
Hier nun das erste von Adelinas charaktergebende Erinnerungsfragmenten:
Vorsichtshalber in einem Spoiler, da nicht ganz gewaltfrei.
Der Aufwachprozess hat nun unweigerlich begonnen, aber will sie das überhaupt?
Langsam dringen die verschiedensten gedämpften Geräusche an ihre Ohren und in weiterer Folge in ihr Gehirn vor. Adelina hört quietschende Türen, dann ein Kettenrasseln ganz fern, gedämpfte Stimmen von lachenden und grölenden Männern. Kurz darauf hört sie ein Rasseln, diesmal ganz nah, verursacht durch ihre eigenen zögerlichen Bewegungen? – Sie weiß es nicht genau. Feuchte abgestandene Luft steigt ihr in die Nase. Mit weiteren Bewegungen werden in ihrem Gehirn auch weitere Schmerzen registriert. Ihr Kopf droht zu explodieren. Ein eigenartiger kupferartiger Geschmack im Mund macht sich nun breit. Die Handgelenke schmerzen und sind eingeengt, warum eigentlich?
Dann wird ihr schlagartig alles wieder bewusst: Sie rannte, nein stolperte bzw. humpelte durch die Straßen Amnoons. Sie war auf der Flucht gewesen, wurde dann aber nach kurzer Zeit von den Wachen gestellt und dann brutal niedergeschlagen.
Sie stöhnt kurz auf, weil sich ihr Kopf wieder hämmernd meldet, und nun weiß sie es wieder - ich muss weiterfliehen!
Die Schmerzen ignorierend reißt sie die Augen auf, will aufspringen, nur um dann kurz darauf von einer Kette, welche an einem Halseisen montiert ist, welches um ihren Hals gelegt wurde, brutal wieder auf die Pritsche zurück gerissen zu werden.
Sterne tanzen vor ihren Augen und sie japst nach Luft. Der Kopf dröhnt nun noch stärker als zuvor. Eine gewisse Zeit vergeht, von der sie danach nicht sagen kann, ob es ein paar Minuten oder Stunden waren, bis ihre Sinne die Umgebung wieder wahrnehmen.
Jetzt erst realisiert sie erst so richtig ihre Situation. Sie ist in einem Kerker gefangen, ist mit einer nicht sehr langen Kette über ein Halseisen mit einer Öse an der Wand verbunden, ihre Hände liegen in schweren Eisenschellen, welche viel zu eng um Ihre doch eher zarten Hände geschlossen wurden und welche nun tief in ihr Fleisch schneiden.
Wie konnte es nur soweit kommen?
Sie lässt Ihre Gedanken zurück schweifen auf ein bis jetzt noch sehr gutes und angenehmes Leben. Sie ist doch die Tochter einer reichen Handelsfamilie mit relativ viel Einfluss bis hin in die obersten Schichten des Adels und der Politik. Sie geht auf eine Privatschule, um später einmal den Betrieb übernehmen zu können.
Und nun? Von einer Sekunde auf die andere kam die Wende in ihrem Leben:
Sie war immer eine brave Schülerin gewesen, hat sich gerade erst in einen Jungen aus der Schule verguckt. Eigentlich war es ein guter Tag, als sich ihr Leben in die reinste Hölle auf Erden wandelte. Dieser Tag, er konnte noch nicht so lange her sein. War es gestern? Sie weiß es nicht genau. Es war auf jeden Fall an ihrem 16. Geburtstag und somit in den Augen ihres Vaters dem Tag an dem sie die Rolle übernehmen solle, die Ihr Vater ihr zugedacht hatte, und dieser nun gedachte sie auch hineinzuzwingen.
Als sie fröhlich vor sich hin pfeifend von der Schule nach Hause kam, wartete Ihr Vater bereits mit einem befreundeten Geschäftsmann und dessen 19-jähriger Sohn in ihrem Haus. Sie fragte sich noch dabei: Was wollen denn die beiden hier bei uns an meinem Geburtstag?
Ohne Umschweife und ohne Skrupel verkündeten die beiden Männer ihr nun, dass sie hier ihren künftigen Ehemann vor sich hätte und die Hochzeit, schon, da sie nach Recht des Landes jetzt heiraten dürfe, in 2 Monaten festgelegt sei.
Eine Welt brach über Adelina zusammen. Schockiert und außer sich vor Wut und Enttäuschung über ihren Vater rannte sie davon und sperrte sich in ihrem Zimmer ein. Was daraufhin folgte waren ein wochenlanger Streit zwischen ihr und ihrem Vater. Auch Ihre Mutter versuchte ihr immer wieder einzureden, dass diese Hochzeit das Beste für sie und die Familie sei. Nur ihre jüngere Schwester Violetta war die einzige, die sie verstand und zu ihr hielt. Aber was sollten sie beide denn auch ausrichten?
Die Situation änderte sich dann dramatisch, als einige Wochen später, der Händler wieder mit seinem Sohn zu Gast war, um, wie sie von den Männern schon von weitem hören konnte, seine künftige widerspenstige Gattin zu zähmen.
Sie empfand gegenüber diesem Mann aber nichts anderes als Abscheu. Als dieser sie dann in ihrem Zimmer auch noch bedrängte und versuchte sich ihr körperlich zu nähern wollte sie nur noch weg. Sie versuchte sich loszureißen und davonzulaufen, aber alles was sie mit ihrer Gegenwehr erreichte, war, sich ein paar heftige Schläge mit der offenen Hand ins Gesicht einzufangen. Der letzte war so stark, dass sie zurückgeschleudert wurde und rücklings auf ihrem Schreibtisch landete. Unter Ihrer rechten Hand spürte sie einen langen dünnen metallischen Gegenstand – Ihr Brieföffner!
Als sich ihr Angreifer nun auch noch über sie beugte und versuchte ihren Rock nach oben zu schieben, schaltete ihr Gehirn auf: Verteidigung und Überlebenskampf!
Sie umschloss nun den Brieföffner mit ihrer Faust, und stach mit aller Kraft, die sie aufbringen konnte, zu.
Alles was sich danach abspielte gab ihr Gehirn nur mehr bruchstückhaft wieder:
-) Der zu Boden stürzende Mann
-) seine Schmerzensschreie
-) das Klirren des, auf den Boden aufschlagenden, Brieföffners
-) der Blick auf Ihre blutüberströmte Hand
-) die Männer die in den Raum stürmten
-) die schallende Ohrfeige die sie aus ihrer Schockstarre riss
-) ihr Sprung aus dem Fenster
-) der stechende Schmerz im Knöchel bei der Landung
-) ihre kurze, mehr humpelnde als laufende, Flucht
-) die Wachen, welche sie kurz darauf eingeholt hatten und umringten
-) der Faustschlag, den sie noch kommen sah, aber nicht mehr ausweichen konnte.
-) dann nur mehr Schwärze … und endlich Ruhe… Schlafen
Sie weiß nicht, wie lange sie schon bewusstlos in dieser Zelle liegt aber nun kam es, dieses schmerzhafte Erwachen. Sie stellt nun fest, dass sie keine Schuhe und auch keine Strümpfe mehr trägt. Ihre restliche Kleidung hat man ihr aber gelassen, wenn man diese noch als solche bezeichnen kann, denn diese ist nun recht ramponiert, an mehreren Stellen zerrissen und von oben bis unten mit Staub bedeckt ist.
Dann! Mit lautem Quietschen schwingt plötzlich die Zellentür auf und mehrere Männer betreten die Zelle.
Trotz Dämmerlicht erkennt Adelina Ihren Vater unter den eintretenden Männern, welcher sogleich beginnt wie verrückt herumzuschreien. Sie ist noch viel zu benebelt, um mitzubekommen was er ihr alles vorwirft. Sie versteht nur einige Schlagwörter wie: Mordversuch, Handelskrieg, Enttäuschung und viele Jahre im Kerker. Sie möchte noch trotzig aufbegehren und antworten, sie habe sich doch nur verteidigt als ihr Vater sich aber schon so in Rage geschrien hat, die letzten Schritte auf sie zustürmt, mit der Faust ausholt und erbarmungslos zuschlägt.
Und wieder: Schwärze! Ruhe… dann kommt es wieder, das Erwachen… Nein! Sie will nicht! Denn dieses Mal ist die Erinnerung noch da.
Mit einem Aufschrei fährt Adelina wieder mit dem Oberkörper in die Höhe. Sich noch darüber wundernd, dass sie nicht von der Kette zurück gerissen wird, landet sie nun aber nicht wieder hart auf der Pritsche, sondern in den ausgebreiteten Armen ihrer Schwester Violetta. Sie spürt den weichen Körper ihrer Schwester, an welchen sie nun von Violettas Händen gedrückt wird und diese redet auf Adelina ein: „Ruhig, ganz langsam, mi Adelinetta, du hattest einen Albtraum, beruhige dich, bitte“
Langsam begreift Adelina: Das ist nicht die Zelle, sondern ihr weiches Bett in Löwenstein. Ihr dünnes Schlafgewand klebt, von Schweiß getränkt, wie eine zweite Haut an Ihr.
Dennoch wird sie weiter von Violetta an sich gedrückt. Diese löst sich aber nach kurzer Zeit von ihr und fragt: “Na, wieder alles klar? Wovon hast du dieses Mal geträumt?“
Adelinas Emotionen kommen hoch, Sie bricht in Tränen aus, drückt sich wieder an Violetta bis sie irgendwann schluchzend hervorbringen kann: „Wieder einmal meine ersten Tage in der Zelle“.
Mit von Tränen getrübtem Blick kann Adelina sich selbst noch mehrfach durch den Raum wandern sehen. Oh Nein, wieder ihre bewaffneten Illusionen, welche sie unbewusst erzeugt hatte und welche nun mit zunehmender Entspannung ihres Körpers und der zurückkehrenden inneren Ruhe langsam beginnen sich aufzulösen.