Lesewarnung
Vulgäre Wortwahl, Fäkalhumor, explizite Gewaltdarstellung, Gewalt gegen Frauen.
Geschichte
Banels Grinsen wurde mit jeder Sekunde breiter, ehe es schließlich in ein immer lauter werdendes Gelächter überging. Er stand dicht und fast völlig verdeckt hinter einem marode wirkenden Holzzaun. Nur sein Kopf lugte kinnaufwärts über den schartigen Rand hinweg und machte durch das schallende Lachen alle interessierten Blicke auf sich aufmerksam. Zumindest für einige Sekunden. Denn das erstarb die nach Außen projizierte Heiterkeit jäh und ließ nichts weiter als eine sauertöpfische, fluchende Miene zurück.
Diese polare Stimmungsschwankung war nicht von einmaliger Dauer. Die wüst fluchende Fratze ging – in einem beinahe fliegenden Wechsel – wieder in dröhnendes Gelächter mit einem in den Nacken gelegten Kopf über, bevor sich der Zyklus von neuem wiederholte. Zwei bettelnde Gossenratten, welche zunächst verwundert, hernach mit buchstäblicher Fassungslosigkeit zur Quelle des Tumults geblickt hatten, bekamen es allmählich mit der Angst zu tun. Wussten sie doch nicht, was im „Geiste“ dieses kleinen Mannes vor sich ging.
Banel hingegen wusste es ganz genau. Und zwar völlig unabhängig davon, wie betrunken er zu diesem Zeitpunkt schon war. Erneut eine Phase des bitteren Fluchens beginnend und vor sich nach unten auf den Boden starrend, zerrte er immer erboster am Saum seiner Hose herum. Er fand in seiner nebulösen Wahrnehmung einfach keine Möglichkeit, das Beinkleid zu öffnen oder weit genug zu lösen, um dem mittlerweile unerträglichen Drang der Entleerung – vergleichbar mit jenem einer Niederkunft – im Namen von Mutter Dwayna doch nachgeben zu können.
Gerade als der bipolare Zyklus drohte, durchbrochen zu werden, erzielte Banel den Erfolg. Das Lachen wurde fanfarenartig ausgestoßen und erfüllte den Abendhimmel des Östlichen.
„DA ISSER JA-HAHA-HAHAHAHA!“
Die zwei Gosenratten zuckten zusammen, sahen einander an und beschlossen, lieber zu verschwinden. Banel verharrte in seiner euphorischen Phase und ging nun vom Gelächter in ein wohliges Stöhnen über, als die Last des Wassers sukzessive von ihm genommen ward. Dabei stieß und schiffte er dermaßen gewaltsam gegen den Holzzaun, dass dieser als hilfloses Opfer binnen Sekundenschnelle jegliche erdenkbare Form der Belästigung zu erleiden hatte. Im Endstadium. Als sich der Akt der Erleichterung dem Ende näherte, vibrierten Banels Körper und der Zaun so intensiv, dass es einzig ein Wunder war, welches beide vor dem Zusammenbruch bewahrte.
Die Stirn nach dem Höhepunkt für einen Moment auf der Zaunkante ruhend lassend verschloss Banel seine Hose – irgendwie, wenngleich unzureichend – wieder und trat zurück auf die Straße.
Die Kartoffelschnäpse im Blut wärmten den Iorga und gemahnten ihn stumm zur Vorsicht. Doch Banel war dafür taub und stattdessen überzeugt, dass jener Abend noch jung war. Er schritt zielgerichtet zu seiner liebsten Ecktaverne und war beharrlich in seiner Absicht, jenes Elysium des Östlichen zu erreichen. In seinem Zustand stolperte Banel mehrmals über Unebenheiten im Kopfsteinpflaster und torkelte einmal so stark gegen einen Verschlag, dass er diesen beinahe komplett abriss. Doch er war auf der richtigen Fährte. Und das wusste er genau.
Denn da, ja, da lag er.
Banel blickte zufrieden auf den halbnackten, bärtigen Alten, der komatös und wie weggeworfen in Abfällen vor einer Pforte ruhte. Keiner wusste, wie er hieß – vermutlich wusste es der Alte selbst nicht – aber jeder hier kannte ihn.
Der Majordomus.
So zumindest wurde er von den Tavernengängern genannt. Er war immer hier. Nicht, weil er tot war oder zum Stadtbild gehörte wie irgendein Wetterhahn auf einem Ziegeldach, sondern weil er hier wohnte und hier sein Tagewerk verrichtete. Denn früher oder später war jeder hiesige Tavernengänger mindestens einmal mit dem Majordomus in Kontakt geraten. Wann immer jemand in dieser Taverne das Bewusstsein verlor – in der Regel nach einer Schlägerei, seltener nach einer Alkoholvergiftung – erwachte der Majordomus auf unerklärliche Weise aus seinem Zustand, sammelte den Ohnmächtigen ein und brachte ihn zu einem Metzger, der sich auch als Heiler verdingte.
Damit erwarb er sein Geld und leistete einen weitaus manifesteren Beitrag, als durch sein komatöses Herumliegen hier lediglich als eine Art Orientierungspunkt zu fungieren.
Wie der Majordomus es allerdings schaffte, immer im genau richtigen Moment präsent zu sein, konnte Banel allein durch die Gunst Dwaynas erklären. Denn ihrem Andenken machte der Alte durch deine „Hilfeleistungen“ alle Ehre. Welch ein nobler Mann – dies musste selbst der Iorga anerkennend feststellen.
Als Banel den Majordumos leicht in die Rippen trat und dafür nur ein schnarchendes Zucken erntete, war er sich sicher, dass die Stimmung der Ecktaverne noch nicht ihren Höhepunkt erreicht hatte. Kichernd versuchte Banel einzutreten, brach sich zunächst einen Ast ab, weil er die Tür fälschlicherweise zu sich zog, statt sie wegzudrücken, und erhielt doch noch Einlass, als er sie wütend auftrat.
Drinnen sah wie immer alles ziemlich scheiße aus. Banel ging dank des einnehmenden Gefühls der Heimeligkeit sofort das Herz auf.
Der ganze Schankraum starrte vor Dreck. Abfälle, Schutt und einzelne Tavernengäste befanden sich noch bei halbem Bewusstsein auf dem Boden. Alle Fenster waren geschlossen und im Kamin brannte – in der Zeit des Stecklings wohlgemerkt – ein knisterndes Feuer, was so ziemlich jeden hier in ein wandelndes Schweißbad verwandelte. Der Gestank wäre kaum schlimmer gewesen, wenn man auf besagtem Feuerchen einen Topf voll Urin gekocht hätte. Banel lachte vergnügt auf.
Dies war einfach ein herrlicher Ort. Authentisch, frei von irgendwelchen Konventionen oder Euphemismen. Hier bekamen alle noch auf die Fresse und niemand kannte irgendein dreisilbiges Wort. Mit welch wundervollen Gästen er diese Ecktaverne schon besuchen durfte, lieferte Stoff für eigene Legenden. Neben seinem Bruder dachte Banel vor allem an die weiblichen Begleitungen. Caprice „Kapriezi-Miezi“ Deluca – die hier mal ordentlich die Krallen hatte ausfahren können – Malicia Libanez – welche drei Dirnen auf einmal zusammengeschlagen hatte – und diese geisteskranke Mahne, die einfach nur für den Arsch gewesen war.
Banel torkelte zum Tresen, schubste dabei einen vorlauten Jungspund kopfüber in einen Spucknapf voll Kautabak und verschaffte sich am Ziel lautstark Gehör des Barmanns:
„Hey einarmiger Bandit!“
Banel brach mitteldrin in schallendes Gelächter aus und verursachte damit eine Tumult unter den Dränglern, die sich sturztrunken und planlos einfach alle spontan davon anstecken ließen.
„Schieb ma‘ ‘n Helles rüber hier!“
Der kleingewachsene Iorga meinte es nicht einmal böse. Schlimmstenfalls in unbeabsichtigter Weise… Reduktionisitisch. Denn der Barmann war einarmig, aber parallel dazu fehlten ihm auch ein Auge, ein Ohr sowie gut die Hälfte seiner Zähne. Jeder mochte irgendeiner sammlerischen Passion verfallen sein und Banel verurteilte den Barmann nicht dafür, dass er für sich die… Einheit?... als Sammelobjekt erwählt hatte. Naja, was auch immer.
„Zahlst vorher.“
Banel hatte keine Einwände und verschaffte sich Luft, als er einen Drängler mit einer Backpfeife nach hinten beförderte, wodurch er gegen eine Dreiergruppe anderer Krawallmacher rempelte und postwendend einen Fausttanz aufführte.
Sein Bier ergreifend suchte sich der Iorga einen Platz und fand lediglich den Tisch neben dem Kaminfeuer frei vor. Obgleich seines angeheiterten Zustands entging ihm nicht, dass der Damm in dem Laden bald wieder brechen würde. Auf einem Nachbartisch führte ein Elonier von winzigem Wuchs – den er mit irgendeinem lächerlich großen Hut zu kompensieren versuchte – einen obszönen Tanz auf und räumte dabei bereits die ersten Krüge ab. Die immer zorniger werdenden Zurufe der Saufkumpanen und Gaffer vom Nachbartisch ignorierend, würde das kein gutes Ende nehmen.
Banel sollte Recht behalten. Natürlich sollte er das – in seinem natürlichen Habitat war er der verdammte König von Maguumas Dschungel.
Ein stämmiger, glatzköpfiger Knilch, dessen Getränk durch den Tanz des Winzlings nun vollständig in dessen Bart klebte, riss den Eloner von den Füßen und trat ihn mit voller Wucht zum Nebentisch. Den Knirps und seinen lächerlichen Hut in verschiedenen Flugbahnen entschwinden sehend, musste Banel lauthals lachen, als der fluchende Winzling im Sturzflug auf etlichen Getränken landete, um dort dann richtig zur Sau gemacht zu werden.
Jetzt ging es los. Jetzt gab es kein Zurück mehr.
Der große Knilch suhlte sich seines beachtlichen Zwergenweitwurfs wegen im Stolz und erhielt kurz darauf hinterrücks einen Hocker vom Freund des Tänzers übergebraten. Banel kippte sein Bier herunter, krempelte die Ärmel hoch und wollte gerade in die nun unvermeidliche Massenschlägerei mit einsteigen, als der elonische Knirps fluchend vor ihm landete und wild mit seinen Füßchen um sich trat.
Der Iorga hielt inne, grinste mit manischer-boshafter Miene zu ihm herunter und wartete, bis dessen Rage so lange unterbrochen wurde, dass der Zwerg den Blickkontakt erwiderte. Als dies geschafft war, präsentierte sich Banel als weltmännischer Zeitgenosse.
„Ahai!“
Der Gruß entsprach den Vorstellungen des Iorga, mit welchen Worten sich diese elonischen Scheißwichser im Ossa begrüßten. Und kaum nach dieser höflichen Geste holte Banel mit dem rechten Bein weit aus, um den Knirps mit einem pfeffernden Tritt wieder in die Lüfte zu entsenden. Dieser schrie vor Schmerz und Zorn auf – dessen Hut flog in einer anderen Laufbahn direkt an ihm vorbei – aber landete weich auf dem Rücken irgendeines Muskelprotzes. Die weiche Landung war aber mutmaßlich nur ein schwacher Trost für das, was den Knirps nun erwarten sollte.
Banel schmetterte seinen leeren Bierkrug in die blöd glotzende Fresse eines Kerls mit Rattennase und sprang dann mit beiden ausgestreckten Beinen vorwärts in das wilde Getümmel. Mittlerweile befanden sich die meisten Tischgesellschaften in irgendeiner Schlägerei. Vermittlungen oder Fluchtversuche unternahm überhaupt keiner. Lediglich der Barmann ließ sich von der Euphorie nicht anstecken, schätzte die Lage schnell ein und verschwand dann schleunigst im Hinterzimmer.
Banel flog in seinem Sprung einem großen Typen in den Rücken, auf dessen Schultern eine Straßenhure im Klammersitz verharrte und ihrem „Träger“ mit einem Kelch auf den Kopf schlug. Die beiden brachen über Banel zusammen wie eine Lawine und verstrickten sich einander in einen Bodenkampf, bei dem alle Fäuste flogen.
Bei den Fünfen, es war einfach nur grandios.
Der Iorga kassierte einige Schläge des großen Kerls und spürte den Stiefelabsatz der Hure an ungünstigen Körperzonen, aber hatte in seiner Berauschtheit nur wildes Lachen übrig. Er kämpfte sich aus seiner begrabenen Position hervor, trat dem Kerl in die Weichteile und biss der Frau in den Rücken, die daraufhin laut aufschrie. Als sie sich von ihm losriss, riskierte der Iorga beinahe einige Zähne, doch das war einerlei.
Aus dem Knäuel hervorkommend und trotz der Trunkenheit wieder einen aufrechten Stand einnehmend, wurde Banel mit einem Stoß in die Kniekehle auf die Tischplatte geschickt und beobachtete im Fallen, wie der elonische Knirps – welcher in der vergangenen Minute mehr Zeit im Flug als zu Boden verbracht hatte – erneut von irgendjemandem zu einer anderen Tischgesellschaft getreten wurde.
Banel spürte, wie ein Holzkrug auf seinem Schädel zerbrochen wurde, und er warf heftig reagierend den ganzen Tisch um, womit er mehrere Tavernengänger unter sich begrub. Mittlerweile hatte sich die Prügelei auf den ganzen Schankraum ausgeweitet und überall – zumindest beinahe überall – herrschte elektrisierende Heiterkeit über diesen Spaß.
Als sich der Iorga mit letzter Kraft erheben wollte, zerriss ein lauter Knall den Tumult.
Der Barmann war zurückgekehrt, schoss eine Kugel aus seiner Knarre in die Luft und verschaffte sich damit von nahezu allen die Aufmerksamkeit. Kurz darauf ging er in eine Schimpftirade über, schlug die letzten zwei, drei fortsetzenden Streithähne mit einem Knüppel zu Boden und wurde schließlich in seinem Gefluche von dem allgemein einsetzenden Freudengegröle überstimmt.
Doch der Barmann hatte seinen Willen erreicht und der Kampf war vorbei. Für diesen Moment. Wie auf Kommando betrat der Majordomus den Schankraum und nahm den elonischen Knirps mit, der wie eine vollkommen verbeulte Rüstung in der Ecke lag und seinen großen Hut umklammerte wie eine sehnlichst geliebte Frau. Trotz seines erbärmlichen Zustands konnte er lachen.
Banel lachte ebenfalls, obwohl es ihn am ganzen Körper schmerzte und er aus mindestens zwei Platzwunden am Kopf frisches Blut hervorquellen fühlte. Drauf geschissen. Das und noch mehr war es allemal wert. Banel ergriff einen Krug vom Boden, in dem sich noch die Reste irgendeines Getränks befanden, und stieß mit allen an, die noch den Arm zu heben vermochten.
Dann stürzte er auch dieses Getränk herunter, fühlte sich hernach selbst rücklings herabstürzen und so hart Aufschlag, dass es dem Iorga Weiß um sein Sichtfeld wurde.
Lachend erhob sich Banel wieder und stellte mit einem abrupten Ende des Vergnügens fest, wo er war. Seine Blicke wanderten durch das nur allzu vertraute Lazarett der Garnison, und das Bein war von dem jüngsten Zentaurenangriff in einem immer noch lädierten, kaum brauchbaren Zustand.
Die Konfusion nicht überwindend, traf Banels wandernder Blick auf das halbseitige Grinsen der Feldscherin, die ihn mehr denn nur marginal amüsiert betrachtete.
„Na Banel? Einen anregenden Traum gehabt?“
Leicht skeptisch betrachtete Banel die weißen Flecken in der Schrittgegend seiner Leinenhose und nickte dann breit grinsend, bevor er und die Feldscherin in ein heilloses Gelächter ausbrachen.
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