Vor dem Anwesen der Familie Iorga standen immer Söldner, mindestens zwei, zu schlechten Zeiten, wenn bestimmte Anlässe den Patriarchen zur ärgerlichen und kostspieligen Pflicht veranlassten, für größere Sicherheit aufzukommen, auch mehr als das. Und obwohl sich in der Gegend gemeinhin ein Bewusstsein dafür durchgeschlagen hatte, dass die Wächter an der Pforte nicht gern sprachen und sich auf keine Unterhaltung einließen, kamen manchmal Neugierige auf den Zamonplatz, striffen vorbei und bewarfen die Söldner und das Haus mit ihren wissbebierigen Blicken. Auf dem Markt sprach man davon, dass das Fräulein Weißenstein in letzter Zeit sehr oft auf dem Weg zum Haus gesichtet wurde, und dass man sie nie abwies sondern immer, ja zu jeder Zeit einließ. Man erzählte sich zwischen Apfelfeilschen und Erdbeerenkauf, dass der Trickspieler, der die Leute vor der Wunderlampe abgriff und sie mit vielerei Kunststück um ihre Münzen brachte, ab und zu bei den Söldnern sei, und dass ein Nachbar sogar gesehen haben wollte, wie sie er sie zu einer Unterhaltung herumbekommen hatte. Die Rede war auch von dem eigenbrötlerischen Elonier, der sich ebenfalls gern bei der Wunderlampe herumdrückte – er hatte dort eine Wand, an der er immer stand, die er bewachte, das war sein Posten – der oft beim Anwesen ein und aus ging, der sogar einen solchen Ruf bei der Familie genießen musste, dass die Wachmänner ihm öffneten, ohne zuvor den Hausdiener zu rufen. Von dem sprach man in guten Tönen auf dem Markt. Der tumbe Vito war, wie jeder wusste, kein Gelehrter und weit davon entfernt, jemals einer zu werden. Aber er hatte starke Arme, er half den alten Frauen beim Tragen, wenn er Zeit hatte und er kannte, auch wenn er aussah wie der gröbste Schläger aus den Löwensteiner Docks, ein paar Hausmittel und Rezepte, die langjährige Hausfrauen in staunende Blässe versetzt hatten.
Man war sich einig, dass die Freundin des Nikolaj Iorga, jener welcher im Übrigen der seltsame Knabe mit dem Schwert war, der ein so schönes Gesicht, aber einen unangenehm kalten Blick hatte, Hannah hieß, dass sie für den schwerreichen Antiquitätenhändler Brason arbeitete und ein unfreundliches Geschöpf war, das nicht anständig sprach. Wer nicht ganz so hart in seinem Urteil war und ihre guten Taten für Melandrus Zwecke ansprach wurde einfach übergangen.
Leon und Ilie Iorga wurden in der letzten Zeit wenig gesehen, aber ein Einkäufer wusste zu sagen, dass beide sich derzeit in Shaemoor aufhielten, und Leon dort ein paar Felder erstanden hatte, denn er wollte nun Obst anbauen und es blühten für ihn Mohn und Korn. Ganz in der Nähe des Anwesens hatte im alten Heilhaus die neue Ratsherrin Rawson ihr Büro, und die wäre mit dieser eigenartig lauten und störrischen Familie verbrüdert. Früher, so erinnerten sich zwei gemeinsam, waren es der Graf Di Saverio und seine Alessa, die engen Kontakt mit der Familie Iorga geknüpft hatten, doch diese Gepflogenheit mussten sie aufgegeben haben, obwohl niemand sagen konnte, weshalb. Nur einer aus der Familie wurde immer noch bei den Di Saverios gesehen, und diesen traf man dafür kaum mit seiner eigenen Sippe. Ob jemand das Fräulein Sullivan kenne, fragte eine von den Marktfrauen. Sie lebe auf der Balthasar-Hochstraße, und manchmal sähe man sie in Begleitung des Victor Iorga, der für einen furchtbaren Mann gehalten wurde, der zu streng nach Rasierwasser roch, zu lärmend lachte und das Gewehr zu schnell vom Rücken zog. In letzter Zeit aber war sie oft mit dem Fräulein Helena zu sehen, die sich mal hochnäsig gebarte und dann beim nächsten Treffen wieder zwitschernd und quirlig lachend wie ein Kind den Leuten aus blauen Augen heraus ins Gesicht strahlte. Vom Ratsherren Iorga, der mit Vornamen Adrian hieß, immer sehr verbindlich tat und doch manchmal so ernst und rabiat dreinschaute, dass einem unwohl werden konnte, wusste man wenig zu sagen. Angeblich ließen die Familienmitglieder einen überhaupt nur zu ihm hin, wenn einer aus der Verwandtschaft bei ihm für einen vorsprach. Das klang den meisten Marktfrauen reichlich nach Gewäsch, aber weil es sich gut erzählen ließ, wurde es gern aufgenommen und in einem Zuge damit erzählt, dass Adrian Iorga außerdem eine Tochter habe, die nun in der Stadt sei und schon ein junges Zeitungsmädchen bestochen habe, über sie zu schreiben – anders ließe sich kaum erklären, dass nicht das Fräulein Weißenstein als best gekleidetste Frau der Stadt erwählt wurde, oder immerhin eine andere, die man wenigstens kannte. Es bot sich überhaupt einiges an dieser Familie an, um sich darüber das Maul zu zerreißen. Einer der jüngeren Burschen zum Beispiel, nicht der Schnapsbrenner, den man als Bruder jener Ärztin kannte, die sprach wie ihr der Mund gewachsen war, deren Mund aber manchmal von so einigem erschreckenden Auswuchs befallen war, sondern einer, von dem man überhaupt nicht einordnen konnte, wie er dazu gehörte, obwohl er zweifelsohne ein Iorga war. Über diesen nämlich redete man, dass er mit Lotusmädchen gut und viel verkehrte. Und Bastardkinder setzten diese Leute in die Welt, dass es eine Schande sei. Als aber ein Schwätzer, der nichts kaufen wollte, sondern nur zum Mitreden gekommen war, erzählte, dass die taube Claire, deren Nachnamen keiner wusste, von dem schlimmen Victor ein Kind bekommen hatte, wussten ihm alle zu widersprechen. Es war diese Claire nur das Mündel des alten Trinkers, und er deshalb aber nicht weniger stolz. Dafür hatte des Ratsherren Iorgas Schwester, von der man wusste, dass sie ein schönes Gesicht hatte, sich aber die Ohren mit Ringen unbedingt zerstechen hatte müssen, einen Jungen bekommen, aber der Mann an ihrer Seite hatte sich seither geändert.
So war es kein Wunder, dass die Familie Iorga bei all ihrem Reichtum und Einfluss an vielen Stellen derart unbeliebt war, erzählte man sich wissend und tauschte vertrauliche Blicke aus. Und doch war ihr von allen Seiten so eine Mannigfaltigkeit guter Kontakte beschert, denn mit der Gräfin von Nebelstein und ihrer Zofe sowie dem Fräulein Emilie La Blanche sollte sie angeblich eine Freundschaft verbinden, obwohl das Letztere kaum ein Wunder war und kaum ein Lob. Ein jeder wollte nun die skandalträchtigste Geschichte der vorlauten Lablanche erzählen. Und zu den finsteren Ecken sollte die Familie auch ihre Geschäfte pflegen, behauptete einer und erzählte im Austausch für einen Apfel, dass die Lumpenhunde aus den Marktvierteln, der Gossenheiler und die blasse Schwarzträgerein aus dem Flaschenhals etwa, ihre Beziehungen zu Mitgliedern der Familie haben sollten. Dafür waren die Stände in Ossa sicher, und wer sich mit der Familie gut gestellt hatte, der konnte sich gewiss sein, dass nur die ganz Dummen einen noch zu berauben versuchten, und dass sie es später bereuten. Auch dem Schmied, dem Sarin, hatte die Familie ihre Freundschaft angeboten, behauptete der Mann mit dem Apfel, der ihn schon halb gegessen hatte und deutete den Anstieg hinauf. Und der Ratsherr Iorga trüge ein prächtiges Rapier mit beeindruckendem Handkorb, das die Schmiede dort oben ihm gefertigt habe, und es sei eine Arbeit von solcher Kunstfertigkeit, dass man Adrian das gute Stück ruhig neiden könnte. Aber trotzdem, hieß es wieder. Es war doch kaum verwunderlich, dass die Familie soviel Unbeliebtheit auf sich zog, wo sie doch gar so halsstarrig und arrogant herumlief. Als sich dann die Einkäufer lösten und es am Marktplatz stiller wurde, kam das burschikose Mädchen Mila Libanez, die wie alle nur für irgendjemanden ihren Dienst tat, den Marktleuten einen freundlichen Gruß sagte und von ihnen den Anteil abholte, den hier beinahe jeder früher oder später zu entrichten begann. Auch hier konnte man wieder geteilter Ansicht sein, doch maß man alle Möglichkeiten mit- und gegeneinander ab, musste man wohl auf die ein oder andere Weise eingestehen, dass es sich lohnte.
Kommentare 1