"Du hast bereits genug Schaden angerichtet!"
Mit Pheyneas Auftauchen hatte ich nicht gerechnet. Und auch nicht damit, dass sie mich aus dem Turmfenster stoßen würde. Der Sturz war kurz, doch tief genug, dass irgendetwas in meinem Rücken mit einem lauten Knacken brach. Mist! Das klang, als wäre es wichtig gewesen. Ich versuchte probeweise meine rechte Hand zu heben. Der Arm schmerzte, ließ sich aber bewegen. Als ich dasselbe jedoch mit meinen Beinen versuchte, musste ich feststellen, dass sie mir nicht mehr gehorchten. Doppel-Mist!
"Ist alles in Ordnung?", hörte ich die zuckersüße Stimme der rötlich-violetten Sylvari. "Was hat sie dir angetan?"
Die Antwort der Krähe war so leise, dass ich sie nicht verstehen konnte, daher nutzte ich die Zeit, um meine Situation genauer zu erfassen. Ich war genau mittig auf eines dieser stilvollen, spitzen Giebeldächer gefallen und dabei förmlich in der Mitte durchgebrochen. Während meine Beine leblos auf der einen Seite baumelten, hing mein Oberkörper auf der anderen hinab.
"Alles wird gut", ließ Pheynea verlauten. "Ich bin ja jetzt bei dir."
Diesmal konnte ich die Antwort des Menschen verstehen, doch weit kam er nicht. "Wo ist...?"
Kaum hatte er zu sprechen begonnen, schnitt die Sylvari ihm schon das Wort ab. "Sie ist fort. Und ich werde dafür sorgen, dass sie dir nie wieder wehtun kann."
Am liebsten hätte ich laut gestöhnt, um sie wissen zu lassen, was ich von ihren Worten hielt, aber das hätte sie bloß mit der Nase darauf gestoßen, dass ich noch am Leben war. Also beließ ich es vorerst bei einem dramatischen Verdrehen meiner Augen und schwieg meinen Unmut in mich hinein. Das alles wäre soviel einfacher, wenn ich sie wirklich hassen würde.
"Wir folgen der Spur der Ärztin. Wenn die Leiche hier nie angekommen ist, finden wir sie bestimmt bei den Totengräbern." Manchmal war ihr vorgetäuschter Optimismus einfach widerlich. So süß! Das übliche Grinsen, das bei meinem Sturz einem Ausdruck der fassungslosen Überraschung gewichen war, stahl sich zurück auf mein Gesicht.
Als Erstes musste ich von diesem Dach herunter, solange die zwei noch in ihr Gespräch vertieft waren - und das am besten leise! Ich versuchte mich zuerst an mir selbst, dann an den kupfernen Dachplatten hinauf zu ziehen und scheiterte. Das gestaltete sich gar nicht so einfach, wenn man in der Mitte durchgebrochen war. So blieben mir eigentlich nur zwei Möglichkeiten. Entweder ich ließ mich kopfüber das letzte Stück Richtung Pflastersteine fallen - keine gute Idee, wie mich mein Selbsterhaltungstrieb und mein letzter Rest Vernunft wissen ließen - oder ich musste mich auf die Hilfe anderer verlassen.
Also sah ich mich, so gut meine Lage erlaubte, um. Da! Doktor Iorga! Sie würde mir sicher helfen können. Ich verbannte das Grinsen für ein freundlicheres Lächeln, wandte mich ihr so weit wie möglich zu und winkte. Sie sah kurz zu mir auf, erwiderte das Winken und setzte dann ihren Weg unbeirrt fort. Warum kam sie nicht, um mir zu helfen? Als Ärztin musste sie doch wissen, wie ungesund meine derzeitige Körperhaltung war. Wie unverantwortlich von ihr!
Dieser Option beraubt blieb mir nicht viel mehr als zu warten. Dummerweise begann Pheynea genau jetzt damit, ihren Menschen mit süßen Worten einzulullen.
"Wir brauchen niemanden sonst, solange wir einander haben!" - Glatte Lüge! Sie brauchten mich noch!
"Niemand außer mir kann deinen Schmerz verstehen. Aber das ist nicht schlimm, ich bin ja jetzt da." - Gut, von Schmerz versteht sie wirklich was.
"Ich nehme dir deinen Schmerz. Versprochen!" - Doppeldeutigkeit! Das konnte ich sogar zu schätzen wissen.
"Ich werde bis zum Ende für dich da sein." - Mehr Doppeldeutigkeit! Vielleicht sollte ich öfter zuhören.
"Du musst mir vertrauen!" - Oder du schaust aus dem Fenster und siehst, wohin dich das führen wird.
"Ich lasse dich nicht allein, bis alles durchgestanden ist." - Und als nächstes kommt "Weil ich dich doch liebe!".
"Weil..."
Das war der Teil, den ich am liebsten ausgeblendet hätte. Nicht nur, dass mich das einfach nicht interessierte, wie konnte er so blind sein und einem Albtraumhöfling diese süßen Worte abkaufen? Ach ja. Das war meine Schuld. Ich hatte ihm nicht gesagt, dass sie Teil des Hofs ist. Ups!
Ahhh, das hätte ich nicht tun sollen! Das lautlose Lachen, das mich einen Moment schüttelte, tat so weh, dass ich mich beinahe doch mit dem Gesicht zuerst auf die Pflastersteine gestürzt hätte. Während ich mich noch vor Schmerzen wand, erblickte ich aus den Augenwinkeln eine weitere Gestalt auf der Straße. Durch den Schleier aus Schmerz sah es beinahe so aus wie der liebe Anatomiker, mit dem ich vor wenigen Stunden angebändelt hatte, um den anderen beiden Zugang zu den Tunneln zu ermöglichen. Ich zwang mich zu einem Lächeln und winkte enthusiastisch, um seine Aufmerksamkeit zu erregen. Als er meiner gewahr wurde, wandte er sich auf der Stelle um und eilte zur Universität zurück. Der gute Mann, er wollte Hilfe holen! Endlich jemand mit Herz und Verstand.
Doch Minute um Minute verstrich, ohne dass Hilfe eintraf und das Gespräch meiner zwei Gefährten neigte sich mehr und mehr dem Ende zu. Viel Zeit blieb nicht mehr für eine elegante Rettung. Da tauchte plötzlich eine Leiter neben mir auf und ein muskulöser, gut gekleideter Mensch stieg hinauf, packte mich, warf mich äußerst schmerzhaft über seine Schulter und trug mich hinab. Mit seinem Kollegen, der am Fuße der Leiter wartete, griff er ebendiese und gemeinsam brachten sie die Leiter und meinen zur Hälfte leblosen Leib zur Universität zurück. Anstatt aber durch die Pforte hinein zu schreiten, öffneten sie eine Hintertür und schafften mich in die Katakomben, wo sie mich auf einem Seziertisch aufbahrten.
Erst als der Schmerz langsam nachließ und meine Augen sich an das Halbdunkel gewöhnt hatten, konnte ich Doktor Iorga ausmachen. Sie war in einen Laborkittel gehüllt und stand neben einem kleinen Schiebetisch voller Messer, Sägen und Spreizwerkzeuge.
"Beruhigt?", fragte sie mit neutraler Stimme. "Dann können wir ja endlich beginnen." Dreifach-Mist!
Kommentare 6