Alistaire

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Alistaire


Alistaire fror. Sein Wagen war der letzte in einer langen Reihe bunt bemalter Karren, die sich um ein immer dichter werdendes Rondell parkender Fuhrwerke drängten, die vor ihnen den Lagerplatz erreicht hatten. Männer rutschten von Kutschböcken. Frauen hoben ihnen müde Kinder entgegen, damit sie sich nach der Anreise erleichtern konnten. Die älteren von ihnen trugen Holz zusammen, das sie zu Bündeln aufschichteten. Einzelne Feuer brannten bereits.

Die lebhafte Unruhe, mit der das Camp errichtet wurde, konnte nicht darüber hinwegtäuschen, dass ihnen allen der Atem vor den Lippen stand. Es war Nacht. Längst keine Zeit mehr, fahrendes Volk die Stadttore passieren zu lassen.


Mit einem Zungenschnalzen brachte Alistaire sein Gespann etwas abseits zu den anderen zum Stehen. Er sprang die einzige Stufe hinunter und trat die Bremsklötze unter die Räder, bis sie sich keinen Millimeter mehr bewegen ließen. Dann umrundete er den Wagen und warf einen Blick durch den schmalen Zustieg ins Innere.

Adriana schlief. Ihre Atmung ging ruhig und gleichmäßig. Ihre Augen bewegten sich unstet unter den geschlossenen Lidern. Alistaire streckte die Linke aus, um das seidige Schwarz zu berühren, das ihren Nacken bedeckte. Am Ende ließ er es sein. Er wollte sie nicht wecken.

Leise schloss er die Tür und kehrte zum Zuggeschirr zurück.


Mit steifen Händen machte er den Ochsen los, um ihn abzureiben und zum Wasser zu führen. Ihm war klar, dass der Bachlauf zu kalt für das erhitzte Tier war, doch es gab nichts anderes. Alistaire lehnte sich an die warme Flanke des Ochsen und sah zum Lager zurück. Das Rind trank durstig. Auch Alistaire hatte Durst, aber diese Eispisse konnte das Tier allein saufen. Er wusste, dass eine der Frauen Kaffee bringen würde, sobald die Kessel hingen, auch wenn Ronan sie jedes Mal anherrschte, sie sollten ihre Großzügigkeit nicht so verschwenden.

„Shaw!“

Da rief er auch schon nach ihm, wie nach einem ungeliebten Köter.

„Steh da nicht so dämlich herum! Beweg deinen Arsch und tu etwas Nützliches!“

Alistaire formte die Hand zu einem Windschild und zündete im Schutz seiner Finger eine Zigarette an. „Mache ich doch“, murmelte er, die Streichholzpackung zurück in seine Tasche stopfend.

Er verhinderte, dass die Seraphen ihren Tabak konfiszierten, aber das sprach er lieber nicht laut aus. Adrianas und seine Vorräte waren knapp. Vielleicht musste er sich etwas leihen, und das blieb einfacher, wenn Ronan nicht den Daumen darauf hatte.


Die restlichen Tiere zu versorgen kostete Alistaire fast anderthalb Stunden. Danach war er einfach nur noch müde und hungrig. Immerhin bewahrheitete sich seine Annahme, dass die Frauen ihn nicht vergessen würden. Als er den letzten Strick festzurrte, stand Lynette bereits neben ihm und wartete darauf, ihm zwei Kanten Brot und eine große Schüssel reichen zu können. Der Inhalt roch göttlich, und er dampfte, was fast noch besser war als die Einlage, die er darin schwimmen zu sehen glaubte. „Gib die Hälfte deiner Schwester ab. “

Alistaire nahm die Schale mit einem Dank entgegen. Dann bemerkte er, dass an der Unterseite etwas befestigt worden war. Seine dunklen Augen suchten den Blick von Lynette. Forschend. Sie zog das Tuch um ihren Kopf enger. „Bewahr das für mich auf, ja? Du bist einer der wenigen, in dessen Wagen Ronan noch nie etwas gefunden hat, obwohl er euch ständig filzt. Ich will nicht, dass er es mir abnimmt.“

Alistaire steckte eines der Brotstücke in seine Jacke. „Das kostet aber etwas.“ Lynette schnaubte. „Habe ich dir gerade Essen gebracht?“ Er zuckte die Achseln, in das andere Brot hineinbeißend. „Das war reiner Eigennutz. So billig sind meine Dienste nicht.“

Sie stieß einen zischenden Laut aus. „Na schön, du Halsabschneider. Wie viel?“

„Zwei Viertel.“

„Spinnst du? Zwei Viertel sind die Hälfte, ich bin ja nicht doof!“

Alistaire hob die Schultern. „Meinetwegen. Ein Drittel, weil du mir was Warmes gebracht hast.“ Lynette kaute auf ihrer Lippe. „Es ist Fleisch in der Suppe“, startete sie einen letzten Versuch, den Betrag zu drücken. Alistaire sah in die Schüssel hinunter. Er rührte mit dem Finger durch die Brühe und tatsächlich stiegen Streifen irgendeines Tieres an die Oberfläche. Er spürte, wie sein Hals trocken wurde. Sein Magen knurrte.

„Scheißdreck… Ein Viertel. Für einen Nachschlag.“

Lynette drückte seinen Arm. „Abgemacht!“, flüsterte sie. Dann beeilte sie sich, zurück zu ihrem Wagen zu kommen. Alistaire sah ihr schlecht gelaunt hinterher. Hungrig und frierend hätte er nicht verhandeln sollen. Er leckte seinen Finger ab. Die Suppe schmeckte nach Pastinake, Karotte… und Hühnchen.

„Ach, was solls…“


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