Gewalt/Blut
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Massenmord, lebendig verbrennende Menschen, blutiger Nahkampf
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"Sie waren waschechte Seemänner. Auf dem Meer zu Hause."
Es war hellichter Morgen. Das rote Banner der Geschmiedeten wehte in einem Küstenwind, der die scharfe Brise von etwas Verbranntem in sich trug. Er hätte nicht sagen können woher sie kam, diese Brise, doch sie war da. Sie strich über ihn, läuternd und verschwefelt, zog in seine Poren. Sie füllte seinen Geist mit dem Knistern der Flammen und dem Bersten der Funken. Sie war ein Omen. Ein Omen der Wiedergeburt. Umgeben von dieser Gewissheit verkamen alle andren Gerüche zu wenig mehr als einem hintergründigen Mief, modrig und vernachlässigbar. Zu seiner Linken hatte Dean Dolyakschlächter keinen besondren Sinn für die feineren Eingebungen Balthasars. Der Quartiermeister war aschfahl angelaufen. Er schien ein Würgen kaum unterdrücken zu können. Manchmal fiel es Sentenzar Dronon allzu leicht, seinen halbtoten Geruchssinn zu vergessen. Selbst die hartgesottensten Männer waren nicht immun gegen den überwältigenden Gestank fortgeschrittener Verwesung.
"So wie ihr alle", fuhr der Priester fort, "so wie auch ich, durch meine Vorfahren."
Wenige Wochen zuvor hätten diese Worte vermutlich ein spöttisches Murren in den hinteren Reihen ausgelöst. Eins von der Sorte, in der der Tenor der Meuterei mitsang. Jetzt nickte und brummte es sich ringsum lediglich anerkennend. Die einstige Crew der Wellenbrecher, der neu geborenen Admiral Saidon, verhielt sich so zivilisiert, wie man das von Piraten nur erwarten konnte. Freilich lag das - ein Stück weit - an den beiden Freudenmädchen, deren ebenholzfarbene Gestalten aktuell in einem Hauch von unzüchtigem Nichts die Arme des zweiten und dritten Maates respektive zierten und die, wie der Dolyakschlächter immer wieder ausschweifend versicherte, ihre Anstellung im Hause Mhauod vollkommen freiwillig verlassen hatten. Es lag auch an den gesunden Wangenfarben und vollen Bäuchen der Crewleute. Es lag an dem goldenen Erweckten-Schmuck, den die Plünderer mit geckenhaftem Stolz zur Schau trugen. Und vielleicht, zu einem nicht ganz unbeträchtlichen Anteil, lag es an den großen Augen, die man machte, wann immer ein vorsichtiger Blick zu dem Geschmiedeten Kriegsmagier hinaufgeworfen wurde.
Die Piraten hatten einen gesunden Respekt vor dem Anblick von Balthasars Geschöpf, und das war recht und billig so. Für den Priester war es noch immer ein Gefühl von prickelnder, unwirklicher Andacht, in der bloßen Gegenwart dieser göttlichen Schöpfung zu verweilen. Das erlauchte Wesen schwebte auf einer kleinen Düne oberhalb der Versammlung, observierend, niemals den Boden berührend. Nicht unähnlich der grenzblasphemischen Entitäten, welche die Goldene Stadt Tarir bewohnten. Es schien im Innern unablässig zu glühen und flackern, erfüllt von niemals sterbendem Gottesfeuer. Die dunkle Rüstung, welche seine körperlose Gestalt einschloss, besaß eine makellose Brillanz die kein sterblicher Schmied jemals hätte erzielen können. Auch wenn der Geschmiedete keine Augen besaß, hatte Sentenzar Dronon unablässig das Gefühl, dass ihm aus dem geheiligten Stahl ein Starren entgegen schlug. Das Starren Balthasars, barsch und beurteilend. Der Priester starrte zurück, standhaft und hingebungsvoll, und er hatte sich im Leben nie reiner oder erfüllter gefühlt. Er konnte nicht mit Gewissheit sagen, ob er diesen leibhaftigen Wundern mit derselben Würde hätte begegnen können, wäre er unvorbereitet gewesen. Doch er hatte im Drachenberg gesehen, was er eben gesehen hatte. Es gab Nichts mehr, das ihn unvorbereitet treffen konnte. Nichts. Nichts auf Erden konnte dem Werk Balthasars entgegen stehen. Nicht die Charrlegionen. Nicht die Drachen. Und ganz gewiss nicht die Ketzer. Er war, wie er zugeben musste, noch immer verwirrt von ihrer unbeschreiblichen Vehemenz. Von dem beschämenden Ausmaß, in dem ihr Treiben in einer Menschenstadt geduldet und akzeptiert wurde. Er konnte nicht begreifen, wie tief der Verfall in diesen Landen griff. Hatten sie alle vergessen, welcher Gott in Kriegszeiten herrschte? Reichten Jokos Fänge wahrlich so weit? War die Machtgier der Untoten so verzweifelt, dass sie Diskrepanzen über die Götter selbst in den Amnooner Volksmund streuten? Die Ungeheuerlichkeit ihrer Blasphemien hätte ihm früher noch üble Herzkrämpfe eingejagt, doch sein letzter Anfall war im Drachenberg gewesen, Monate zuvor, im Angesicht der Wahrheit. Balthasars Rückkehr hatte ihn wahrhaft geheilt von aller Schwäche des Fleisches. Seine Gedanken aber kehrten beharrlich zurück zu den Häretikern, den Menschen, die er einst seine verschollenen Blutsverwandten gewähnt hätte. Er hätte es ahnen können, in Anbetracht ganzer Dörfer voll gottloser Verräter. Er hätte es wissen müssen, nachdem Jendu einfach mit Gladium Kheirus desertiert war. Sein eigener Cousin. Sein Fleisch und Blut. Maveys Träumereien hatten ihn vergessen lassen, wie unbedeutend verwandtschaftliche Bande waren. Die stärksten aller Bande werden zwischen Kriegern geschmiedet. Seine eigenen Worte. Hatte er etwa vergessen, nach ihnen zu leben? Hatten die falschen Soldaten ihn besudelt? Beide Korporale der Amnoon-Kavaliere waren keine Herausforderung gewesen. Er hatte sie vernichten wollen, doch seine heiligen Befehle standen mit der blanken Mordlust im Konflikt. Also hatte er den wortdreherischen Reiter verkrüppelt und seine Kollegin in den Staub gedroschen. Das sandte den wankelmütigen Menschen ein Zeichen, ohne dem Feind prompte Märtyrer zu liefern. Die Häretiker waren ein notwendiger Teil des heiligen Zyklus, daran hatte er keinen Zweifel. Der Ewige Konflikt konnte nicht existieren ohne den Feind von außen - und auch nicht ohne den von innen. Und doch.. die goldenen Zauber der Kavalierin. Sie hatte seine Flammen einfach getilgt, bevor sie zu Boden ging. Waren Kormirs Kräfte wahrlich ebenfalls am Werk? Konnte es sein, dass die Behauptungen einer Tempelschändung.. Der Priester schnaubte. Ihr geistiges Gift ist gerissen. Er würde bald genug Details erfahren. Es gab keine Übergriffe, die keine Feinde Balthasars zum Ziel hatten. Der Rekrutierungsauftrag würde nicht von Dauer sein, und sobald genügend Schwächlinge zu Sinnen gekommen waren, würden die Diener des Feurigen endlich frei sein, den kläglichen Rest niederzumähen.
"Käpt'n?"
Dronon blickte knurrend zu Dean und seiner vor Übelkeit erstickten Stimme. Dann auf ein kleines Meer aus erwartungsvollen Piraten- und Söldnergesichtern. Er realisierte, wie lange er geschwiegen hatte. Sie standen noch immer neben den drei Särgen im Sand, in Habacht, eingerahmt von Dünen, mit dem Rauschen des Elon und dem Kreischen der Möwen in den Ohren. Der Priester blähte die Nasenflügel, schnaubte erneut. Mittlerweile war der Gestank von Schlohmos verwestem Kadaver und die Anzahl der Schmeißfliegen wahrlich kaum mehr tolerierbar. Die andren beiden Männer stanken weniger erbärmlich. Sie waren immerhin auch erst seit zwei Tagen tot.
"Es war mein Bestreben, euch harsch zu bestrafen für die tagelange Verspätung", bekannte er, "doch die Weisheit Balthasars hat mich dazu besonnen, euch stattdessen für eure Treue zu belohnen."
Anerkennendes Raunen ging um.
"Doch zuerst - Andenken. Respekt. Ein Ritus für die Toten."
Er ließ seine Worte einen Moment ausklingen, wie er es in einer Predigt getan hätte. Stille breitete sich aus, träge aber beharrlich. Selbst die Charrsöldner schlossen sich an. Auch Halsabschneider, das wusste er sehr wohl, gedachten ihrer Verluste gern mit Anstand. Als das Schweigen vollständig war, erhob er erneut das Wort.
"Es ist Tradition im Orden des Balthasar, dass die verblichenen Krieger gemeinsam geehrt werden. Die Gefallenen sind weitab von ihren heimatlichen Gewässern, und so wollen wir ihnen hier die Ehre erweisen. Ein Spatenstich um den andren."
Dean erkannte das Stichwort und reichte den Spaten an, im Austausch den Hammer haltend. Der Priester setzte den ersten Spatenstich, schippte Sand beiseite und reichte das Werkzeug im Tausch für seine Waffe zurück. Nachdem der Dolyakschlächter die zweite Kuhle ausgehoben hatte, gab er selbst den Spaten weiter, während weiter links Swanjolf, der einzige Norn an Bord der Saidon, mit einer klobigen Schaufel die dritte platzierte. Während die Seeräuber und Mietklingen sich mehr oder minder ordentlich anstellten, um die Gräber zu vergrößern, wandte Sentenzar Dronon sich ab und stapfte hammer-krückend die Düne hinauf, den Dolyakschlächter an seiner Seite. Der kahlköpfige Quartiermeister warf einen abwägenden Blick auf den Geschmiedeten, hielt allerdings Schritt als er merkte dass der Priester nicht anhielt. Sie gingen vorüber an der mächtigen Entität und gesellten sich zu Vorlitos und Rakfih. Die Zaishen verweilten auf dem Dünenkamm, neben dem im Wind flatternden Banner. Gemeinsam blickten die Männer auf die Aushebung der Gräber hinab. Dietrich, Ergatus und die nützlicheren Individuen aus den Söldnerrängen waren landeinwärts im Feldlager, und Mavey wurde an diesem Morgen anderswo benötigt.
Bis auf eine kleine Mindestbesetzung lag die Admiral Saidon unbemannt vor Anker. Das Schiff fasste eine Crew von über hundert, und sie alle hatten sich in der ebenen, vage kreisförmigen Senke zwischen den Stranddünen versammelt. Ascalonier und Krytaner; Menschen und Charr. Zusammen. Ganz dem Zeitgeist entsprechend. Nun, da es keine Ansprache mehr zu ertragen galt, scherzte und rempelte man hier und da. Er hörte eine Piratin den Namen des Mannes loben, der sie zu so reicher Beute geführt hatte. Denselben Namen, den sie einige Zeit zuvor vielleicht noch mit Meutereigedanken ausgesprochen hätte. Ganz vorn jedoch herrschte Ruhe. Einer nach dem andren trat vor, übernahm den Spaten und schaufelte Sandboden beiseite. Nur ein einziger Pirat konnte dem Gestank nicht trotzen und kotzte von losem Gelächter bedacht in den Sand. Der Priester observierte.
Dean räusperte sich knapp. "Äh, Käpt'n.."
"..hrrn?"
"Ich wunder' mich gerade - warum eigentlich keine Verbrennung? Wär' das nicht mehr, nun... Balthasars Ding?"
Belkan Vorlitos drehte den Kopf, um den Quartiermeister anzustieren. Rakfih, ein gebürtiger Elonier, schnaubte. Sentenzar Dronon, den Hammer vor sich aufgestellt, gab keine Antwort.
Sie observierten gemeinsam die Senke, der Dolyakschlächter stirnrunzelnd und schulterzuckend. Inzwischen war der Sand um einige Handbreiten weit fortgeschippt. Einer der Männer, ein Canthanermischling mit dem Allerweltsnamen Chang, trat gerade zum vordersten Grab. Als er den Spaten in den Sand stieß, dröhnte es hohl. Chang zog die Brauen zusammen, stockte und setzte den Spaten erneut an, woraufhin der Mann hinter ihm trietzend über den Regelbruch klagte. Aber der Canthaner blinzelte bloß und stieß erneut in den Boden. Das Geräusch von Metall auf Metall ertöne. Scharrend legte der Spaten eine gravierte Fläche aus dunklem Stahl frei. Der Priester war noch immer beeindruckt, wie schnell die Geschmiedeten all dies im Schutz der Dünen errichtet hatten. Chang drehte den Kopf und blickte verwirrt zur Düne hinauf.
"Es ist Zeit.", sagte Vorlitos.
Der Geschmiedete Kriegsmagier hob seine stählernen Arme, und die Senke brach in einem Inferno aus.
Es schien beinahe, als bräuchte die Versammlung aus Halsabschneidern einen Moment, um kollektiv zu realisieren, dass sie alle lichterloh brannten. Das Kreischen begann vereinzelt und breitete sich dann jäh zu einer Kakophonie des Entsetzens aus. Röhrend und fauchend dröhnte der Lärm des Feuers über die Schreie hinweg. Gleißende Flammen schossen kreuz und quer aus dem heiligen Stahl hervor und verschlangen die Menge in einer wallenden orangeroten Flut. Es war so ohrenbetäubend, der Hitzeschwall so überwältigend, dass der Priester für die Dauer eines Herzschlages glaubte, jeden Moment in seiner Rüstung zu schmelzen. Balthasar.. Sand wurde zu Glas, Stoff bröselte zu Asche, Fleisch begann zu schmelzen, und immer noch kam das Feuer aus dem Boden. Dean Dolyakschlächter stand wie angewurzelt. Zwei Sekunden. Drei. Dann wandte er sich nach rechts. Der Priester hätte nicht sagen können, warum er mit einem ungläubigen Schrei gerechnet hatte. Stattdessen fletschte der Quartiermeister die Zähne und stürzte sich ihm entgegen, so rasend wie wortlos. Dronon warf seinen Hammer beiseite, hungrig nach Kampf. Sie prallten ineinander... dann drang bereits eine blutige Klingenspitze aus Deans Brustkorb. Unterm Gittervisier seines Helmes gab Bruder Rakfih ein enthusiastisches Grinsen zum Besten, eh er sein Großschwert ruckartig befreite. Mit beiden Händen an die Rüstung seines Gegenübers geklammert, hielt Dean Dolyakschlächter blinzelnd inne; glotzte an sich herab. Der Priester packte ihn beim Kiefer und grunzte in Ernüchterung.
"Ihr Leute. Zu denken, ich würde mich wirklich mit Piraten arrangieren. Ich."
Der Dolyakschlächter gurgelte und grabschte wild nach seinem Gesicht.
"Das hier..", er schlug die Hand beiseite, "..ist eine Belohnung!"
Er wusste nicht, ob der Pirat ihn überhaupt hörte. Er hörte sich selbst kaum. Eine erdrückende und doch befreiende Hitzewelle brandete über sie hinweg, seine Augen tränten harsch und aus Deans Mund kam nur blutiges Geblubber. Er versenkte die Faust im Gesicht seines Quartiermeisters. Der Plattenstahl drückte Nase und Oberkiefer knackend nach innen. Nutzloses Fleisch. Ein letzter Ruck, ein harter Tritt, und der Dolyakschlächter purzelte sich überschlagend die Düne hinab, Sand aufwirbelnd dem Inferno entgegen. Sentenzar Dronon atmete rasselnd. Er wischte sich salzige Flüssigkeit aus der Visage. Ein Teil davon bestand aus Blutsprenklern. Vor seinen Augen breitete sich eine Feuerhölle aus, deresgleichen er kein zweites Mal erblicken würde. Dröhnende Flammenpilze schienen in Zeitlupe himmelwärts zu wachsen, schwarze Schemen wanden sich einäschernd im gleißenden Orange, brennende Menschen rannten kreischend und um sich schlagend durch die Dünen. Ein zielloser Knall ertönte, und schwere Rauchschwaden erstickten das Sonnenlicht. Es roch scharf nach verbranntem Fleisch; Eine Brise, läuternd und verschwefelt.
Über all dem schwebte der Kriegsmagier, die Metallarme hoch erhoben. Eine glühende Sphäre hatte sich zwischen ihnen gebildet, und aus dem Feuer floss ein Strom aus transparenten Schemen darauf zu. Die Seelen der Sünder. Es war glorreich. Und verwirrend. Und schrecklich.
Dronons Blick driftete gen Küstenlinie. Die Möwen waren verschwunden, doch die Admiral Saidon lag noch vor Anker. Durch schwer flimmernde Luft erspähte er eine Gestalt an Deck. Die Gestalt einer Frau. Ihre Klinge war so rot wie der Stahl ihrer Rüstung. Sie reckte einen abgetrennten Kopf am Haar in die Höhe.
Mit einem tiefen Atemzug schloss der Balthasarpriester die Augen und ließ die Hitze in seine Lunge.
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