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Der Wald gefiel ihr nicht, befand Gavra am zweiten Tag ihrer Reise. Auch
wegen Bluthetzer. Die Hyäne verhielt sich unruhig, schnüffelte viel und
schlief wenig. Die brüchige Straße durch den Dschungel lag still vor ihnen,
geradezu ausgestorben. Das mochte an den Überfällen liegen – doch Gavra
selbst war überzeugt, dass es an den trägen, stinkenden Schwaden lag, die
aus dem Sumpf aufstiegen. Nur die schlimmsten Skalbrutgruben konnten mit
dem Duft konkurrieren. An diesem Ort vermisste Gavra die harten
ascalonischen Winter.
Die vereinzelten patrouillierenden Löwengardisten wirkten angespannt,
obwohl sie von keinen weiteren Angriffen gehört hatten. Abgesehen von
Trollen. Stinkenden, fressenden Dschungeltrollen.
Gavra wusste nicht, was sie suchte. Das war nicht ungewöhnlich, aber es
machte ihre Arbeit nicht einfacher. In dem provisorischen Außenposten
voller Moskitos, Schlamm und fauligem Holz hatte ihr niemand weiterhelfen
können. Es gab keine Anwohner. Niemand verweilte hier länger als unbedingt
nötig. Die menschlichen Bewohner hatte man schon vor Jahrhunderten
gefressen, geopfert oder vertrieben. Die Tengu durchquerten das Gebiet nur
unfreiwillig auf dem Weg zu besseren Märkten. Die Hylek leuchteten hellrot.
Und wenn sie einen Pflanzenmenschen traf, tat er wie erwartet nichts außer
an ihrem Schwanz zu ziehen.
Niemand kannte das Gebiet. Niemand jagte hier, obwohl der Wald überschäumen
musste vor unbekümmertem Wild. Und vor Raptoren, Würmern, Spinnen, Skelk,
Skalen… Ein scheußliches, nasses Sumpfloch.
Irgendwann verstand sie, dass genau das das Problem war. Das Umland war so
unangenehm, dass nicht nur Jäger, sondern auch Löwengardisten sich kaum von
den Straßen heruntertrauten. Es war unbekannt, wer warum wie in
den letzten Monaten, Jahren an dieser Straße verschwunden war – sofern die
Kreatur die Überreste hinaus in die Wildnis schleppte. Selbst Blut und
Leichenreste würden vom Regen weggespült oder von Tausend hungrigen Mäulern
verschlungen.
Trotzdem, überlegte die Charr, war es möglich, dass sie es mit einem Wesen
von gewisser Intelligenz zu tun hatte. Oder mit einem Dschungeltroll mit
einer Glückssträhne.
Ihren ersten echten Hinweis erhielt sie weiter im Süden. Eine
Löwengardistin hatte auf ihrer Patrouille einen Mord beobachtet. Einen
Geistermord, oder zumindest das Ende eines solchen. Auf der Straße waren
Spuren eines Überfalls gewesen: Eine zersplitterte Flasche, ein Messer. Als
die Frau mit ihren Kollegen den nahen Wald durchsuchte, bemerkte sie etwas
Weißes. Es war etwas Lebendiges gewesen, auf jeden Fall, denn es bewegte
sich und verschwand, bevor die Gardisten herangekommen waren. An der Stelle
fanden die Gardisten nur einen sterbenden Mann vor, einen Händler, der sich
keine Sorgen wegen der Dschungeltrolle gemacht hatte. Er konnte keine
Auskunft mehr geben.
Wie groß war die Kreatur gewesen? Unsicher. Etwas größer als ein Mensch.
Ihre Gestalt? Hell. Vielleicht transparent. Wie ein Geist eben! Aber wie
hatte es ausgesehen? Hoch. Nicht breit in jedem Fall. Aber es hatte keine
Form gehabt. Keine Form? Nein, keine Form. Einen Kopf vielleicht, aber
sonst hatte keiner der Gardisten etwas erkannt. Es hatte keine feste
Gestalt gehabt.
Die Leiche war schon zur Beerdigung abgeholt worden. Doch eine andere, nur
wenige Tage alt, sollte sich noch in der Freistatt befinden. Gavra machte
sich auf den Weg.
Auch wenn die Charr es nicht laut aussprach, es klang tatsächlich nicht
nach einer irdischen Kreatur. Natürlich, ihre Erfahrung machte sie
skeptisch. Leute, vor allem Menschen, bildeten sich die merkwürdigsten
Dinge ein. Besonders, wenn sie sich vor Angst in die Hosen machten.
Ein Geist. War ein Geist eine Option? Gavra glaubte nicht daran. Sie hatte
gewisse Erfahrung mit Geistern. Wer nicht? Geister interessierten sich
selten dafür, Beweise zu beseitigen. Und dass die Kreatur den Kaufmann von
der Straße gezerrt hatte, zeigte Furcht. Furcht vor Zeugen und der
Löwengarde. Für eine Charr bedeutete das vor allem eines: Das Ding konnte
getötet werden, und es wusste darum.
Zugang zu den Leichen der Caledon-Freistatt zu erhalten stellte sich als
tückisch heraus. Gavra konnte es den Gardisten nicht verdenken: Nach allem,
was sie wussten, war sie die Mörderin. Es half jedoch, dass sie erstaunlich
gut mit anderen Völkern umgehen konnte – eine Eigenart, die in der
Schwarzen Zitadelle nie gut angekommen war –, und dass die Demonstration
von Bluthetzers Fähigkeiten gut lief. Die Löwengardisten hatten keine guten
Spürhunde zur Verfügung (und selbst wenn, wären sie mit dieser Hyäne
vergleichbar gewesen?), und die Idee, dass da draußen noch mehr Tote im
Wald herumlagen, war nicht nur ihr gekommen.
Die einzige Leiche, die im Keller der Freistatt noch aufbewahrt wurde, war
die eines zierlichen Asura. Er hatte sich sicher gefühlt, weil er von einem
Golem begleitet wurde, vermuteten die Löwengardisten. Das hatte ihm nicht
geholfen. Den Golem hatte man in der Nähe der Straße gefunden, eingesunken
in den Morast. Gavra ahnte, dass das der einzige Grund war, weswegen die
Leiche überhaupt jemand entdeckt hatte – Golems standen selten untätig im
Sumpf herum.
Der Asura war durch einen einzigen Schnitt durch Hals und Brust gestorben.
Overkill, befand Gavra. Ein Asurahals war dünn genug, um ihn
durchzuschneiden, doch die Verletzung wies auf eine große, scharfe Klinge
hin. ‚Etwas größer als ein Mensch‘ klang angemessen. Nicht genug Kraft für
einen Charr. Mehr Hiebwaffe als ein Schwert, zu viel Schnittfläche für eine
Axt.
Die übrigen Indizien waren nicht weniger merkwürdig. Die Beine des Asura
fehlten. Ja. Ja tatsächlich. Die Gardisten hatten keine Spur von ihnen
gefunden. Sie waren abgeschnitten worden, amputiert beinahe. Post mortem.
Doch die ‚Schnitte‘ hier waren nicht sauber. Splitter der
Oberschenkelknochen steckten im Fleisch, Bänder waren an manchen Stellen
nur durchgerissen. Eine Holzfälleraxt? Viel weniger scharf als die Klinge,
die den Asura getötet hatte. Mehrere Mörder? Oder hatte jemand später die
Leiche gefunden… und… die Beine gestohlen? Doch das Zeitfenster war klein.
Keine Abwehrverletzungen. Möglicherweise gestohlener Besitz. Ein im Sumpf
eingesunkener Golem. Gavra fand keine Logik in diesem Mord. Die Kreatur,
oder Kreaturen, hatten charrähnliche Intelligenz. Sie benutzten Klingen,
aber verschiedene. Sie töteten zufällig, oder so schien es. Sie entfernten
manche Körperteile. Sie griffen aus dem Hinterhalt an. Sie sahen aus wie
Geister. Sie hatten Angst vor Zeugen.
Gavra kannte sich mit dieser Gegend nicht aus. Warum hatte man ihr diesen
Auftrag angedreht?, fragte sie sich seufzend. Niemand wusste von
besonderen, magischen, paranormalen Orten in der Nähe, doch in den Sümpfen
wurden manchmal Kobolde gesichtet. Das hatte nicht viel zu bedeuten, aber
es war möglich, dass es doch irgendwo einen versteckten Ort gab, an dem die
Grenzen zu den Nebeln verschwammen.
Bluthetzer fand schnell eine Spur. Bedenklich schnell. Sie war gut, aber so
gut? Gavra sagte den Löwengardisten nichts. Sie behauptete, sie müsse sich
erst einmal ein Bild von der Gegend machen. Die Gardisten wollten nicht im
feindseligen Dschungel ermordet werden und bestanden nicht darauf, sie zu
begleiten.
Im dämmrigen Unterholz lauerten einige Skelk, die ihr Glück versuchten.
Gavra und Bluthetzer machten kurzen Prozess mit ihnen. Einer Charr musste
man mehr entgegenwerfen, um sie aufzuhalten. Abgesehen davon blieb es
bedenklich still. Insektensummen gab es. Mengen und Unmengen von
Insektensummen. Jedes einzelne von ihnen schien zu stechen.
Hetzer stoppte bei einem toten Baum und begann den morastigen, schwarzen
Boden zu beschnüffeln. Deutlich vor Gavra fand sie Knochensplitter. Sie
waren weit verteilt, wilde Tiere hatten sie verstreut und Spuren zertreten,
doch ein paar konnte die Charr einsammeln. Sie war sich nicht sicher, worum
es sich handelte. Fragend sah sie Bluthetzer an. Die Hyäne wusste es, aber
sie antwortete nicht.
Mehr gab es nicht zu holen. Die Spur endete hier, doch Bluthetzer schien
etwas Interessantes entdeckt zu haben. Gavra war sich nicht sicher, ob es
nur ein Leckerbissen war, oder ob die Hyäne gerade wirklich arbeitete. Sie
gab ihr eine größere Menge Trockenfleisch, doch Hetzer wollte immer noch
weitergehen. Nach Süden.
Der Weg durch den verwucherten Wald war anstrengend, Hyäne und Charr
hechelten mehr als in jedem ascalonischen Sommer. Bluthetzer erreichte ihr
Ziel erst, als Gavra Vögel hörte. Vögel. Eine frische Brise. Endlich! In
diesem verfluchten Sumpf war von der Luft bis zur Stille alles unerträglich
drückend.
Die Jägerin, zu all ihrer Schande, verstand im ersten Moment nicht, dass
Hetzer sie zu einer weiteren Leiche geführt hatte. Das lag unter anderem
daran, dass nicht mehr viel von der Leiche übrig war. ‚Overkill‘, diesmal
richtig. Overkill und eine Menge, Menge Insekten. Der andere Grund war,
dass es sich um Pflanzenreste handelte. Also, eine Leiche aus Pflanzen. Sie
lag schon eine Weile dort, die Käfer, Ameisen, Nagetiere hatten die weichen
Teile abgefressen. Doch die humanoide Form war noch zu erkennen, zumindest
für eine fähige Spurenleserin.
Gavra und Hetzer untersuchten den Sylvari, doch sie wusste zu wenig über
die seltsamen Pflanzenmenschen. Jetzt hatte sie zumindest einen von innen
gesehen. Sie konnte erkennen, dass der Sylvari mit Waffen getötet worden
war, Klingen vermutlich, und zwar in sehr vielen Hieben… oder Stichen? Der,
die Mörder hatten sich keine Mühe gegeben die Leiche zu verstecken. Sie lag
zwischen knorrigen Büschen in einem Graben, in der Nähe des Sumpfs.
Bluthetzer wollte immer noch weiter. Was sie wohl roch? Hatte dasselbe
Wesen jeden dieser Toten zu verantworten? Oder verband etwas anderes die
Morde? Eine übernatürliche Kreatur, die Sterbenden erschien? Irgendeine
Form von Aasfresser? Bluthetzer war nicht trainiert, wandelnde
Komposthaufen aufzuspüren.
Die Sylvarileiche schien nichts bei sich zu tragen, keine Waffen, keine
Ausrüstung. Keine Indizien. Gavra entschloss sich, der Hyäne weiter zu
folgen. Sie hatte einen Plan. War es ein guter Plan?
Bluthetzer führte sie nach Süden in den Wald. Hier gab es hohe Felsen und
noch dichteren Bewuchs, aber weniger Gestank. Ja, beide waren froh diesen
verflammten Sumpf hinter sich gelassen zu haben. Hetzer stockte regelmäßig,
suchte eine Weile, schien sich nicht sicher zu sein, wohin es ging. Gavra
begann zu zweifeln. Die Hyäne musste erschöpft sein.
Was für eine Ironie, dass Gavra gerade an der Wasserstelle, an der sie die
Hyäne rasten lassen wollte, Spuren fand. Während Bluthetzer gierig in den
Bach sprang und sich vollsoff, begann die Charr den Boden zu untersuchen.
Die täglichen Regenfälle in diesem Dschungel spülten die meisten Abdrücke
weg, selbst im Sumpfschlamm hatte sie nichts Interessantes gesehen.
Diese hier waren frisch. Nicht alt. Überhaupt nicht. Stunden, höchstens.
Unvollständig. Oberflächlich. Humanoid, überlegte die Charr, während sie
aufmerksam den Boden absuchte. Humanoid, aber nicht unbedingt menschlich.
Keine Schuhe, aber keine Zehen. Zweibeinig, sehr sicher. Passend zur Größe
eines Menschen, aber deutlich leichter.
Diese Spuren waren eigenartig. Gehörten sie zu ihrer Beute?
Geister hinterließen keine Spuren. Doch was für Monster gab es in diesem
charrverlassenen Dschungel überhaupt?
Bluthetzer näherte sich ihr, noch mit wassertriefendem Maul, und überprüfte
was Gavra sich ansah. Doch auch nach langem Schnüffeln schien die Hyäne
kaum eine Spur wahrzunehmen. Erstaunlich. Die Charr aß und trank, und
beschloss dann den Spuren zu folgen, bevor sie vor der Dämmerung zur
Freistatt zurückkehrte.
Gavra analysierte ihr bekannte Wesen, die für diese Morde verantwortlich
sein konnten. Trolle, Hylek, Krait, nein. Dämonen, Nachtmahre,
Nebelkreaturen? Sehr, sehr unwahrscheinlich. Sie hätte Hinweise gefunden,
da war sie sicher. Sie grübelte nach, was sie über die Gegend wusste.
Saurier hatte es hier einst viele gegeben, doch die Idee war absurd. Und
Simiane, ja. Die humanoide Gestalt. Das weiße Fell. Eine Möglichkeit, doch
ihnen mangelte es an Intelligenz. Gerüchte von Inkubi gab es, zumindest was
verlorene, unterirdische Ruinen anging. Gavra hatte noch keinen Inkubus
getroffen. Entfernten sie Opfern die Beine? Waren sie intelligent genug für
diese Angriffe? Erinnerten sie an Geister? Gavra bezweifelte es.
Ihr Auftrag war das Beseitigen unnatürlicher Kreaturen. Und doch kam Gavra
zu demselben Schluss wie bei den meisten Jagden: Es steckte eine Person
dahinter. Wenn es Geschichten gab von mordenden, schattenhaften Bestien,
dann lohnte es sich davon auszugehen, dass es ein Charr gewesen war, ein
Asura, ein Mensch, ein Norn oder… ein Tengu mit weißem Gefieder?
Weder Bluthetzer noch Gavra konnten eine Fährte erschnuppern, doch die
Spuren führten weiter, tiefer in den dichten Dschungel. Kaum noch
Sonnenlicht drang zwischen Felsen und Ästen bis auf den Boden, und doch
konnte sie die Abdrücke immer wieder finden, nach höchstens wenigen Minuten
Suche. Frisch, dachte sie sich. Sehr frisch. Sie bespannte ihren Bogen,
stellte die Ohren auf und schlich geduckt voran. Sie hörte nichts außer
plätscherndem Wasser und Vogelschreien. Die einzigen Gerüche blieben
feuchte Erde und ferne Orchideen. Oder?
Gavras Nase bebte. Etwas Fauliges. Sie sah zu Hetzer. Die Hyäne beobachtete
die Umgebung und erwiderte nach einem Moment ihren Blick. Nein, kein
Kadaver. Was dann?
Sie bemerkte das Grau zwischen den Blättern erst einige Momente später.
Warum sie so blind sein konnte? Es hatte keine Gestalt. Genau, wie die
Gardistin gesagt hatte. Es war eine undefinierte Form aus Fetzen. Die
riesigen Pfoten der Charr verursachten kein Geräusch, als sie sich
voranschob. Ganz sicher, da war etwas. Bluthetzer stand neben ihr, völlig
erstarrt, und witterte. Keine Fährte. Und der Wind kam ihnen entgegen. Das
Ding saß am Wasser. Kein Kopf. Kein Schwanz. Die Charr legte den Pfeil
trotzdem an, langsam, ganz langsam. Irgendetwas würde sie treffen.
Gavra war sich nicht sicher, was ihr das Leben rettete. Vielleicht die
Untersuchung der Opfer, und wie sie überrascht worden waren. Vielleicht
ihre Skepsis, weil die Spuren so deutlich waren, nachdem sie zuvor keine
einzige gefunden hatte. Vielleicht ihre vielen Gedanken, ihre Überlegungen,
ihre Theorie von mehreren Mördern.
Oder vielleicht war es einfach nur dieser unverzeihliche Fehler, genau in
dem Moment zu zweifeln, wenn es um alles ging. Die Schwäche, die kein Charr
haben durfte. Sollte sie diese Kreatur töten, ohne zu wissen, was sie war?
Ob sie der Mörder war? Ob sie versucht hatte, die Morde zu verhindern?
Wahrscheinlich aber war es einfach nur Glück, dass sie sich genau jetzt
noch einmal umsah, gerade so weit, dass sie eine Bewegung erahnte.
Dass sie fast im selben Moment den Arm hochriss lag nicht mehr am Glück,
sondern an geschulten Reflexen. Die Klinge, was auch immer das für eine
Klinge war, krachte gegen die Rüstung, schnitt tief in ihre Schulter und
zersplitterte in Tausend Scherben. Mit einem zornigen Brüllen schleuderte
Gavra den Angreifer von sich. Ob sie den nächsten Angriff überstanden
hätte, musste sie nicht erfahren, denn Bluthetzer hatte sich auf die
Kreatur gestürzt. Das Splittern und Knacken, als die Hyänenkiefer eines
ihrer Beine zerschmetterten, war ein unbekanntes Geräusch für die Charr.
Sofort warf sie sich nach vorne, direkt auf die blättrige Gestalt, die sich
gegen Hetzer wenden wollte. Sie rammte das Ding mit dem Bogen zurück auf
die Erde. Es schien für einen Moment paralysiert zu. Gavra fixierte seine
dürren Gliedmaßen mit den Pranken. Ein Blick über ihre Schulter zeigte: Das
Wesen hinten am Wasser war verschwunden.
Schwer atmend starrte das tretende, fauchende, kämpfende Pflanzending unter
sich an. Es war farblos. Grau. Blättrig. Holzig. Dürr. Klein wie ein
Mensch. Es war ein Mensch. Es war kein Mensch. Es war die
Perversion eines Menschen. Keine Augen. Kein Maul. Es hatte ein Gesicht,
einen Kopf, aber es war nichts in den Augenhöhlen. Waren das Zähne? War das
ein Kiefer? Es hatte einen Rumpf, Arme, Beine, oder zumindest Ähnliches.
Manche Stellen waren dunkel verfärbt. Andere waren löchrig und zerpflückt.
Und manchmal fehlten ganze... Stücke?
Gavra blinzelte. Sie versuchte zu verstehen, was sie hier sah. Sie
versuchte zu verstehen, was sie damit machen sollte. War das... ein
Sylvari? Sahen Sylvari so unter ihren grünen Menschenmasken aus? Lauerten
hinter der Fassade diese verholzten, blutrünstigen Monster? Oder sah sie
hier eine Krankheit?
„Was... bist du?“, fragte sie, mehr sich selbst als irgendwen sonst.
Ein weiteres lautstarkes Knacken erinnerte sie daran, dass Bluthetzer noch
immer das Bein des Rindenwesens zwischen den Kiefern hielt, so wie sie
abgerichtet worden war. Das Sylvari zuckte und gab ein gurgelndes Knurren
von sich, aber es hatte den Widerstand aufgegeben. Es starrte Garva an.
Auch ohne Augen. Hatte es Augen?
Die Charr erkannte plötzlich Worte. Ja. Das waren Worte! Es sprach. Schwer
zu verstehen, weil... weil es keinen Mund hatte. Keine Lippen. Zumindest
nicht vollständig. Aber es sprach. Sie stellte die Ohren auf und beugte
sich noch etwas vor. Ihr rechter Arm blutete stark, aber sie musste erfahren, was sie hier vor sich hatte.
„Ich verstehe dich nicht“, erwiderte sie betont deutlich.
Das Sylvariding tat es ihr gleich. Besonders langsam wiederholte es die
Worte, während Gavra die schwarz verfärbte Zunge beobachtete, die sich
zwischen den... Zahnstücken... bewegte, als es antwortete.
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