Ein Tag im späten Sommer

Es war ein friedlicher Spätsommertag an der Blutstrom-Küste. Das Meer blies feine Salzhaltige Luft über die Wiesen vom Strand herauf und im Garten der Sommerresidenz der zu Moosbergs war buntes Treiben ersichtlich.


Graf und Gräfin hatten geladen zur Taufe des jüngsten Sohnes Ayden Joseph, der noch einmal frisches Leben in die Familie brachte. Ein Kindersegen mit dem man nicht rechnete, hatte die Gräfin nicht einmal bemerkt in anderen Umständen zu sein und der das liebende Band zwischen den Eltern einmal mehr stärkte. Es war ein offenes Geheimnis, dass Ruben -seine- Agathe aus Liebe heiratete und sie jeden Stein, der ihnen im Wege lag aus dem Weg räumten. Und diese tiefe Verbundenheit gaben sie ebenfalls ihren Kindern mit. Schelte und Streit war auch in diesem kinderreichen Heim an der Tagesordnung, aber dies wurde zumeist rasch beseitigt und hielt nur selten einen halben Tag an. Man erzog mit milder Strenge und ließ den Knaben, sowie der einzigen Tochter viele Freiheiten.

So hatte man auch die Einschränkung der Tochter ohne Groll an die Götter angenommen und machte das Beste daraus. Esme wurde erzogen und gelehrt ihr Leben in die Hand zu nehmen und sich nicht in Watte zu packen. Wer hinfiel, konnte aufstehen; wer sich den Kopf stieß, bekam einen Beutel Eis für die Beule.


Wenn man das Mädchen, wie jetzt, über die Wiese eilen sah, mochte man meinen, sie wäre wie jedes andere Kind, welches dort unten spielte und bemerkte kaum ihre Andersartigkeit.

Es war eine große Kinderschar, die sich dort im Grunde des Gartens ein Stelldichein gab. Nebst den eigenen vier Kindern, Ayden natürlich zu klein und noch in der Wiege nebst der Mutter, tummelten sich die Kinder verschiedener Adelsfamilien dort unten. Mädchen spielten mit Puppen, flochten sich die Haare oder knüpften gemeinsam bunte Bänder. Die Jungs erlebten Abenteuer, spritzen die vermeintlich braven Mädchen mit Wasser, was zumeist eine wilde Verfolgungsjagd mit viel Geschrei nach sich zog, und fochten kleine Schlachten mit Holzschwertern aus. Laut war es, hier und da wurde gelacht und gegluckst, geweint und geschimpft. Eine Freude zuzusehen und das Leben zu genießen. Denn was gab es schöneres als spielende Kinder für die stolzen Eltern am gedeckten Tisch im muntere Gespräche vertieftet.


Zum Mittag hin lagen die jüngsten unter den Kindern auf weichen Decken im Gras, machten wo sie gerade waren ihren Mittagsschlaf und die -Großen-, die natürlich viel zu alt für derartig waren gingen Steine flitschen am Wasser, holten die Angeln heraus, lasen in Büchern oder stahlen sich Kuchen und Gebäck vom Tisch der Erwachsenen.


Abseits all dem hatten sich zwei Mädchen gefunden, die sich hinter den langen Ästen einer Weide verbargen mit ihren Kissen für die Hintern. Etwa gleich alt müssten sie gewesen sein, beide mit blonden Zöpfen die nur mehr schlecht als recht das Haar hielten nach all den Spielen. Schulter an Schulter saßen sie da, die Tochter des Hauses Chevalier mit einem Buch auf den Knien, die des Hauses Moorbach nebst ihr und der anderen lauschend. Aurélie las Esme vor und berichtete in bunten Farben von den Bildern im Buch. Kindlich unwissend, dass Esme sich nicht vorstellen konnte, wie das Meer und der Himmel blau waren, wie es aussah, wenn ein Drache an einer Leine im Wind sich wiegte und doch hörte sie mit Begeisterung in der Miene zu. Wie einfach die Welt zwischen Kindern doch war, keine Berührungsängste wegen der Blindheit. Wenn Esme später den Weg nicht fand, nahm Aurélie sie an die Hand und führte sie. Dafür ließ die Blinde diese eintauchen in eine ganz eigene Welt, zeigte ihr, wie man mit anderen Sinnen etwas erleben konnte und die Augen gar nicht brauchte dafür.


In diesen unbeschwerten Sommertagen, denn die Gäste Chevalier blieben beinahe zwei Wochen, knüpfte sich ein Band der Freundschaft, welches auch in ungewollter Ferne aufrechterhalten bleiben sollte in den kommenden Jahren. Die für beide Mädchen so viele Erfahrungen brachten, Leid und Freude.


Aber noch ahnten sie nichts davon dort unter der Weide im späten Sommer.

Kommentare 9