Lesewarnung
Partiell vulgäre Wortwahl.
Geschichte
„Adya wird noch Augen machen. Also... ich meine... ~noch~ mehr als ohnehin schon.“
Trajan stemmte den rechten Stiefel wenig manierlich gegen die Tischkante und positionierte ihn binnen weniger Herzschläge erneut unterhalb des Tisches, bevor er dazu überging, diesen Vorgang mehrmals in bestimmten Zeitintervallen zu wiederholen. Das Ergebnis fiel äußert unbefriedigend aus. Denn er wechselte seine Sitzhaltung nicht aus Gründen der Bequemlichkeit, sondern aus einem bestimmten Erkenntnisinteresse heraus. Er hoffte darauf, ein markantes Gefühl würde ihn gleich einer Epiphanie ereilen. Doch jedwede Empfindungen dieser Art bleiben aus, sodass Trajan seine Sitzhaltung wieder begradigte. Möglicherweise war er nicht ausreichend borniert, oder sein Selbstbewusstsein nicht derart von Zweifeln und Verdrängungen zerfressen, dass er derart ungehobelter Gesten zur Festigung seines Wohlbefindens oder eines illusorischen Überlegenheitsgefühls bedurfte.
Der von erhobenen Mundwinkeln untermalte Blick des Himmelblaus, wanderte über das heillose Durcheinander verschiedenster Dokumente und Manuskripte auf dem Tisch und von dort aus zurück zu Banel, der seit unbestimmter Zeit im Verkaufsraum auf- und abwanderte. Assoziationen von gefangenen Hunden drängten sich Trajan bei diesem Anblick nahezu unweigerlich auf. Doch Banel blieb angesichts seines offenkundigen Unbehagens von diesen verschont. Ein Unbehagen, von welchem er durch seinen nicht endenden Rundlauf und gelegentliche Monologe abzulenken versuchte. Offenbar mit fragwürdigem Erfolg. Banel hob zuchtmeisterlich den Zeigefinger und blickte gen des Treppenaufgangs ins Leere, bis er die Sprache erneut wiederfand.
„Weißt Du eigentlich, welchen Scheiß mir der Saftsack da allen Ernstes erzählt hat?“
Tat er nicht. Doch angesichts dieser überdurchschnittlichen Mitteilsamkeit, war Trajan sehr zuversichtlich, es binnen weniger Sekunden von seinem hündischen Vetter zu erfahren. Dass er eben diese Zuversicht nicht laut und wortwörtlich aussprach, mochte bedeuten, dass der jüngste Iorga in Götterfels durchaus in diesen Moment Mitgefühl für den kleinsten Iorga in Götterfels hegte. Es war ein eigentümliches, doch deutliches Anzeichen dafür, dass der Familienzusammenhalt in Krisenzeiten für ein jedes Mitglied als Leitnorm galt. Der Zhaitan steckte im Detail. Denn der Zusammenhalt drückte sich in Gesten aus, welche auf Außenstehende wohl ebenso winzig wie selbstverständlich wirkten, doch für die Beteiligten ungemeine Zugeständnisse bedeuteten. In Trajans Fall war dies, den stummen Zuhörer für den umtriebigen Banel zu spielen, solange sich Narcis nicht blicken ließ. Für Banel bedeutete es, der kleinen Schwuchtel nicht pausenlos die Fresse zu polieren, weil sie ihn so unablässig wie einen jener bescheuerten Kunden anlächelte, die darauf auch noch hereinfielen.
„Er hat mir angeboten nach Löwenstein zu kommen. Weil ich mich über diese ganzen, verdammten Libanez im Haus aufgeregt habe, die immer mehr werden, weil sich Revan ja fast täglich von Nicolae ficken und schwängern lässt. Das ist... weißt Du was das bedeutet?“
Trajan wusste es, doch ließ er seinem Vetter die Genugtuung, es laut auszusprechen. Ohnehin reckte der Jüngere den Hals und bemaß in diesen Momenten den istanischen Teppich hinter der Tür mit einem prüfenden Blick. Die Sorge, dass Banel seiner Wanderschaft wegen dort Fußabdrücke oder Kuhlen hinterlassen würde, überwog dann doch für die Unterschwelligkeit eines Lidschlages.
„Er hat mich ohne Rücksprache mit Lenilieb angeworben. Das kann als Regelbruch ausgelegt werden.“
Banel konnte Geheimnisse privater wie geschäftlicher Natur wohl behüten. Dennoch hielt der Kleine schlechterdings nichts von Heimlichtuerei. Insbesondere dann nicht, wenn es um die Hintergehung des eigenen Blutes ging. Problemlos und insbesondere ungefragt, teilte Banel jedem nur zu gerne seine persönliche Meinung zu seiner Person oder Sachlage mit. Lieber zählte er Helena die verschiedenen Arten und Methoden auf, wie sie sich selbst ficken könne, als sie etwas tun zu lassen, bei dem er ein schlechtes Gefühl um sie bekam. Lieber sagte er Lynn offen ins Gesicht, sie sei ein angefütterter Ganymed, dessen Existenz sich Alesha erbarmt hatte und erwürgte beinahe einen Außenstehenden für weitaus weniger schlimme Worte, als sich bei ihr lieb Kind zu machen und sie nicht aufrichtig zu lieben.
Trajan konnte Banels diesbezügliche Frustration sogar verstehen und schien selber von diesem vermeintlichen Regelbruch nicht allzu begeistert. Doch ebenso wie er vetterlichen Anteil an Banels Sorge nahm, so langweilte ihn auch Helenas vollkommene Fixierung auf Nicolae, der letzten Endes stets als graue Eminenz hinter jedem unerklärlichen Fehlschlag beschuldigt wurde. Der Jüngste zweifelte keineswegs an der Möglichkeit und Wahrscheinlichkeit dessen, doch vermutete er bei seiner Cousine einen für die Gesamtheit ungesunden, revanchistischen Charakter. Bei ihrem Verschleiß an gebrochenen Herzen und verflossenen Liebschaften, schien es nämlich ausrechnet Nicolae zu sein, welcher Helena seine Liebe und damit ihre Befriedigung verweigerte. Trajan konnte sich des Verdachts nicht erwehren, dies sei wahre Sakrileg, für welches Nicolae zu büßen hatte.
Weitaus konformer mit Banels Bestürzung ging Trajan allerdings in jenen Punkten, die Malicias Schicksal tangierten. Der Jüngere selbst erwähnte sie gegenüber dem Kleinen mit keinem Wort und wurde abgelenkt, als Banel einen weiteren Katalysator seiner Nervosität darin fand, die kleine Gänsefigur vom Tisch zu schnipsen. Trajan folgte der Flugbahn der Figur mit den Augen, erhob eine Augenbraue und ließ sein Lächeln schließlich in wohlgefälliger Heiterkeit erstrahlen, als die Gans nach einer finalen Kollision mit der Wand zu Boden stürzte.
„Diese ganze Scheiße muss ein Ende haben. Auf die eine oder andere Weise.“
Banel wiederholte sich. Sowohl in seinem Wortlaut als mutmaßlich auch in seiner fortwährenden Ideenlosigkeit, wie die eine oder andere Weise denn überhaupt aussehen könnte. Wenn es darum ging, Adrian mit Worten einzulullen oder Nicolae umzulegen, dann sahen beide Option selbst aus banellesker Perspektive unwahrscheinlich bis schwachsinnig aus. Während Banel in seinem Auf- und Abwandern schließlich dazu überging, sich sowohl physisch als auch verbal im Kreis zu drehen, unterbrach ihn Trajan auch weiterhin nicht. Stattdessen ließ er seinen Blick, auf der Suche nach einer brauchbaren Anregung, oder wenigstens einem Moment der Zerstreuung, über verschiedene Facetten des Pfandhauses schweifen.
Er erfasste den golden angehauchten Brief inmitten der Unordnung auf dem Tisch und sah von dort aus zu dem geöffneten und allmählich überquellenden Schmuckkasten, dessen jüngste Errungenschaft eine Savonnette darstelle. Das Geschenk einer Prinzessin an eine Andere, wie manch brüderlich böse Zunge wohl gescherzt hätte. Trajans Wertschätzung für dieses erhaltene Kleinod war immens gewesen, weswegen er es jedem noch so desinteressierten Kunden für einen Spottpreis feilbot. Viele Kunden ließen sich von solch geringer Raffinesse aber nicht täuschen. Wegweisend für das Bild des klugen Käufers war vielmehr jene Dame gewesen, deren Garderobe und Erscheinungsbild auf eine Anstellung im Elysium hingedeutet hatten. Von Kormir gesegnet, hatte sie hatte eine minderwertige Halskette nicht zu einem zweistelligen Wucherbetrag erwerben wollen. Viel besser - erst nachdem Trajan die Kette im Hinterzimmer kurz poliert und in eine wesentlich kunstvollere Schmuckkiste gelegt hatte, sah die schlaue Käuferin darin ein Unikat, welches ihr mehrere Goldstücke wert gewesen waren.
In dem Bewusstsein, hier in mehrfacher Hinsicht einmal aufräumen zu müssen, legte Trajan den Kopf in den Nacken und schloss kurz die Augen. Er fühlte ermattet sich angesichts der allgemeinen Profanität und Belanglosigkeit, welche im Kreis des Todes an einem offenen Abend normalerweise ihren Zenit erreichte. Diese Stadt und ihre Gesellschaft verstanden es meisterlich, Geist und Seele zu verderben. Zumindest, wenn man sich von all jenen Leuten zermürben ließ, die es schlicht und ergreifend nicht verstanden, dass sich kein Schwein für ihr Leben und ihre Person interessierte, sondern allenfalls für ihre Reputation, ihren gesellschaftlichen Status und dadurch das, was man von ihr erhalten könnte. Auf der anderen Seite verstanden verstanden es diese Hohlgebilde vielleicht doch, konnten oder wollten sich ihre eigene Leere aus Angst heraus jedoch nicht eingestehen. Daran nicht sukzessive den Verstand zu verlieren und gerade im Handelsgeschäft auch weiterhin einen Profit zu verdienen, verstand Trajan als die Reifeprüfung der kommenden Jahre.
„Was ist das hier eigentlich für ein Scheiß?“
Trajan hob den Blick, sogleich er durch die Frage auch seine Apathie überwand. Banel hatte innegehalten und stand breitbeinig sowie mit verschränkten Armen vor einem Verkaufsobjekt, welches grinsend gemustert wurde. Klammheimlich hatte der Jüngere auf diesen Moment gewartet, in welcher die Lauenhaftigkeit seines Vetters, beflügelt durch die Erkenntnis, aktuell schlichtweg handlungsunfähig zu sein, diesen einen kompletten Themen- und Stimmungswechsel vollziehen ließ. Trajan sah an ihm vorbei und nahm die nachtschwarze, ausgestopfte Großkatze in den Blick, die zwischen zwei wesentlich edler aussehenden Musikinstrumenten stand. Der Antwort ging ein abfälliges Schmunzeln voraus und die Blicke beider Iorgas erfassten die gelben Glasaugen des Tieres aus den Dschungeln Maguumas simultan.
„Eine Großkatze und gleichzeitig Kunstwerk der Taxidermie. Ich glaube, in den tropischen Gefilden nennt man sie einen Panther.“
„Und wer zum Geier kauft so einen Mist? Vielleicht der Klerus aus der Nachbarschaft, um seine Erfahrungen beim Schrankdienst zu erweitern?“
Banel kicherte hechelnd, während Trajan matt lächelte. „Der Klerus des Grenth praktiziert Nekromantie, keine nekrophile Sodomie. Wenigstens laut offizieller Stellungnahme. Was hinter hermetisch verschlossenen Türen geschieht, wollen dessen Angehörige wahrscheinlich ebenso wenig von Dir wissen wie Du von ihm.“
Banels Kichern wollte nicht verstummen, doch in letzter Instanz bemerkte Trajan, dass es nicht authentisch war. Lediglich die Facette einer Ausflucht von der Sorge, welche der Kleine aktuell für Helena hegte, die nach Löwenstein gegangen war.
„Ich glaube ich geh' mal hin und frag' die.“
Eine großartige Idee. Aus Angst, dies könnte um der Launenhaftigkeit willen sogar ernst gemeint sein, befeuerte Trajan diese jedoch nicht. „Tin hat aufrichtiges Interesse an dem Tier gezeigt.“
„Echt? Wieso? Bringt's Leyla nich' mehr, oder will der nur ein erotisches Abenteuer erleben?“
Trajan kannte zwar die Antwort darauf, zuckte aber nur mit den Schultern. Banel interessierte es ohnehin nicht, ebenso wie auch der Panther binnen Sekunden wieder aus dessen Wahrnehmung und Lebenswelt verbannt wurden. Der Kleine ergriff seinen Mantel vom Garderobenständer und war kurz darauf schon halb zur Tür hinaus.
„Ich genieß' den Rest meines freien Abends.“
Somit zog Banel ab und ging auf die Suche nach dem Erstbesten, der ihm einen schiefen Blick spendierte und sich im banellesken Weltbild damit selbst zum Abschluss freigab. Trajan hinderte ihn nicht daran. Denn es war nicht vernünftig den Unvernünftigen mit Vernunft zu begegnen. Mutmaßlich wurde der Kleine niemals von seiner Direktheit und unverblümten Wahrheitsliebe abrücken. Doch wenn Trajan überhaupt irgendein Charakteristikum an diesem pöbelnden Straßenköter schätzte, so war es dessen vehemente Beharrlichkeit, sich nicht den Spielregeln der gesellschaftlichen Doppelmoral zu unterwerfen. Denn insgeheim empfand Trajan jene Leute lächerlich, die glaubten, ihren wahren Charakter durch ein solidarisches und höfliches Auftreten kaschieren zu können. Doch ironischerweuise schien der gesellschaftliche Konsens auf sein eigenes Denken hereingefallen und der Auffassung zu sein, dass ein solches Auftreten auf einen ebenso höflichen und selbstlosen Charakter hinwies.
Und solange Trajan diesbezüglich von der Gesellschaft überstimmt wurde, gab es für ihnen keinen Grund, sich ernstliche Sorgen zu machen.
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