niemand hier, mit dem ich ein Kind haben wollen würde.
Und ich bin auch schon ungefähr 30, vielleicht wäre es so oder so zu spät. Aber zu wissen das ich kein Leben gebären kann selbst wenn ich das möchte ist ziemlich deprimierend.
Hättest du mich geheiratet wenn du gewusst hättest, das ich kaputt bin?
Jetzt habe ich nicht nur keine Eltern, keine Familie und keinen Mann, sondern werde auch nie etwas in der Welt hinterlassen können.
Das einzige, das ich habe, ist Geld.
Das ist auch irgendwie humorig.
Weißt du noch, als wir damals arm wie die Tempelmäuse jeden Trinkgeldkupfer von unserer Wunderlampenarbeit gespart haben und uns dann abends im Schlafsaal ausgemalt haben, was für ein glückliches Leben wir führen würden, wenn wir bloß keine Geldsorgen mehr hätten?
Ich habe damals wirklich gedacht, das wir glücklich sein könnten, wenn wir bloß nicht mehr darüber nachdenken müssten, wie wir wohl über den nächsten Tag kämen. Ich habe so viel gearbeitet und mich so sehr angestrengt!
Jetzt bin ich zwar nicht reich, aber solche Sorgen habe ich nicht mehr. Trotzdem wünsche ich mich in diese Zeit zurück. Ist wohl ein Zeichen, das ich alt werde.
Aber meine Haare sind noch ganz schwarz, ganz ohne graue Strähnen!
Ich war auch trotzdem auf dem Herbstball.
'Ein bisschen Ablenkung kann ich gut gebrauchen', dachte ich mir, und ich war auch ganz schnell bezaubert von all dem Glitzer und Gefunkel und den schönen Garderoben der Anwesenden. Ich glaube, die Musik dort hat mich ein bisschen geheilt. Ich wurde wieder ganz fröhlich.
Insgeheim hatte ich ein bisschen gehofft Prinzessin spielen zu können, aber das hat nicht so gut geklappt.
Vielleicht wäre das auch was seltsam gewesen, ich bin ja gar keine fünfzehn mehr. Dafür habe ich mit Liese und mit Levi getanzt. Levi bin ich dabei auf den Fuß getreten, aber der hat bloß gelacht.
Liese ist nicht mehr mit Lük zusammen, glaube ich. Den habe ich schon ewig nicht mehr gesehen, und Liese ist mit Rosa neben das Herzlich gezogen und ganz still geworden. Noch stiller als sonst. Rosa hat mir erzählt, das ihre Mama immer wieder weint. Liese selbst spricht nicht viel darüber, und ich traue mich nicht zu fragen. Ich traue mich auch nicht, ihr zu sagen, das ich kaputt bin. Das wäre gemein, sie hat schon so viel auf ihren Schultern lasten und ist so tapfer!
Ich mag auch tapfer sein und niemandem zur Last fallen.
Ansonsten ist auch eigentlich alles wie immer.
Warte nur bis zum nächsten Brief, da erzähle ich dir von vielen schönen Dingen.
Deine Dia
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