Zweifel

Zweifel


Ihre Beine hingen über dem Nichts, der Balkon im zweiten Stock war ihr wie die beste Wahl erschienen. Nicht um irgendetwas dummes zu tun, nur um dieses leichte Angstgefühl zu verspüren, wann immer man in die finstere Tiefe starrte.


Deshalb hast du so wenige Freunde. Und tust dir immer und überall schwer.


Wortlosgriff sie nach den Schokoladenpralinen, die sich irgendwo in Fannys Geheimvorrat für schlechte Zeiten hatten finden lassen, aber als sie den Blick auf die perfekten kleinen Kugeln richtete verging ihr der Appetit. Seit die Stimme Jormags gefallen war wusste sie, dass niemand anders die Kritikaussprach, als sie selbst. Die Person, die wieder und wieder protestierte und hinterfragte. Es gefiel ihr ganz und gar nicht, es machte ihr sogar Sorgen. Und irgendwie war es ihr auch gleichgültig.


Es sollte dir nicht gleichgültig sein, dass du gerade eine Freundin verloren hast. Dass du noch mehr Freunde verlieren wirst, weil du nicht anders kannst als mit einem überlegenen Lächeln jeden Vorteil der auf deiner Seite steht einzusetzen. Du gewinnst die Trainingskämpfe. Nach Jahren des Verlierens. Aber es macht dich nicht besser.


Die Ironie an der Dunkelheit war, dass sie nur den tiefen Abgrund nicht sehen konnte, die steinerne Umrandung des Balkons unter ihren Fingern war im Licht des Teesalonkamins deutlich zu erkennen. Heller Stein, mit einer feinen Textur. Würde ihr nur der verdammte Name einfallen.


Es sollte dir gleichgültig sein, dass du jemanden nicht am Leben halten konntest. Du bist eine Heilerin. Das passiert, es sollte dich nicht kümmern. Es kümmert dich nur, weil es dein Ego schmälert.


Siewandte den Blick ab. Sollte der dämliche Stein sein Geheimnis doch behalten, wenn er meinte! Als wäre das auch nur ein bisschen wichtig. Sie griff nach dem Glas und nippte am schal gewordenen Schaumwein. Alles schmeckte nach Zucker in den letzten Tagen. Widerwärtig überzuckert, nur der Schaumwein übertrug gleichzeitig einen Geschmack von Bitterkeit und Frustration.


Essollte dir gleichgültig sein, dass alles irgendwann endet. Du hast dich doch an diesen Gedanken gewöhnt. Es ist nichts neues für dich, dass alles zerbricht.


Die Frustration wuchs, als sie das Glas leerte. Was hatte eigentlich ausgerechnet sie der Welt getan, um sich jetzt und hier mit den Problemen der halben Menschheit befassen zu müssen. Warum musste immer sie für jeden mitdenken und alles beachten?
Trotzig schürzte sie die Lippen und starrte in die Nacht. Konnten nicht alle an Wintertag mal zwei Wochen Pause machen? Einfach nur den Mund halten und sich darauf konzentrieren, nicht die ganze Welt in Brand zu setzen? Aber nein.


Das ist der Preis dafür weiterzuleben. Sich mit Meinungen die dir nicht gefallen, Situationen die dir auf die Nerven gehen und Menschen die andere Ideale vertreten auseinander zu setzen gehört nun einmal dazu. Vor allem in der Politik.


Wenn die Politik nur um Punkt sieben Uhr das Schweigen lernen würde! Feierabend, Zapfenstreich! Aus und vorbei! Aber mittlerweile war doch alles ein politisches Taktieren. Und wenn nicht politisch, dann gesellschaftlich. Deshalb schmeckte der Wein auch so schal. Weil er durchsetzt war von Gift.


Für Lächerlichkeiten ist jetzt ganz sicher nicht die richtige Zeit!


Als wäre dafür jemals Zeit. Als würden Albernheiten je einen Sinn ergeben. Vielleicht hätte sie doch nach Kessex fahren sollen. Heim zu den üblichen Wahnsinnigen. Die Einladung lag immer noch im Wintergarten. Heute Nacht noch könnte sie auf und davon sein, über alle Berge. Oder zumindest über ein paar Hügel. Wintertag mit den Blutsverwandten genießen.
Noch mehr Politik. Familienpolitik, die schlimmste aller Politiken. Da ist es dir doch lieber weiter die diplomatische Baroness zu spielen und dich in der Stadt mit allem auseinander zu setzen, was dir nicht in den Kram passt.


Ihre Lippen öffneten sich zu einem leisen Knurren, sie schwang die Beine über die Brüstung und sprang vom Geländer zurück auf den Balkonboden, das Glas in der Hand. Und Glas vor den Augen. Spiegelglattes Glas, ohne Fingerabdrücke, Handabdrücke, getrocknete Regentropfen. Blank geputzte Fenster, übermenschenhoch. Im spiegelnden Glas erkannte sie die Gestalt wieder, erkannte ihre Kleidung wieder, das halb über die Schulter gerutschte schwarze Hemd, derbreite Gürtel um die Hüften, heute ohne Dolch. Nur ihr Gesicht kam ihr fremd vor. Vielleicht lag es an den wirren Haaren, halb hochgesteckt, halb fallend, als wäre sie durch einen Sturm gerannt. Die zusammen gepressten Kiefererklärten ihre schmerzenden Zähne und die gerunzelte Stirn ließ die Vermutung näher rücken, dass es nicht mehr lange dauern würde, bis sich Falten bilden würden. Für einen kleinen Moment starrte sie sich direkt in die Augen und verfluchte sich gleich darauf dafür.


„Ich will nicht mehr freundlich zu all diesen… Schrumpfköpfen sein müssen.“


Die Worte entkamen ihr schneller mit mehr Inbrunst, als sie es von sich selbst gewohnt war.


„Ich will meine alten Probleme zurück! Hunger, Kälte, die Frage ob dir gleich ein Pfeil den Gar aus macht! Das sind die Fragen, mit denen ich arbeiten kann!“


Das Spiegelbild antwortete nicht. Es starrte wütend zurück. So wütend, dass sie versucht war es ebenfalls als mitleiderregenden Schrumpfkopf zu bezeichnen.


„Guck nicht so dämlich.“ Fauchte sie stattdessen. „Du hast kein Recht beleidigt mit der Welt zu sein! Du musst ja nicht mit all diesen… Idioten reden! Du kannst dich zurücklehnen und dämlich aus der Wäsche gucken! Und überhaupt.“


Das Spiegelbild holte Luft und stemmte die Hände in die Hüften. Samt Weinglas.


„Ach sei still. Mit dir rede ich nicht mehr. Dämlicher Schrumpfkopf.“


Beleidigt schnaufte sie, öffnete die Türe und trat in den Raum zurück. Wie immer an Wintertag lief absolut alles schief und alle fingen an sich wie vollkommene Idioten zu verhalten. Wenn wenigstens nicht jeder dämlich Grinsen würde. Zu Grinsen gab es nichts! Dieses Jahr war eine einzige Katastrophe, die Eisschrumpfköpfe und ihr Krieg, die Zunftschrumpfköpfe, die Erdbeben und der Wintertag.


Am Ende ist die Politik doch das Einzige, was dir das Gefühl gibt wirklich etwas ändern zu können an dieser Misere. Du bist nur unzufrieden, weil du nicht jedes Problem allein lösen kannst. Du hast Angst, weil sich vieles der menschlichen Kontrolle entzieht.


Sie stellte das Glas auf einem Beistelltisch ab und verließ den Raum, um wieder auf den kalten Balkon zu treten. Die Wärme des Kaminfeuers verursachte Übelkeit.

"Das nächste Mal fliehen wir nach dem Essen!"
"So unfähig beim Teekochen zu sterben bin ich nicht!"
"Ich wurde nicht vergiftet ich... War nur zur falschen Zeit am falschen Ort... GUT! Ich wurde vergiftet!"
"Magier... Die überheblichsten Wesen des Universums. Ich darf das sagen... Ich bin Elementarmagierin."
"In Bjora waren es mehr Pfeile, in Kryta treffen sie besser."
"Was interessiert es dich, was es mich interessiert?"
~ Marena Éconde



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