Die einzige Wahrheit

Kühl prasselte der Regen eines Sommergewitters dem Fürsten Cavriani ins Gesicht. Seinen Kragen höher schlagend, kämpfte er sich durch eine vom Unwetter heimgesuchte Gasse des Götterfelsens. Wenige Passanten waren nun unterwegs und diejenigen, denen er begegnete, flüchteten förmlich in Richtung eines trockenen Unterstands.
Der Fürst, ohne eine für seinen Stand angemessene Eskorte unterwegs, lenkte seinen Schritt schwungvoll gen einer Taverne in einem der Armenviertel der Stadt. Zuviel stand auf dem Spiel um zu zögern. Die Aufmerksamkeit, die der Fürst sonst mit seinem Tross an Leibwächtern und seinen ausgefallenen Kleidern hervorrief, wäre nun eher schädlich. Er verfluchte still das Wetter und die alten Stiefel seines Dieners, die er nun trug und welche die Nässe nicht abhielten. Er sollte nun eigentlich zuhause sein, bei seiner Frau und seinem Neugeborenen, stattdessen betrat er eine stickige und viel zu warme Taverne. Und obgleich er letzteres um seiner Füße Willen begrüßte, war der Gestank kaum auszuhalten und hätte ihn auf der Stelle kehrt machen lassen, so die Umstände nicht so dringend gewesen wären, dass er sich nun zwischen den Pöbel in den überfüllten Schankraum zwängte. Der Fürst bahnte sich seinen Weg zwischen schwitzenden Arbeitern und überschminkten Dirnen vorbei hin zu einer alten, schweren Eichentür am Ende des Schankraums. Mit einem Nicken das vom Wirt erwidert wurde, versicherte er sich, dass er am richtigen Ort war und mit vier kräftigen Schlägen an die Tür begehrte er Einlass.


"Janus ist ein Dummkopf, aber ein gieriger Dummkopf. Er wird sich nicht so leicht die Zügel aus der Hand nehmen lassen." ,schallte es ihm entgegen, nachdem Fürst Cavriani eingelassen wurde und die vielen Treppen zum Keller hin überwunden hatte.
"Ich denke nicht, dass wir unsere Zukunft diesem Idioten überlassen sollten. Gier hin oder her, wir wissen nicht ob der Erbe sein Recht vollends einfordert und uns am Ende den Wölfen zum Fraß vorwirft...", sprach ein feister, in edle Seide gekleideter Kerl im Dunkel des nur von zwei Talgkerzen beleuchteten Kellers. "Ah, Fürst Sergio Cavriani, welch Ehre, dass ihr auch noch erscheint."
Sergio blickte sich im Raum um und erkannte neben dem Feisten auch noch den drahtigen Fürsten Medinaceli, Fechtmeister und wie er in einfache Kleidung gehüllt, sowie Fürst Elim Foscari, der wie der Feiste keine Notwendigkeit im Verstecken seines Reichtums sah.
"Das Unwetter hat mich aufgehalten, Fürst Visconti. Aber bitte, fahrt fort.", sprach Sergio, ohne dass er den unangemessenen Ton Viscontis würdigte.
"Ich denke nicht, dass der Erbe seine Pflichten gegenüber seinem Haus denen gegenüber seiner Kirche vorziehen wird. Er ist so lange ein Diener der Götter, er hat keine Ahnung wie das Spiel gespielt wird.", sprach der bereits ergraute Fürst Foscari.
"Und doch ist er ein Unsicherheitsfaktor. Wenn er die Geschäfte von seinem trunksüchtigen Bruder übernehmen sollte..."
"Dazu wird es nicht kommen, werte Freunde. Überlasst mir die Angelegenheit.", verkündete der feiste Visconti mit einer unüberhörbaren Selbstsicherheit.
"Wieder ein Jagdunfall?", hakte Medinaceli mit gerümpfter Nase nach.
"Nichts derart Einfallsloses.", sprach der Feiste und unterstrich selbiges mit einer weg wischenden Handbewegung.
"Müssen wir wirklich wieder solche Wege einschlagen, werte Fürsten?" Sergio konnte sich mit dem Gedanken nicht anfreunden, hier unten im Keller einer billigen Arbeitertaverne einen weiteren Mord zu planen. Nicht wo seine Gedanken nun bei Frau und Kind weilten und die Sorge um den eigenen Reichtum an zweite Stelle gerückt war.
"Ihr seid zu weich geworden, Fürst Cavriani. Es wird nicht auf uns zurückfallen..." Der Angesprochene weitete kurz die Augen, als aus dem Schatten des Kellers ein junger Mann trat und Fürst Visconti ein Stück Pergament entgegen hielt. "Keine Angst, Fürst Cavriani, nur ein Diener, seiner Zunge beraubt, auf dass er nicht reden kann. Was ist das, Bursche?" Der feiste Fürst nahm das Pergament entgegen und las, ehe sich seine Augen weiteten. "Was... was hat das zu bedeuten..." Mehr brachte er nicht hinaus, griff sich mit den dicken, beringten Fingern seiner Rechten an den Hals und schien nach Luft zu schnappen. Dann traten langsam die Adern in seinem Gesicht rot pochend hervor. Und Visconti schien nicht der einzige, auch Medinaceli rang um seinen Atem, während Fürst Foscari bereits auf den Knien war. Doch Sergio hatte keine Zeit mehr sich um die anderen Gedanken zu machen. Ohne dass er es bemerkt hatte, war der junge Mann an ihn heran getreten. Kalt war der Stahl, der in seinen Brustkorb eintauchte und sein ungläubiger Blick galt nicht dem Diener, sondern dem Herrn, der noch immer sterbend das Stück Pergament umklammerte, als wäre es die einzige Rettung für ihn. "Der Tod ist die einzige Wahrheit", las Sergio die Worte auf dem Pergament und begriff sie, ehe sein Leib leblos auf den kalten Kellerboden traf.



Eine in eine dunkle Kapuzenrobe gekleidete Gestalt trat in das Licht der Flammen, die aus dem Herrenhaus der Familie Cavriani ausschlugen und jenes verzehrten. Einer der vielen Beobachter flüsterte "Sie sagen, dass Mutter und Kind in den Flammen umgekommen sind."
Der dunkel Gekleidete wandte sich zu dem Sprecher, packte seinen aus Walgebein gefertigten Schädelstab fester und entgegnete "Dann hat mein Herr seine Arbeit verrichtet und die meine beginnt."

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