Verrat (Teil 15)

Jetzt


Nachdem sie das Haus des Alten verlassen hatte, hatte sie sich noch an jemand Anderen gewandt. Dieser Besuch allerdings war deutlich kürzer ausgefallen, schlug der Möchtegern-Heiler ihr doch vor, ein Aderlass würde ihr sicher gut tun und falls er ihr doch keine Linderung verschaffen sollte, ein Einlauf würde eigentlich immer helfen. Ohne auch nur ein Kupferstück zu zahlen war sie gegangen und der Heiler hatte nach einem Blick in ihre vor Wut mehr oder minder Funken sprühenden Augen wohlweisslich nicht auf seine Bezahlung gepocht.

Nun, einen Tag später und wieder in Götterfels angelangt, betrat sie Gasthaus Nummer vier. "Das Gasthaus in Götterfels" war eine dermaßen bescheidene Ansage gewesen, dass sie nun schon den halben Tag damit verplempert hatte, diverse Tavernen abzuklappern. Mal waren die Wirte auskunftsfreudig, mal stellten sie sich blind und taub wie jenes Exemplar, dem sie sich soeben gegenüber sah.




Eine geschickt versteckte Drohung konterte der Kerl einfach damit, sie hochkant aus seinem Laden zu werfen und so blieb Szarah nichts anderes übrig, als sein Gedächtnis mit ein paar Münzen aufzubessern. An sich hätte es eher ihrem Naturell entsprochen, die Taverne aus einem guten Versteck heraus zu beobachten, aber ihr lief nun einmal die Zeit davon. So sehr sie auch ihre Augen davor verschließen wollte, es ging ihr einfach nicht gut und so konnte sie nicht riskieren, weitere Tage mit vielleicht sinnlosen Beschattungen zu verbringen.

Und dieses Mal hatte sie Glück. Ja, jemand auf den ihre Beschreibung passte sei hier angestiegen, erinnerte sich der Wirt plötzlich und nannte ihr das entsprechende Zimmer. Ohne sich zu bedanken wandte Szarah sich ab und stieg die Treppe hinauf in den ersten Stock. Aus Gewohnheit achtete sie dabei auf knarzende Dielen, um sich im Ernstfall vollkommen lautlos bewegen zu können.

Vor der entsprechenden Türe angelangt hielt sie inne. Immer und immer wieder war sie ihre verschiedenen Optionen durchgegangen. Ein Angriff, eine gespannte Handarmbrust vielleicht, nachdem er die Türe geöffnet hatte. Oder direkt ein gut gezielter Schuss durchs Fenster. Oder eine direkte Konfrontation. Sie wusste, dass mit Magiern nicht zu scherzen war, doch wenn man schnell genug war, nützte ihnen die Magie nichts. Mit durchtrennter Kehle ließ sich nur mäßig gut zaubern, hatte sie festgestellt.

Doch all diese Vorgehensweisen bargen ein Risiko:
"Was vermutet Ihr, würde mit mir geschehen... wenn er stirbt?"
„Ich vermute Ihr würdet ihm folgen oder Ihr würdet in Eurem Zustand bleiben."

So sehr es ihr auch widerstrebte, sie brauchte den Fremden lebend. Also klopfte sie.

Er öffnete ihr schnell, gekleidet in ein gut sitzendes Hemd und eine passende Hose, sah er weit weniger mystisch aus, als sie ihn in Erinnerung hatte. "Du hast dir viel Zeit gelassen", lautete seine Begrüßung, ehe er sich dem Kamin zu wandte und ihr somit seinen Rücken präsentierte. Selten hatte es sie so in den Fingern gejuckt, einfach ihren Dolch zu ziehen, doch sie beherrschte sich.



"Du warst bei dem alten Geschichtenerzähler. Wenn Du mich tötest, was hättest Du davon?", wollte er wissen.
"Genugtuung", antwortete sie ohne zu zögern.
"Genugtuung? Ich habe dir die Chance gegeben dich eines Tages zu rächen. Du bist kaum freiwillig in den See gesprungen", konterte er.
"Verzeih, dass ich dich nicht direkt als Menschenfreund erkannt habe, der Dolch in meiner Brust hat mich wohl irgendwie abgelenkt!", hielt sie in scharfen Ton dagegen.

Was folgte, war ein verbales Geplänkel, er mit einer unnatürlichen Ruhe, sie vor Zorn beinahe platzend.

"Ich werde für dich arbeiten, für eine gewisse Zeit", räumte sie schließlich ein. "Aber ich gebe dir den guten Rat, den Bogen nicht zu überspannen. Ich hänge an meinem Leben, ja. Aber ich bin bisweilen impulsiver, als gut für mich ist und im dumme-Entscheidungen-treffen bin ich im Moment ohnehin ganz weit vorne. Wenn Du es also so weit treibst, dass mir vollends die Hutschnur reißt, werde ich dich töten. Einfach wegen der paar Sekunden Genugtuung, die mir dein brechender Blick bescheren würde."

Seelenruhig schritt er auf sie zu und deutete auf ihren Dolch. "Greif zu und sieh was passiert."

Zunächst zögerte sie, witterte eine Falle, doch dann kam sie seiner Aufforderung nach und zog die Klinge einmal quer über seine Brust. Zumindest hatte so ihr Plan ausgesehen, in Wirklichkeit aber zerschnitt die Waffe nichts als dunklen Nebel, in den der Fremde sich plötzlich aufgelöst hatte, nur um einen Schritt weiter hinten wieder seine normale Gestalt anzunehmen.

Wütend hatte sie sich abgewandt, doch dieses Mal gewann der Zorn die Oberhand. Ohne weiter über die Konsequenzen nachzudenken, zog sie den Dolch ein zweites Mal, wirbelte herum und schleuderte ihn in einer einzigen fließenden Bewegung in Richtung des dunkelhaarigen Fremden.

Tomorrow will take us away
Far from home
No one will ever know our names
But the bards' songs will remain

Blind Guardian - The Bard's Song