Rote Spinnenlilie

Es war die Nacht danach.


Nach all dem, was geschehen war. Lineth betrat ein weiteres mal ihr geplündertes Lager, welches noch wenige Tage zuvor gefüllt war mit wunderschönen, rosanen Lilien. Selbst besuchte sie diesen Ort nur selten, lediglich ihre Angestellten gingen hier relativ regelmäßig ein und aus um Bestellungen abzuholen oder gewünschte Bouquets zusammen zustellen. Das Gefühl der Leere und Bedrohung lag noch immer über der Räumlichkeit. Zwar hatte man die Scherben der zerbrochenen Vasen aufgesammelt, die überlebenden wieder an ihren Platz gestellt und all das verschüttete Wasser aufgewischt, doch die bleibende, innere Unsicherheit, ließ sich nicht so einfach wegfegen.

Ein weiteres mal streifte sie durch den Raum, kopfschüttelnd und mit der ewigen Frage nach dem "Warum?". Der Blick fiel auf jenen Tisch, an welchem sie noch vor kurzer Zeit mit Mi einen wunderschönen Strauß für eine Freundin anfertigte. Einen Moment war sie in diese Erinnerungen vertieft, die für einen Augenblick etwas Wärme in das kühle Szenario brachten. Sie schob das Tintenfass an den rechten Platz, legte die Schreibfeder und Grußkärtchen davor, dann schien ihr etwas aufzufallen. Eine schmale, milchige Glas Vase mit einer einzelnen, roten Lilie die heraus ragte. Wo kam sie her? War erneut jemand hier und wieso war ihr diese nicht bereits früher aufgefallen?

Zögerlich streckte sie ihre Hand nach der Blume aus, berührte sie jedoch nicht. Ihre Gedanken kreisten umher, versuchten dem Gesehenen einen Sinn zu geben.

"Die rote Spinnenlilie. Hoch giftig und wird meist mit dem Tod in Verbindung gebracht. Sie als Geschenk zu übergeben gilt als schlechtes Omen oder gar als Drohung. Die Blüten dieser Blume berühren sich nicht. Ein Zeichen der Trennung von Leben, Partnern oder Lebensabschnitten. Legenden besagen, sie kündigen einen endgültigen Abschied an."


Es gab einen triftigen Grund, warum sie diese Blume nicht züchtete und dabei ging es nicht um reinen Aberglauben. Sie hatte die Familienchronik studiert, förmlich aufgesogen. Die Verfeindete Familie nutzte die rote Spinnenlilie als ihr Wappen. Sie legte die Stirn in Falten, grübelte einen Moment darüber nach, ob sie nicht zu viel in all das hinein interpretierte, griff dann nach der Pflanze um sie zu entfernen. Gerade hatte sie die Blume leicht angehoben, da erhellte ein gleißender Blitz den Raum. Ruckartig ließ sie die Lilie zu Boden fallen und riss die Hände schützend vor das Gesicht, doch als der Moment vorbei schien bemerkte sie, das sich der Raum rasch mit Rauch füllte.


Der Rauch nahm ihr die Luft zum atmen und doch sah sie sich zunächst nach dem Ursprung um. Ein Feuer sah sie keines, woher sollte dieses auch kommen? Es blieb keine Zeit für Fragen, sie musste hier raus. Keuchend ging sie vorwärts, auf der Suche nach der geschlossenen Eingangstüre am anderen Ende des Raumes. Ihr unkontrolliertes Vortasten ließ nun auch die letzten, nutzbaren Vasen zu Bruch gehen und so mischte sich das zerspringen jener Gefäße unter den Klang der Atemnot. Als sie den Knauf schlussendlich erfühlte, stürzte sie aus der Türe und fiel nach Luft schnappend auf die Knie. Der dichte Rauch entwich und stieg in den blauen Himmel über Götterfels auf um nach einiger Zeit, freie Sicht auf das Chaos im Inneren zu ermöglichen.

Als sie wieder zu Atem gekommen war, richtete sie sich langsam auf und warf einen Vorsichtigen Blick hinein. Nichts war verbrannt, es war auch keine Hitze zu spüren. Mit den Füßen schob sie die Scherben bei Seite, um sich einen Weg durch das Durcheinander zu ebnen. "Was passiert hier bloß?!" warf sie erschüttert aus, ehe sie wieder erschöpft zu Boden sank.

Plötzlich verspürte sie einen stechenden Schmerz im Kopf. Sie kniff die Augen zusammen und wandte sich jammernd umher. Zaghaft öffnete sie eines nur um fest zu stellen, das sie ihre Umgebung beinahe nur Schemenhaft erkennen konnte. Erschrocken öffnete sie das andere, doch nichts hatte sich verändert. Es schien ihr, als wären noch Reste des Rauches im Raum zurück geblieben und vernebelten ihre Sicht. Völlig entkräftet zog sie sich am Rand einer Kommode wieder auf die Beine und griff instinktiv nach der Lesebrille, welche nur bedingt half aber ausreichend, um den Weg hinaus und zurück ins Hauptquartier der Ministerialwache zu finden.

Sie verschloss den Eingang und machte sich, mit zittrigen Beinen, auf den Weg. Sie war bemüht, sich nichts anmerken zu lassen doch erntete ein paar fragende Blicke. Jede Nachfrage wurde vehement abgewiesen, jede Sorge ignoriert. Man war in Ordnung. Jedenfalls galt es zunächst genau das zu vermitteln.

Niemand durfte davon erfahren, man hatte schließlich einen Dienst zu leisten und einen Ruf zu verlieren..

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