Der Dorftanz

Es war ein kleines Zimmer auf einem kleinen Hof und es war nicht einmal ganz das ihre. Denn sie teilte es mit dem einen, mit dem sie ihr Leben teilte vom Funken Dwaynas im Leib der Mutter bis zur Geburt und die ersten Jahre ihres Lebens. Mittlerweile ist die Zahl ihres Lebens bereits zweistellig und es gingen und kamen die Jahre ohne eine große Änderung zu bringen. Beide gingen zur Dorfschule, beide halfen auf dem Hof. Der eine ein Träumer, die andere redlich und arbeitswillig für die Eltern, immer mit dem Hauch von Überhang, weil sie glaubte eine Last zu mildern, die ihre Geburt aufgegeben hatte. Doch heute, heute sollte die Arbeit ruhen und seit Tagen, nein, Wochen freute sie sich bereits auf diesen einen Tag in der Woche.
Im nahen Neu-Lehmwald war Dorffest zu Ehren der Lyssa, ein buntes Fest mit Musik und Tanz. Robin hatte schon seit einer Weile seinen Geleit erwählt unter den hübschen Mädchen, die er allesamt mit Worten betören konnte und die doch ein wenig, nur ein wenig hinter seinem Rücken über seine ganz eigene Schusseligkeit und Träumerei schmunzelten. Tag um Tag hatte sie gewartet, sah dem Burschen, der half das Getreide einzufahren mit großen Augen entgegen, dann jenem, der das halbe Schwein abholte nach der Schlachtung und zum Metzger brachte. Oder eben jenem, den kaum jemand ansah, weil er nicht der schönste und hellste im Dorf gewesen ist. Aber sie kamen und gingen, kein Wort an sie, sie die sich aus einem alten Kleid der Mutter eines für das Fest gerichtet hatte. Eines in dem sie sich doch irgendwie ansehnlich fand, eines dass das etwas zu breite Becken schluckte, die wenige Brust betonte und so hervorbrachte. Eines in dem sie tanzen und lachen wollte.
Aber sie kamen, sie gingen, sie fragten sie nicht und allein dorthin gehen? Allein zu einem Fest? Der Abend kam und Roslyn saß unten in der Küche, die jener Wohnraum war in dem sie sich alle aufhielten. Die Tränen verdrückend, das Nähzeug raus geholt und alle alten Socken im Haus gesammelt, die den Ansatz eines Lochs hatten um sie zu flicken, nicht mehr an den Abend zu denken. Die Mutter bedachte sie mit mitfühlendem Blick, dem Vater war es gleich und jede zerschlagene Hoffnung trieb kleine Spitzen ins Herz der Stimmlosen. Stiefel hallten über die Treppe herunter, gleich kam er, der gut gelaunte, der immer ein Mädchen findende Robin Firth und das erste Mal überhaupt im Leben empfand sie Neid vom eigenen Leid getrieben. Dabei liebte sie das zweite Herzstück ihrer so sehr. Der Blick dennoch gesunken auf die gerade in den Fingern gehaltene Socke, ihn willentlich nicht ansehend, bemerkt sie erst verspätet die Blüte, die sich in ihr Sichtfeld schiebt. Verwirrt hebt sich der Blick herauf und sieht ins ähnliche männliche Ebenbild, verwundert gar? „Würdest du mich heute zum Tanz begleiten, Roslyn?“ fragt die gewohnte, gerade ein wenig im Stimmbruch hängende Stimme des Braunhaarigen und die Schwester, die kann die Tränen für den Moment nicht verbergen und nickt lediglich. Einige Herzschläge vergehen, dann erhebt sich, umfasst sein Gesicht, küsst ihm schwesterlich die Wange und eilt die Stufen herauf um sich umzuziehen.
Heute würde sie tanzen und sie hatte den liebsten Tanzpartner, den sie finden konnte, weil er, ihr Zwillingsbruder, ihren Schmerz sah und alles andere für ihn nicht mehr in Frage kam.

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