Jäger und Beute - 2

Irgendwo in den nördlichen Zittergipfeln, 1336 n.E.


Der Schnee gab nach kurzem Widerstand unter ihren Füßen nach. Jeder einzelne Schritt knackte leise und wurde vom Rauschen der Baumkronen verschluckt. Ein leichter Wind drang sogar in den dicht bewachsenen Wald hinein. Hier und da, dort wo sich Lichtungen befanden, reichte der Nordwind sogar für kleinere Schneeverwehungen aus.


Mehr zufällig war sie darüber gestolpert. Ruhig und friedlich hatten die Spuren im Schnee ausgeharrt. Als hätten sie gewartet, dass die rotgelockte Norn endlich vorbei käme. Zuerst traute sie ihren Augen nicht und stand einige Momente lang regungslos da. Erst nach einer Weile realisierte sie, dass dies die Federn eines schwarzen Moas sein mussten. Ihre Jagdlust war sofort geweckt. Ohne auch nur einen Moment darüber nachzudenken, eilte sie den Spuren des Federviehs hinterher.


Seitdem waren gut vier Tage vergangen. Immer wieder hatte sie die Fährte verloren und fand sie aufs Neue. Demnach war ein Ende der Jagd nicht in Sicht. Ihr Herz schlug beinahe permanent bis zum Hals. Jede Faser ihres Körpers war angespannt, ob dieser Herausforderung. Dieser Chance, die sich nach so vielen Jahren endlich bot. Endlich würde sie ihn finden. Würde ihn erlegen und über dieses Mistvieh triumphieren. Endlich hätte sie sämtliche Arten von Moas erlegt. Mit so einer Nachricht wieder zurück in die heimische Hütte zu kehren – allein der Gedanke entlockte ihr ein Grinsen. Durch den überhasteten Aufbruch wusste ihre Sippe nicht, wohin sie verschwunden war. Aber die Gefahr diese Gelegenheit zu verpassen, wollte sie in diesem Moment nicht eingehen. Sie würden es verstehen. Dem war sie sich sicher.


Ruckartig hielt sie inne, als Geräusche an ihr Ohr drangen. Ein schnatterndes Krächzen war zu vernehmen, weshalb sie sich langsam in die Hocke bewegte. Der umgefallene Baum gab ihr die nötige Deckung, auch wenn sein Geäst schon gut abgefressen war. Einen Augenblick lang regte sie sich nicht, wagte es kaum zu atmen. Das Rauschen des Waldes wurde kurz lauter, als der Wind auffrischte. Zu dem Krächzen gesellte sich das Geräusch flatternder, nutzloser Flügel. Sie runzelte die Stirn. Für einen einzelnen Moa waren dies zu viele Laute. Behutsam schob sie sich vorwärts, um einen Blick zwischen dem Geäst des Baumes hindurch zu wagen. Dabei zog sie in einer langsamen Bewegung einen weißgefiederten Pfeil aus dem Seitenköcher heraus, nockte ihn auf. Doch noch wurde die Sehne nicht gespannt. Die Norn war bereit zum Schuss, auch wenn sie ihr Ziel noch nicht erblickt hatte.


Drei Herzschläge später, als sie zwischen einer Astgabel hindurchspähte, sah sie ihn. Majestätisch reckte sich der Moa und sein gebogener Schnabel öffnete sich mit einem erneuten Krächzen. Das pechschwarze Federkleid glich der Feder, die sie gefunden und an ihre Kleidung gesteckt hatte. Er schüttelte sich kurz, plusterte sich ein wenig auf.


Sie wollte dem Drang nachgehen, aus dem Geäst brechen und ihn erlegen. Da erhob sich plötzlich ein zweiter Moa zwischen dürren Sträuchern. Mehrstimmiges, helles Krächzen ließ sie abermals stocken. Es verging ein Moment, in dem sie nur still lauschte und beobachtete. Dann sah sie es. Für einen ersten Blick gut verborgen, lag es innerhalb der Sträucher. Ein Nest. Sie glaubte, zwei, wenn nicht sogar drei Jungtiere darin zu erkennen. Innerlich fluchte sie. Einerseits wollte sie diese Herausforderung endlich bestehen. Doch andererseits wusste sie aus eigener Erfahrung sehr gut, wie selten schwarze Moas waren.


Resigniert atmete sie aus. Langsam zog sie sich nach hinten zurück. Als sie etwas mehr Abstand zwischen sich und dem Federvieh hatte, stand sie auf. Einer der Moas wurde direkt auf sie aufmerksam, plusterte sein Gefieder auf. Eine bedrohliche Geste, die sie nur viel zu gut kannte. Ihre Blicke trafen sich. „Ich finde dich erneut,“ sprach sie und ließ ihren Bogen sinken. „Und dann bringen wir es zu Ende.“

„The Norn will not change simply because the Dwarves do not understand our ways.
I'd rather be hated for who I am than loved for who I am not.“

Jora