Die Flammenzungen, die so viele Tage an dem aus Schiffsrümpfen gezimmerten Nordtor der Stadt Löwenstein gefressen hatten, waren erloschen. Die verkohlten Ruinen qualmten lediglich noch vor sich hin. Totes, verlorenes Gehölz, das sich um den gedämpft wummernden Lärm, der hinter ihm hervor drang, nicht länger zu scheren schien. Genauso wie der in roten Plattenstahl gehüllte Priester vor jener Kulisse sich nicht um den Anblick scherte, der sich ihm bot. Er lauschte viel mehr auf die martialischen Klänge, die der nächtliche Wind nun anstelle des verflüchtigten Miasma-Giftes heran trug. Das Scheppern und Klirren aufeinander prallender Waffen, Schreie des Triumphes, aber auch der Furcht.. grollender Kanonendonner. Fußgetrappel, auch diesseits des Tores, wo stetig neue Reserven an Löwengardisten eintrafen und die Leichen der ehrenhaft Gefallenen hinaus transportiert wurden. Die Schlacht um Löwenstein war in vollem Gange, tobend und unbarmherzig. Wahrhaftige Musik - in seinen Ohren.
Die vor seinen Augen liegende, zerstörte Hafenstadt hätte ihm kaum gleichgültiger sein können. Lange genug war sie eine Beleidigung für den rechtmäßigen Herrschaftsanspruch der Menschen Krytas gewesen, und nun lag das 'Piratennest', wie er es zu nennen pflegte, in Trümmern, bereit, von einer neuen Ordnung assimiliert zu werden. Sein heutiges Ziel jedoch war ein kleineres, wenn auch nicht minder herausforderndes.
"Brüder und Schwestern der Schlacht!", rief er in dumpfem Bass, als er sich plattenklappernd umwandte, den Streithammer linkshändig geschultert, während sein gehörnter Prunkhelm unter der rechten Achsel klemmte. Und dort waren sie hinter ihm versammelt, die wenigen Balthasar-Anhänger des nördlichen Lagers, die schon seit zwei Wochen an der hoffnungslosen Initiative vereinzelter Kampfwilliger der Flüchtlingslager gegen die von Scarlets Allianzen und ihrem Miasma besetzte Stadt Löwenstein mitgewirkt hatten. Bis auf einen jugendlichen Novizen, frisch aus Götterfels eingetroffen, um das Banner des Balthasarklerus während des Marsches zu führen, gaben sie alle nicht gerade das inspirierendste Bild ab. Ihre rot-orange getönten Rüstungen waren ebenso lädiert wie ihre müden Gesichter, und er wusste genau, dass er ihnen in diesem Moment keinen besseren Anblick bot. Doch was bedeutete das jetzt noch? Es gab kein Zurück mehr für sie alle. Sie hatten bis hierhin nur noch das Nötigste an Gepäck und Verpflegung mitgenommen. Schwer bewaffnet waren die meisten von ihnen, und die Kampfwölfe begleiteten sie an den Flanken.
Der Priester war unzufrieden - er würde sein Vorhaben nicht ganz so durchführen können wie geplant. Sein durchbohrender Fokus traf auf die Augen der jüngeren Mitpriesterin, die sich später mit einem Teil der anderen abspalten würde. Er vertraute ihr.. aber es gefiel ihm nicht, was sie vorhatte. Dennoch - es gab keine Zeit für Debatten mehr. Seinen Zorn hatte er bereits gehabt, und er war fruchtlos geblieben.
"Heute ist ein glorreicher Tag.", schmetterte er nach einem Moment des Schweigens wieder drauf los. "Lange genug haben wir gewartet, während uns das offene Gefecht verwehrt wurde. Doch das ist nun vorbei! Wir haben Balthasars Ruf vernommen, das ewige Feuer des Mutes, und hier sind wir, um ihm zu folgen! Unser Ziel – Fort Marriner! Dort, wo der Gott des Krieges dereinst den Riss in die Nebel öffnete, auf dass uns Sterblichen immerwährende Herausforderung geschenkt ward. Die letzte Heimat der Zaishen – und zerstört durch Scarlet und ihre Kreaturen."
Linksseitig hinkend setzte der rote Metallberg sich in Bewegung, den Streithammer einhändig in die Höhe reckend, während er die Linie jener Wenigen abschritt, die hier waren, um mit ihm zu kommen.
"Wir sind hier, um zu helfen, diesen Ort der kriegerischen Andacht zurück zu erringen. Vor uns aber liegt das Schlachtfeld Löwenstein – und keine noch so durchtriebene Seele soll je behaupten können, wir hätten es gemieden! Der Pfad unseres Glaubens kann einzig mitten hindurch führen. Der Boden unter unseren Stiefeln wird gepflastert sein mit den zerschmetterten Toten des Feindes, und ihr Blut wird an unseren Waffen kleben. Wir werden unter den Truppen der Löwengarde und Wachsamen wandeln und jenen Kraft spenden, die sie in dieser Stunde am Bittersten nötig haben. Auf dass der Sieg ihnen zuteil werde. Für die Ehre Balthasars und des Zaishen-Ordens!"
Rufe wurden laut, die letzten Worte in Wiederholung aufgreifend, quer durch die Reihe. Manche blieben still, andere murmelten leise Worte für sich selbst. Schließlich beendete er seinen Gang, richtete sich klappernd wieder südwärts, wo ihr Ziel vor ihnen lag. Der bullige Priester Balthasars setzte sich den Helm aufs Haupt und zurrte die Kinnschnalle fest. Dann wurde das Visier herunter geklappt, und er war vollständig in roten Stahl gehüllt.
"Wir marschieren auf Fort Marriner! Und wir werden nicht straucheln! HUUUAAAAR!" Sein wüstes Kampfgebrüll dröhnte in den Ohren der Umstehenden, blechern durch die Helmfront schallend, und es schwoll nur umso lauter und kraftvoller an, als jene treuen Kehlen mit einstimmten. Dann senkte er den Streithammer nach vorn – der Stoßdorn deutete einzig gen jener Stadt, die nun ein Schlachtfeld war. Und sie marschierten, dem Verderben entgegen.