Schlagwörter
Tod, Trauma, Trauer, Blut
Es ist nachts. Eine sternenklare, schwüle Nacht. Der Vollmond beleuchtet die leeren Straßen, schaut durch Fenster in die dunklen Häuser, beobachtet die schlafenden Leute. Die Nacht ist wahrlich perfekt, könnte man meinen. Sie wäre perfekt für ein Feuer mit Freunden. Perfekt für einen Spaziergang im Dorf, perfekt für romantische Stunden am Wasser, welches so wunderschön im Mondlicht glitzert. Solch eine angenehme Sommernacht erträumt man sich. Außer ich. Denn hier bin ich. Ich zerre seinen verblutenden Leib über die Straße. Sein Hemd, welches einst strahlend weiß war, ist nun blutgetränkt, dreckig und zerrissen.
"Halt' durch, man. 's nich' so schlimm. Nich' hinguck'n!", versuche ich ihm einzureden. Doch es ist schlimm. Es ist grauenhaft. Ein Albtraum. Er blutet so hoffnungslos aus. Aber er wird das schaffen. Er schaft immer alles. Also warum sollte er nicht das schaffen? Es gibt keine andere Option. Das Schicksal würde nichts anderes zulassen.
"Du hast 's bald geschafft. 's versprech' 'ch dir. Halt nur noch 'n bisschen durch, Lenny! 's wirklich nich' so schlimm", doch er antwortet mir schon gar nicht mehr. Sein Mund steht weit offen, sein Gesicht kreidebleich. Seine braunen Augen fallen zu.
"Nein! Du solls' nich' einschlaf'n, du Idiot!", lasse ich seine Arme fallen. Ich falle neben ihm auf die Knie. Ich wische mir die Tränen weg und zwinge mir ein Lächeln auf die Züge, damit Lenny vielleicht denkt, dass es wirklich gar nicht so schlimm ist. Ich lehne mich über seinen Kopf, lege meine Hände an seine Wangen und streichele sie. Vielleicht ist es das letzte Mal, dass er meine Nähe wahrnehmen kann. Er öffnet seine Augen einmal noch, schaut mich an.
" 's geht doch. Guck mich an, Lenny. 's alles gut", versuche ich ihn wieder zu beruhigen. Das letzte Mal zucken seine Mundwinkel noch auf. Er flüstert kratzig meinen Namen. "Timothy...", erklingt seine brüchige, wacklige Stimme.
"Ja, 'ch bin hier! Timothy. 's alles gut!", und somit lasse ich seinen Kopf wieder los, springe auf und ergreife seine Arme, um ihn weiterzuziehen, nur um feststellen zu müssen, dass sich eine Blutpfütze dort gebildet hat, wo wir kurz rasteten. Es stiehlt mir den Atem. Der Anblick raubt mir die Kraft, Lenny weiterzuziehen. Mir wird schlecht. Jegliche Kraft wird mir entzogen, sodass ich seine Arme fallen lasse und selber zu Boden falle. Wieder klemme ich seinen Kopf zwischen meine Hände, schaffe es meinen Blick vom Blutbad abzuwenden und Lenny in die Augen zu schauen. Erst jetzt komme ich auf die Idee, nach Hilfe zu schreien. Ich stecke meine letzte Kraft in die Schreie. Die Schreie nach Hilfe, die schrecklich schmerzen in der trockenen Kehle. Die Schreie nach Hilfe, die bei niemandem ankommen, wie es scheint...
...und wenn, tun sie das erst zu spät. Denn Lennys Augen starren mich nur noch seelenlos an. Nichts regt sich mehr an Lenny. Gar nichts mehr. Sein Mund steht weit offen, seine einst so funkelnden, lebendigen Augen starren in meine. Kalt, leblos...leer. Es steckt nichts mehr im Körper, der gerade vor mir verblutet ist.
"Lenny?", erhoffe ich mir trotzdem noch eine Antwort vom Jungen, den ich so sehr liebe. Für den ich mein eigenes Leben geben würde. Der mir ein Lächeln schenkt, auch wenn er am liebsten weinen würde. Der nie von meiner Seite weicht. Der alles für mich ist, in dieser Welt, die einem alles nimmt, was einem lieb ist. Er ist nicht tot. So grausam kann die Welt doch wieder nicht sein, um uns das anzutun. Also rappel ich mich wieder auf, packe seine Arme und zerre ihn weiter. Schluchzend, wimmernd, weinend. Das darf nicht sein. Es ist keine Möglichkeit, dass ich Lenny verliere. Was wäre das für eine Welt? Für ein Leben?
Genau die Welt, in der wir leben. Und genau das Leben, welches ich meistern muss. Denn Lenny ist tot. Er atmet nicht mehr. Er regt sich nicht mehr. Er blutet nicht mal mehr. Er ist tot. Er braucht sich keine Gedanken mehr zu machen. Er wird mich nie wieder lieben können. Ich werde nie wieder seine Stimme hören. Ich werde ihn nie wieder erleben dürfen. Das Unrecht hat mal wieder gewonnen. Das Böse. Das Elend. Die Dunkelheit. Sie hat Lenny das Leben genommen und mir somit auch.
Kommentare 1
Saso
Ich mag wie du sie geschrieben hast. Ich finde die Emotionen die du rüber bringen willst, sehr stark. Dennoch sehr traurig und herzzereißend. Ich hoffe der Bursche kommt über den Verlust irgendwann weg. Damit es nicht mehr so wehtut und anfühlt, als hätte Lenny Timothys Herz mitgenommen.