Ein ganz gewöhnlicher Tag

Nicht jeder Tag im Leben ist ein Abenteuer. Nicht jeder Moment von epischem Heldentum geprägt. Egal ob kriminell, adelig oder bürgerlich, sie alle haben es: Dieses Leben das nun mal einfach da ist. Der Alltag, den viele als so erstickend und öde bezeichnen. Auch der braunhaarige Dieb hat so ein Leben und das war wahrscheinlich sogar normaler, als man vermuten mochte. Wann hatte er eigentlich zuletzt etwas gestohlen oder ein krummes Ding gedreht? Eindeutig länger her. Also konnte man sagen, dass diese Normalität für ihn ganz und gar nicht gewöhnlich war.
Leise seufzte er, als er durch das doch recht große Haus ging und hier und da Zeug einsammelte, welches auf dem Boden rumlag.
Ein kleines Mädchen, vielleicht sechs oder sieben Jahre alt schlurfte an ihm vorbei. Ihre Haare waren schwarz, hüftlang und hingen glatt herab, strähnig in ihr Gesicht. Die Augen wirkten fast schwarz, als sie zu Teridan hinauf und ihn stumm und ausdruckslos ansah. Der Dieb, die Arme voll Dreckwäsche, Spielzeug und Kleinkram erwiderte das Starren ungerührt. Eine Ewigkeit schwiegen sie einfach nur, bevor der junge Mann einfach aufgab und das unheimliche Kind doch ansprach.
„Suchst du was, Nyn?“ Weiterhin blieb das Mädchen einfach stehen und starrt ihm ein Loch in den Kopf, nickte dann aber zaghaft und starrte ihn weiter an, als hätte sie ihm nun eine ausführliche Antwort geliefert.
„Gut... ich sag dir Bescheid, wenn ich es finde.“ Teridan nickte ernst, hat sie wahrscheinlich nicht verstanden, aber Lust auf Ratespiele hatte er wohl auch nicht. Samt Zeug auf den Armen ging er weiter und es gesellten sich immer mehr und mehr Sachen hinzu. Das Mädchen war verschwunden und versuchte wohl woanders ihr Glück. Als er im Wohnzimmer ankam, hörte er plötzlich eine Kinderstimme. Er sah zwar kein Kind, aber das war bei dem Berg an Dingen auf seinen Armen auch nicht verwunderlich.
„'top! Nuin spielt hier! Außenrum gehen!“ Der empörten Stimme wurde sogleich ein Gesicht zugeordnet und Teridan wandte sich etwas seitlich, um zu dem zweijährigen Kind herunter zu sehen, dass eifrig damit beschäftigt war Klötzchen übereinander zu stapeln. Der strenge Blick des Jungen mit dem hellbraunen Haar ließ Teridan schmunzeln.
„Papa, nicht lachen!“
„Schon gut, tut mir leid... Weißt du zufällig was Nyn sucht?“
Grade wollte der kleine Nuin zu einer umfassenden, alles erklärenden Antwort ansetzen, als von oben ein schrilles, geschocktes Stimmchen ertönte, bald wütend aufschrie und hallendes Gepolter das nächste Unglück in Form eines Mädchens mit braunen Korkenzieherlocken ankündigte.
„Ich bring ihn um! Er hat es...TERIDAN!“ Das etwa fünf Jahre alte Mädchen, dass die Treppe runter gestürmt kam, rannte gleich auf ihn zu und ungeachtet dessen, dass er einen Haufen Zeugs mit sich rum schleppte sprang sie ihn an, was den Dieb aus dem Gleichgewicht brachte und polternd mit den gesammelt Werken zu Boden ging. Nuin schien das auch noch witzig zu finden und kicherte, während er anfing an einem Bauklotz zu kauen.
„Teri, Thani hat WIEDER einen von den Steckbriefen bemalt! Das ist so gemein!“ Die großen grünen Augen füllten sich mit Tränen und sie klammerte sich an dem Braunhaarigen fest, schimpfend und weinend.
Langsam grub der Mann sich aus den Sachen aus und setzte sich richtig auf, strich dem Kind über den Rücken und seufzte schwer.
„Neele, hör auf zu heulen. Ist ja gut. Ich rede mit ihm.“
„Immer muss er mich ärgern!“
„Wenn du dich ärgern lässt...“
Der Dieb hievte sich hoch, samt Kind auf dem Arm und trug das Mädchen in die Küche. Zwei weitere Mädchen machten sich grade daran essen zu kochen. Eines ungefähr zwölf Jahre mit hellbraunen Locken und ganz offensichtlich blind. Ein anderes acht bis neun Jahre mit langem glatten braunen Haar und grünen Augen.
Teridan pflückte sich die kleine Neele ab und setzt sie auf den Tisch, deutete auf sie und sah die Kleinere der beiden anderen Mädchen an.
„Prim... Aufpassen. Bind sie fest oder so was, aber bei den Göttern... lass sie nicht hier raus bis ich fertig bin!“
Neele wollte grade protestieren, als die gute gelaunte Stimme der Ältesten ertönte.
„Ist gut, wir passen auf. Aber beeil dich, wir können bald essen.“
Das ließ Teridan doch lächeln. Lina, der Sonnenschein des Hauses linderte den sachte aufwallenden Ärger und schon etwas zufriedener, als er die Küche betreten hatte, verließ er sie wieder.
Im Wohnzimmer kroch der Zweijährige grade durch das Klamottenchaos auf dem Boden und warf einige der Dinge noch etwas dekorativ verteilender um sich. Sein Blick wurde allerdings in die Ecke des Raumes gezogen, wo Nyn reglos stand und Nuin anstarrte. Wie eine zu groß geratene unheimliche Puppe.
„Hast du gefunden was du gesucht hast?“
Nun langsam drehte sich der Kopf des Mädchens in seine Richtung und es hätte einen nicht mal verwundert hätte er sich um die eigene Achse gedreht. Den Göttern sei dank kam es aber nicht so weit und sie schüttelt nur den Kopf, fing dann an, Nuin weiter zu beobachten, der sehr viel Spaß dabei zu haben schien, alles noch etwas chaotischer zu gestalten. Mit einem Ruck pflückte der Dieb den Jungen vom Boden und ging zum doch recht abgenutzten Sofa herüber, wo er ihn runter ließ und ihm ein Holzklötzchen in die Pfote drückte.
„Hier bleiben. Du passt auf, dass Nyn da stehen bleibt und Nyn, du passt auf, dass Nuin hier sitzen bleibt.“ Ein Meisterplan, der auch zu funktionieren schien, denn
nun starrten die Kinder sich quer durch den Raum gegenseitig an. Das eine ausdruckslos und das andere an einem Holzklotz kauend.
Um auch ja keine Zeit zu verplempern beeilte sich der Braunhaarige besonders, um den Boden von jedwedem Kram zu erlösen. Geschwind ging er von Zimmer zu Zimmer, um die gesammelten Werke zu komplettieren und das Haus auf Vordermann zu bringen. Grade als er den letzten Handschlag getan hatte hört er ein
leises Maunzen, was von einem der Schränke in der Nähe kam. Ein kleines Kätzchen kletterte mühsam herunter und Teridan hob beide Brauen.
„Ah...“ Mit einer Hand nahm er das Tier vom Schrank und trug es runter ins Wohnzimmer, wo Nuin nicht brav auf dem Sofa sitzen geblieben war und auch Nyn nicht mehr in ihrer Ecke stand. Aus der Küche kam Neele gerannt, die zu seinem Unglück auch nicht festgebunden wurde. Frustriert ließ er sich auf den Boden sinken, wich dem Holzklotz der ihn am Kopf traf nicht mal aus und sah sich sogleich mit dem enormen Kampfeifer der herannahenden Neele konfrontiert, die gleich anfing zu meckern. Doch das alles ging grade spurlos an ihm vorbei. Nyn war ebenfalls neben ihm aufgetaucht und das Gejammer ertragend, als die Braunhaarige auf ihn einredete hielt er dem Kind wortlos die Katze hin, die sie auch gleich nahm und mit ihr die Treppe nach oben verschwand.
So hatte jeder das was er wollte. Nyn ihre Katze, Nuin gleich mehrere Holzklötze zum kauen und Neele ein Opfer, dem sie ihr leid klagen konnte. Und Teridan? Entnervt, aber froh stand er mit dem Kind auf, klemmte sich auch Nuin unter den Arm und setzte sich mit beiden aufs Sofa, wo er dem Mädchen zuhören und
mit Nuin spielen konnte...
Ein ganze normales Leben in einer vollkommen eigenartigen Patchworkfamilie.

Und der Tod stellte seine Sense in die Ecke und stieg auf den Mähdrescher... Denn es war Krieg!