Dieser Leitfaden basiert vornehmlich auf eigenen Erfahrungen und ist deshalb nicht als uneingeschränkt allgemeingültig zu betrachten. Er bietet unter anderem auch psychologische Eindrücke in zwischenmenschliche Beziehungen im Rollenspiel und bietet für alle Spieler eine sinnvolle Basis, mit der man ins MMORP einsteigen kann.
Im Anschluss bieten sich als Ergänzung detaillierte und praxisnahe Einführungen an, die im letzten Abschnitt verlinkt sind.
1 Einleitung
Herzlich willkommen zu meinem Einsteiger-Guide, liebe Leserinnen und Leser, liebe zukünftige Raubkatzenwesen und Baumschmuser, liebe dem Zynismus verfallene Veteranen.
Jedes neues Mitglied der Rollenspiel-Community wird mit offenen Armen empfangen, denn mehr Spieler bedeuten eine lebendigere und spannendere Welt für alle. Gleichzeitig liegt auf jedem Spieler die Last einer teilweise exorbitant hohen Erwartungshaltung von erfahrenen Spielern, die gerne mal vergessen, dass sie auch irgendwann mal mit für andere absurd erscheinenden Charakteren angefangen und anderen das Spielerlebnis vermiest haben. Wie man beides vermeidet und sich dabei dennoch kreativ auslassen kann und seinen eigenen Wünschen gerecht wird, möchte ich euch in diesem Leitfaden zeigen.
Wir betrachten dabei vor allem jeden Spieler als Menschen (!), der mit seinen eigenen Vorstellungen an das Rollenspiel herantritt und respektiert werden muss. Dies gilt für neue und alte Spieler gleichermaßen.
Anm.: Ich greife hin und wieder auf eine unifizierte maskuline Form einiger Begriffe wie Spieler zurück. Dies geschieht im Sinne einer Vereinfachung und ohne Wertung.
Was ist Rollenspiel?
Rollenspiel ist die Darstellung einer Figur, die in diesem Fall nur fiktiv im Universum von Guild Wars besteht. Hierzu nimmt der Spieler an, er sei selbst jene Figur und nimmt dabei virtuell Form, Farbe und Charakter der Rolle an, um sie so lebendig und realistisch wie notwendig und möglich darzustellen. Er verhält sich deshalb während des Rollenspiels (also "in character" oder IC - in der Rolle) so, wie sich die erdachte Figur in Korrelation zur bestehenden Umgebung verhalten würde.
Rollenspiel findet nur dort statt, wo involvierte Parteien IC sind. Das bedeutet, dass der Handlungsort von teilnehmenden Spielern bestimmt wird, aber kein Spieler, der sich OOC (also "out of character" - nicht in der Rolle) befindet und etwa gerade ein großes PVE-Event mitmacht oder einfach durch die Welt läuft, um eine Erkundung abzuschließen, sich für seinen Charakter rechtfertigen und mitspielen muss.
Was ist kein Rollenspiel?
Die Rolle im Spiel zu verlassen gilt als Stilbruch und sollte nur geschehen, um nach Absprache unüberwindbare Hürden der Engine zu umgehen, die so eigentlich in der dargestellten Welt nicht vorhanden sein sollten (etwa das Teleportieren und Laufen, um von einem nicht betretbaren Haus in das Innere eines technisch gesehen anderen Hauses zu wechseln, um die Handlung sinnvoll fortzuführen). Jeder Spielereinfluss, der nicht im Rollenspiel stattfindet, kann die Immersion (also die geschaffene virtuelle Realität, in die man abzutauchen versucht) für alle Mitspieler zerstören.
Spieler, die OOC sind, sind als Luft zu behandeln und nicht gegen ihren Willen ins Rollenspiel einzubauen.
Einhergehend damit sind Geschehnisse und gewisse Darstellungen, die von den Spielentwicklern vorgegeben werden, für die Welt im Rollenspiel irrelevant. Die Engine-Welt entspricht weder den Maßstäben, noch dem Detail, noch den tatsächlichen Geschehnissen der Lore-Welt (also der Welt, die die Spiele und Bücher eigentlich geschaffen haben). Die Engine-Welt ist für das Spiel gesondert zugeschnitten und ist nie als exaktes Abbild der Welt von Guild Wars zu verstehen. Dies schließt zum Beispiel herumlaufende Kreaturen, sich wiederholende Events und Missionen, die Wahl der vorgegebenen Klasse oder Hintergrundgeschichte oder auch die in GW2 gespielte persönliche Geschichte mit ein.
Das genaue Aussehen der Spielwelt, die im Rollenspiel benutzt wird, wird von Rollenspielern auf Basis der vorhandenen Lore (oder "Informationssammlung") festgelegt. Darum ist die Abstimmung darüber zwischen teilnehmenden Spielern sehr wichtig.
Die tatsächliche Spielwelt orientiert sich der Einfachheit halber im kleinen Rahmen (etwa bei der Betrachtung einzelner Straßenzüge und deren Häuser und Innenausstattung) prinzipiell an der Engine-Welt. Zuständige Spieler stehen dann in der Verantwortung, Modifikationen bekannt zu machen.
Zwei Vergleiche
Rollenspiel findet auch im Theater statt. Ein Schauspieler nimmt die Rolle einer Figur ein und verhält sich so wie sie es in der gegebenen Umgebung tun würde. Das Durchbrechen der vierten Wand (also der Wand, durch der der Zuschauer das Geschehen sieht und durch die er vom Geschehen getrennt ist) durch direkte Interaktion mit dem Zuschauer gilt auch hier als Stilbruch (wobei auch daraus zumindest im Theater ein eigener Stil geworden ist) und Personen, die auf der Bühne herumlaufen, um möglichst außerhalb der Sicht des Zuschauers Dinge am Set zu verändern, werden als Luft behandelt. Die Umgebung repräsentiert lediglich die Welt des Schauspiels und ist nicht 1:1 zu nehmen. Ein Königssessel aus Pappmaschee ist in jener Welt aus Gold und mit Samt bezogen und eine vor die Scheinwerfer fliegende Motte ist im Theaterstück nicht tatsächlich vorhanden.
Sicherlich haben nicht wenige auch schon einmal in einem kindlichen Rollenspiel wie dem "Vater-Mutter-Kind"-Ensemble mitgespielt oder wissen damit zumindest etwas anzufangen. Auch hier lässt sich gut verdeutlichen, dass selbst in einer komplett irrelevanten Umgebung (im Garten) ein ganzer Haushalt nachgespielt und ausgedacht werden kann. Besondere Wichtigkeit kam schon im Kindesalter der Absprache zu, da eben viele Aspekte neu dazu erfunden werden mussten und alle Charaktere wichtig waren, aber auch in ihrer Rolle erheblichen Einfluss auf die Figuren der Mitspieler nehmen konnten.
Manch einer wird sich auch daran erinnern, dass es einige Kinder gab, mit denen das Zusammenspiel besonders schwer fiel, weil sie die Mitspieler vor vollendete Tatsachen gesetzt haben und nicht kompromissbereit waren. Diese Kinder sind groß geworden und finden sich auch in jeder Rollenspiel-Community wieder. Ich werde versuchen zu zeigen, wie man dieses Verhalten ablegt und ihm sogar bei anderen entgegenwirkt und dadurch auf Dauer für alle ein schöneres Erlebnis schafft.
2 Warum Rollenspiel?
Die Faszination am Rollenspiel kann von vielerlei Gründen herrühren und ist für jeden Spieler einzigartig. Gerade weil sie einzigartig ist, ist es wichtig, jeden Spieler zu respektieren und über Empathie so weit zu versuchen zu verstehen, dass man zu wegbereitenden Abmachungen und Kompromissen kommt.
Dieser Abschnitt ist recht ausführlich und behandelt einen tiefer gehenden psychologischen bzw. sogar philosophischen Teilbereich des Rollenspiels, der für das Verständnis des Leitfadens nicht unbedingt notwendig ist. Wer sich gern stärker mit Einfühlsamkeit beschäftigen möchte oder wissen möchte, welchen Gewinn Rollenspieler für sich ziehen können, sollte sich diesen Teil vermutlich nicht entgehen lassen, andere können ihn auch gern überspringen.
Ein Grund dafür, ins Rollenspiel einzusteigen, ist das emotionale Erlebnis, das man mit seinem Charakter teilt. Wer seine Figur ausfüllt, fühlt auch zu einem gewissen Grad mit ihm. Man hat bei Romanzen Schmetterlinge im Bauch, Konflikte führen zu mulmigem Gefühl und Herzpochen und Ärger wird genauso mitempfunden wie Freude.
Diese emotionale Bindung sorgt auch dafür, dass bei fahrlässiger Behandlung der Materie zu viele Überschneidungen stattfinden, sodass man zum Beispiel plötzlich außerhalb der Rolle sauer auf Mitspieler wird, weil man sich persönlich angegriffen fühlt durch die Art und Weise, wie sie ihren Charakter spielen. Deshalb ist es wichtig, dass diese übertragene Emotionalität niemals Basis einer außerspielerischen Entscheidung oder Interaktion wird.
Hilfreich kann dabei sein, dass man vermeidet, seine eigene Weltanschauung auf den Charakter zu übertragen. Dabei wird die emotionale Bindung in der Regel ausreichend abgeschwächt, um sich nicht gänzlich in das Spiel hineinzusteigern und abzuheben.
Ein anderer wunderbarer Gesichtspunkt ist die Möglichkeit, sich kreativ auszuleben und zu verwirklichen. Fast jeder Künstler strebt danach, mit seinen Werken andere zu begeistern und es gibt in diesem Zusammenhang wenig, vielleicht sogar gar nichts Schöneres, als wenn das selbst Erschaffene zu Begeisterungsstürmen führt.
Dabei ist selbstverständlich wichtig die Relation zwischen Kreativität und Konformität zu beachten, da in einer bestehenden Welt Gesetzmäßigkeiten vorhanden sind, die man nicht einfach übergehen kann. Letzteres führt zu massiver Ablehnung durch Mitspieler und wird in der Regel mit Ignoranz gestraft.
So ist ein im Sonnenschein glitzernder, gut aussehender Vampir sicherlich ein kreatives Meisterwerk (oder auch nicht), aber unmöglich in der offiziellen Welt von Guild Wars. Ein Versuch, ein solches Konzept öffentlich durchzudrücken, ist gleichzusetzen mit dem Versuch, einen einfliegenden Sternenzerstörer in Romeo und Julia zu rechtfertigen. Diese Figuren (sowie auch andere dazuerfundene Konzepte) können nur im kleinen Kreis und unter Ausschluss anderer Spieler ausgelebt werden und sind für das öffentliche Rollenspiel ungeeignet.
Einhergehend damit ist es sicherlich auch ein herausragendes Gefühl, diese fiktive und wundersame Welt durch die Augen seiner Figur direkt zu erleben. Es kann bereits sehr spannend sein, als einfacher Verkäufer die Abläufe und Vorkommnisse in einer so realitätsfernen und bemerkenswerten Landschaft wie der von Guild Wars zu beobachten. Da laufen riesige Löwenmenschen und nordisch angehauchte Wandschränke durch das Bild, jede Rasse hat eine eigene, außergewöhnliche Kultur und Vergangenheit und so weiter und so weiter.
Es kann schon bereichernd sein, die verschiedenen Reaktionen der in dieser Welt implementierten Figuren verschiedenster Herkunft zu verfolgen und die Welt in ihrer Lebhaftigkeit zu erfahren.
Gerade deshalb möchte ich auch an dieser Stelle nochmal erwähnen, dass der Einfluss, den man als Spieler auf die Welt nimmt - sei es durch Charaktere, Plots oder andere selbst geschaffene Rollenspielmaßnahmen -, immer auch der Verantwortung unterliegt, diese Welt nicht zu zerstören, indem man mit ihrem Regelwerk bricht. Jedes kreatives Produkt muss vor der Veröffentlichung einer Kontrolle unterzogen werden, bei der nach Unstimmigkeiten gefahndet wird.
Auch eine Figur, die stereotypisch quickfidel durch die Stadt hoppst und allem und jedem in die Arme fällt, weil es so fröhlich und naiv ist, ist nicht mit der Umgebung zu vereinbaren. Ohne Wehrhaftigkeit und gemildertes Verhalten an den meisten öffentlichen Orten wird die Figur zwangsweise von zwielichtigen und eher fürchterlichen Personen, die es in dieser Umgebung in nicht geringer Zahl gibt, irgendwann in ihrem Leben missbraucht, was wiederum zu einem Paradoxon mit ihrem Charakter führt.
Vielleicht hat der eine oder andere Einsteiger in jüngerer Vergangenheit auch schon einmal im stillen Kämmerlein die Rollen mit fiktiven bzw. virtuellen Charakteren getauscht und kennt diese Gefühle im Ansatz und möchte es jetzt auf realistischere und lebendigere Weise mit anderen erfahren. Bitte vergesst jedoch nicht, dass diese Welt nur miteinander lebendig wird und sie nicht für einzelne Spieler gemacht ist. Um zu einer möglichst makellosen Immersion und einem schöneren Rollenspielerlebnis zu gelangen, muss jede Aktion auch im Dienste der Gemeinschaft stehen. Das mag kompliziert klingen, bedeutet aber letztlich nur, dass ohne Reflektion nicht nach Lust und Laune und aus dem Bauch heraus Dinge in die Welt gesetzt werden, mit der sich die anderen dann schon irgendwie herumplagen sollen - Hauptsache Spaß. Ich verspreche, dass dieser Spaß nur von kurzer Dauer und für niemanden wirklich befriedigend ist.
3 Charakterkonzeption
Der erste Einfluss, den man auf die Spielwelt in der Regel nimmt, ist die Konzeption des eigenen Charakters. Diese Figur wird fortan, möglicherweise unter anderen folgenden Charakteren, das eigene Gesicht im Rollenspiel sein. Man legt grundlegend fest, welchen Hintergrund der Charakter hat, was ihn auszeichnet und was er im Moment in der Spielwelt macht, um zu überleben. Hierbei werden auch schon erste Verhaltensweisen in und außerhalb von Interaktionen erdacht, um der Figur gleich mehr Leben einzuhauchen und ihr neue Facetten zu verleihen.
Weil ein Charakter nicht mir-nichts-dir-nichts neu geschrieben werden kann, wenn er erst einmal im Rollenspiel aufgetaucht ist, sollte schon in der Konzeption höchstes Augenmerk darauf gelegt werden, welche Konsequenzen jeder erdachte Aspekt haben wird und wie das Konstrukt mit der Außenwelt interagiert. Dies geschieht unter dem Gesichtspunkt, dass der Charakter gewissen Regeln unterliegen und eine interne wie externe Sinnhaftigkeit bezeugen muss.
3.1 Faszination vs Lore-Grenzen
Der Brunnen der Fantasie sprudelt im Rollenspiel in der Regel am höchsten bei der Erstellung und Einführung von etwas Neuem - etwa einer neuen Figur. Dabei nimmt die Faszination für das Spiel und die mit der Erstellung verbundenen Kreativität auch gerne mal Überhand und schafft Dinge, die unzulässig sind oder einem Großteil von Mitspielern sauer aufstoßen, weil sie sich über Abmachungen hinwegsetzen oder schlichtweg übermäßig erscheinen - also zu stark im Vergleich zu anderen Figuren der Welt.
Es muss immer klar bleiben, dass Charaktere, deren Potenz über die anderer weit hinausragt, teilweise unerreichbar hohe Erwartungen an einen verantwortungsvollen Umgang damit schaffen. In einem Rollenspiel mit so vielen Mitspielern muss man sich deshalb damit anfreunden, keine Helden der Geschichte zu spielen. Nicht jeder kann ein Held sein, stattdessen einigt man sich innerhalb der Gemeinschaft darauf, tendenziell bodenständige und normalsterbliche Figuren zu spielen.
Dazu gehört auch, dass dem Wunsch nach (emotionaler) Verwirklichung zwei Dinge im Wege stehen. Zum einen, der offensichtliche und statische Teil, die Lore und die Regeln, die sie mit sich bringt. Ohne gleich das ganze Theaterstück zu zerstören, kann man eben aus seiner Welt nicht mehr machen, als sie eigentlich hergibt.
Zum anderen spielt man das Spiel nicht allein.
Jeder Spieler muss sein Bewusstsein dahingehend schärfen, dass neben einem selbst auch andere Spieler versuchen, ihre Konzepte zu verwirklichen und dabei bestimmte Vorstellungen und Wünsche haben. Diese können völlig anderer Natur sein als die eigenen und deshalb im ersten Moment befremdlich wirken. Aber nur, weil Madame A aus emotionalen Gründen heraus spielt und mit ihrem Charakter eine tiefgehende Symbiose eingeht und Herr B als Pragmatiker die Welt so realistisch wie möglich halten will und auch kleinste Details aus der Lore kennt, heißt das nicht, dass einer der beiden grundsätzlich falsch handelt oder sich außerhalb von akzeptablen Konventionen bewegt. Selbst, wenn Herr B beginnt, Madame A zu ignorieren, weil sie sich weigert ihren Charakter so zu spielen, wie es der Perfektionist Herr B gern hätte, heißt das nicht, dass Herr B ein Tyrann und Madame A eine Zicke ist (ich möchte mich an dieser Stelle dafür entschuldigen, auf derartige Stereotypen zurückzugreifen).
Einen solchen Interessenskonflikt sollte man wie alle Probleme in einer Gemeinschaft, in der die erfolgreiche Interaktion das mit Abstand Wichtigste ist - auch für jeden einzelnen - mit Empathie und gegenseitigem Verständnis angehen.
Hinter jeder Figur sitzt ein Mensch, der Erfahrungen sammelt und sich auf Basis dieser anders verhält. Er lernt mit der Zeit und wird in dem, was er tut, besser, wenn er diesem Lernprozess offen gegenüber steht. Darum ist es wichtig, dass neue Spieler auf der Suche nach konstruktiver Kritik sind und alte Spieler erstere unterstützen, anstatt sie abzulehnen.
Dieser leider dennoch allgegenwärtigen Ablehnung kann man als Neuling insofern entgegenwirken, indem man sich vor dem Ausspielen einer neuen Idee, also auch vor der Implementierung eines Charakterkonzepts, den Rat eines erfahrenen Spielers einholt. So groß die Abscheu gegenüber glitzernden Vampiren ist, so groß ist auch die entwaffnende Kraft eines Hilferufs. Nur, wer sein Gegenüber mit Ignoranz, fehlendem Respekt und ohne Vertrauen gegenübersteht, steht erfolgreichen, gemeinsamen Rollenspiel-Abenden im Weg.
3.2 Wissensansammlung und Konzeption
Deshalb ist der erste Schritt vor der Erschaffung eines neuen Charakters, sich mit der zukünftigen und vergangenen Umgebung vertraut zu machen. Man kann sich etwa Abhandlungen zu bestimmten Abschnitten der Welt ansehen, die für die Figur relevant werden. Am besten macht man sich gleich so weit mit der Lore vertraut, bis man sich weit genug herangetastet hat, um auf nahezu alle Fragen, die dem Charakter über sein Wesen und seine Vergangenheit gestellt werden könnten, eine Antwort zu haben. Und selbst wenn noch ein recht großer Puffer an Ahnungslosigkeit besteht: Lass dir von anderen helfen. Geh auf einen bestehenden Seraphen-Spieler zu, wenn deine Figur mit dem Militär zu tun haben soll, und frag ihn aus über alles, was du wissen möchtest. Und halte ihn dir warm, falls du irgendwann in die Verlegenheit gerätst, im Spiel keine Antwort mehr zu wissen.
Und auch zu diesem Zeitpunkt ist es sinnvoll, anstatt sich irgendeinen halbgaren Unsinn aus den Fingern zu saugen, den direkten Mitspieler darauf hinzuweisen und gegebenenfalls nach Hilfe zu fragen. Rollenspieler haben grundsätzlich ausreichend viel Geduld, Empathie und Hilfsbereitschaft, um dich zumindest nicht vollkommen auflaufen zu lassen.
Die Ansammlung von Lore-Wissen hilft nicht nur Mitspielern, sondern auch einem selbst. Wer die Welt kennt, erlebt sie anders. Vielfältiger, lebendiger und letztendlich reicher. Gerade deshalb ist eine Verletzung der durch Spieler und Spielwelt erzeugten Immersion durch das (möglicherweise unwissentliche) Abändern von bestehenden Regeln und Tatsachen ein nicht zu verachtendes Ärgernis.
Ich empfehle auf Basis der bisher beschriebenen Herausforderungen, dass man - wenn auch nur für kurze Zeit - als erstes einen von der Aufgabenverteilung her sehr simplen Charakter erstellt - etwa einen Normalbürger, der in einer Bäckerei als Lehrling arbeitet und abends gerne die Überreste an süßen Backwaren in Tavernen oder an öffentlichen Plätzen verteilt. Die Verantwortung gegenüber der Spielwelt ist bei solch einer Figur sehr gering. Man kann möglicherweise nicht gleich allen seinen Vorstellungen an das Rollenspiel gerecht werden, aber so eine Nebenrolle ist ein sehr potentes und empfängliches Ohr für alles, was dort draußen vor sich geht.
Man kann ungezwungen Gespräche führen, muss nicht allzu sehr auf Etikette achten und kann unbeschwert in die Welt eintauchen, um einen ersten Eindruck zu gewinnen. Hierbei macht man sicherlich auch Lore-Erfahrungen, die man vorher gar nicht für notwendig erachtet hätte, jetzt aber plötzlich als selbstverständlich und bereichernd für zukünftige Charaktere ansieht.
Grundsätzlich ist festzuhalten, dass vor allem für neue Spieler das Einnehmen einer reagierenden bzw. passiven Rolle für die ersten Abende eine große Bereicherung sein kann. Nicht zuletzt weil keine Erfahrung durch gute Vorbereitung ersetzt werden kann, bietet dieser Guide auch prinzipielle Richtlinien, statt zu versuchen, für jede Situation eine mögliche Antwort zu geben.
3.3 Das Charakterkonzept auf dem Prüfstand
Ein Konzept muss unter anderem grundsätzlich unabhängig von der Lore folgenden Fragen standhalten können:
- Gefällt mir der Charakter?
- Wie werden andere Spieler in der Welt auf ihn reagieren und fällt diese Reaktion beim Spieler selbst positiv oder neutral aus?
- Wie verhält sich der Charakter in Gegenwart anderer, was sind seine Eigenschaften und Wertvorstellungen?
- Welchen Einstieg ins Rollenspiel habe ich mir durch seine Beschäftigung oder Verhaltensweisen gesichert? (Sind die relevanten Mitspieler dazu informiert?)
- Welche Risiken birgt das Konzept für den Charakter? Muss ich gegebenenfalls bereit sein, ihn in einer selbst herbeigeführten Situation sterben zu lassen?
- Habe ich genug Wissen über Hintergrund und Umgebung des Charakters, um der Figur gerecht zu werden und im Rollenspiel ordnungsgemäß zu reagieren?
- Welche Ziele hat der Charakter? (Beruflich, romantisch, etc.)
Diese Liste ist bei Weitem nicht vollständig und ich bitte um Vorschläge für Ergänzungen.
4 Miteinander spielen
In einer Welt, in der alle relevanten Aktionen von Spielern ausgehen, muss man sich mit diesen arrangieren.
Jeder Spieler wird versuchen irgendwie in Interaktionen einzusteigen und Beachtung für seinen Charakter zu erhalten. Dies kann über Körpersprache oder das gesprochene Wort geschehen.
Dabei ist Rollenspiel ein ständiges Nehmen und Geben, was dazu führt, dass man sich durch die Bespaßung anderer rückwirkend wieder selbst bespaßt.
In diesem gegenseitigen Unterhalten begegnet man neben gespielten Figuren auch anderen Menschen, die ihrerseits relevant sein möchten und bestimmten Zielen nachgehen, die sie sich für das Rollenspiel gesteckt haben. Jeder Spieler muss daher auch einzigartig und einfühlsam behandelt werden.
4.1 Respekt
Respektiert die Wünsche und Ansichten eines jeden Spielers. Wenn sich diese Vorstellungen von euren so sehr unterscheiden, dass sie nicht mehr im Rollenspiel vereinbar sind, einigt euch auf einen Kompromiss. Es bringt nichts dem anderen etwas im Stillen vorzuwerfen und ihn dann aus Trotz heraus im Rollenspiel vor vollendete Tatsachen zu stellen, wodurch man sich eine ausbleibende Reaktionsmöglichkeit erhofft. Geh beim Bemerken einer Diskrepanz gleich auf ihn zu und sprich mit ihm in einem privaten Gespräch darüber, was seine Vorstellungen und deine sind und versucht dann zu einer Einigung zu kommen, damit das Rollenspiel weiter gehen kann.
So kann zum Beispiel ein Spieler nicht dazu gezwungen werden, dass er sich ergeben muss, indem man ihn mit drei Schurken umstellt. Wenn er aus welchen Gründen auch immer sich nicht darauf einlassen möchte, hier und jetzt eine Auseinandersetzung zu haben, wird er eine Möglichkeit finden, sich über ebenso vollendete Tatsachen aus der Situation heraus zu mogeln. Er verleiht seiner Figur dann kurzerhand Superkräfte oder zaubert über einen Emote selbst drei Leibwachen herbei, die ja schon die ganze Zeit auf diesen Überfall gewartet haben.
Stattdessen kann man diesem anstehenden Wechsel aus Trotzreaktionen vorbeugen, in dem man dem Spieler von vorne herein den nötigen Respekt entgegenbringt, das Rollenspiel-Angebot abzulehnen. Dies kann zum Beispiel über einen unmittelbar vorhergehenden Austausch im Flüsterchat passieren. Oder man macht eine kurze Ankündigung über einen Emote, auf die er reagieren kann, bevor die Situation über ihn hereinbricht (es raschelt im Busch).
4.2 Distanz
So groß die Immersion auch ist, jegliches Geschehen im Spiel muss komplett unabhängig von Geschehnissen passieren, die außerhalb der wahrnehmbaren Erfahrung der Figur stattfinden. Dazu gehören sowohl Informationen, die man als Spieler erhält, von dem der Charakter aber nichts wissen kann, als auch Emotionen, die außerhalb der virtuellen Welt entstehen können.
So wenig du die eigenen Kopfschmerzen auf deinen Charakter überträgst, so wenig sollte auch die Figur eingeschnappt auf mächtige Magie reagieren, nur weil du den Eindruck hast, dass die Anwendung dieser Magie gerade völlig aus dem Rahmen fällt.
Ebenso sollte jede Äußerung von anderen Charakteren wahrnehmbar sein. Umstehende Figuren können nicht wahrnehmen, dass dein Charakter sich zu Tode langweilt und jetzt lieber nach Hause geht. Besser wird das Wahrnehmbare beschrieben und umschrieben - mit ein wenig Wortgewandtheit kann man die Intention hier auch einbauen.
So kann es dann zum Beispiel heißen, dass dein Charakter müde durch die Gegend schaut und eine Schnute zieht, als widere ihn das alles hier furchtbar an, und verlässt dann murrend die Örtlichkeit.
Ein Vergleich mit "als ob", "wie" oder ähnlichem Wortgeplänkel beschreibt hierbei, wie etwas aussieht, ohne dabei jede Muskelregung im Detail beschreiben zu müssen und gleichzeitig ohne die möglicherweise abweichende Intention preiszugeben. Hier im Beispiel kann ein anderer Spieler, dessen Charakter ein angewidertes Gesicht sieht, nun interpretieren, dass deine Figur seine Mitmenschen für niederen Abschaum hält und stellt sich vor, dass er aus reiner Arroganz den Ort verlässt. Das kann wie im echten Leben spannende Wendungen und Interaktionen nach sich ziehen und die Ungewissheit des Beobachters sorgt für mehr Gesprächsstoff: Warum guckt er denn nun so? - Na, weil er sich erhofft hatte, dass hier die Damenwelt in Röcken auf den Tischen tanzt, was denn sonst?
4.3 Vertrauen
Der am meisten missachtete Aspekt unter erfahrenen Rollenspielern, die von zurückliegenden mitverschuldeten Negativerfahrungen gleich auf zukünftige Situationen mit Mitspielern projizieren und auf ein Neues selbst für schlechte Erfahrungen sorgen.
Jeder Spieler, der über den ersten Entwicklungsschritt hinweg ist (und das bist du in kürzester Zeit, wenn du diesen Leitfaden für dich verinnerlichen und nutzen kannst) und verstanden hat, dass das Rollenspiel ein gemeinschaftliches Spielen ist, bei dem viele unterschiedliche Menschen mitwirken, wird mit nahezu einhundertprozentiger Garantie verstehen, wie sich seine Aktionen für andere anfühlen, wenn er selbst "andere" ist.
Darum gilt es, jedem Spieler das nötige Vertrauen zukommen zu lassen, dass er keine Entscheidungen treffen möchte, die anderen Spielern (nicht Charakteren) schaden. Jedem Rollenspieler liegt eine notwendige Einfühlsamkeit zugrunde, die ihn dazu zwingt, bei richtiger Behandlung einzulenken, wenn man ihm einen Missstand erläutert und um einen Ausweg oder um Hilfe bittet.
Deshalb ist es notwendig im Grundsatz zu vertrauen, dass jeder Spieler einer gemeinsamen Lösung gegenüber aufgeschlossen ist und eine respektvolle und unvoreingenommene konstruktive Diskussion darüber führen kann, damit das Rollenspielerlebnis für ihn und seine Mitspieler zumindest gleichbleibend angenehm fortgeführt werden kann.
Im Detail bedeutet das auch, dass man als Schurke in der oben genannten Situation dem Opfer vertraut, dass es sich konsequenterweise angreifen lässt, wenn es die Umstände erlauben, und ihn deshalb vorher vorbereitet und eine Möglichkeit zur Abwendung der Situation gibt. Gleichzeitig ist das Opfer dazu angehalten, den Schurken zu vertrauen, dass sie nicht einen sinnlosen Raubmord vollbringen, dessen einzige greifbare Konsequenz der Verlust des Opfer-Charakters ist, sondern möglicherweise nur ein paar Münzen stehlen oder ihn aufgrund eines zurückliegenden Konflikts vermöbeln wollen.
5 Schlusswort
Ich hoffe, dass die Ratschläge aus diesem Leitfaden euch auch weiter ein Leitfaden bleiben und die grundlegend wichtigsten Aspekte, die dem wunderbaren und bereichernden Rollenspiel vorausgehen und inne sind, nie vergessen werden - so aufgeregt oder verärgert man auch sein mag.
Rollenspiel funktioniert nur in der Gemeinschaft und jeder steht in der Verantwortung, diese Gemeinschaft zu fördern. Dazu gehört auch, über den eigenen Schatten hinweg zu springen, Kompromisse zu schließen und nach Möglichkeit in Konflikten stets konstruktiv auf eine Lösung hin zu arbeiten. Dies zieht sich durch alle Aufgabenbereiche in und um das Rollenspiel herum, wann immer es darum geht, das gemeinsame oder individuelle Spiel zu optimieren.
Lasse niemals zu, dass schlechte Erfahrungen dich abhärten und weniger zugänglich machen für andere Spieler. Lerne stattdessen daraus und hinterfrage mithilfe anderer, was du möglicherweise bei deiner eigenen Herangehensweise ändern kannst, um das nächste Mal ein besseres Ergebnis zu erzielen.
Dann steht weder in naher noch in ferner Zukunft etwas zwischen dir und dem Rollenspiel-Glück als Löwenmensch-Raubein oder Erfinder-Winzling!
Bei ungelösten Problemen beim Einstieg oder bereits später im Rollenspiel biete ich mich fortan auch als Mentor an. Dieser Leitfaden ist nur der Beginn.
Viel Spaß und Glück auf!
Ivan "Unfussable" Sadžakov
6 Nützliche Links
Lore
Englische Youtube-Series über die Welt und die Ereignisse vor Guild Wars 2
Die englische Wiki (detaillierter als die deutsche)
Timeline der Geschehnisse im Guild Wars-Universum
Landkarte der betretbaren Regionen in Guild Wars 2
Sonstige
Angrams praxisnaher Rollenspiel-Guide für SWTOR - dennoch nützlich!
Das kleine Mentorprojekt zur nahen Begleitung in die ersten Stunden Rollenspiel
To be continued...