Teil II
Einige Wochen Reisezeit dauerte ihre Wanderung nach Götterfels nun schon. Ihr Weg führte sie gerade zum Sumpfhafen. Die Sonne stand weit über dem Zenit und der Geruch nach fauligem Morast vermischte sich mit dem beklemmenden Gefühl der Ungewissheit. Von dem Unterkonstabler erfuhr sie, dass sie mindestens vier Stunden brauchte um durch den Gottlosen Sumpf zu kommen und niemand wollte im Dunkeln durch dieses Gebiet. Genau das riet der Unterkonstabler ihr, aber sie war hart im Nehmen. Schatten machten ihr keine Angst und deshalb beruhigte sie den Unterkonstabler. Mit frischem Proviant setzte sie ihre Reise fort.
Wenig Licht fiel durch die hängenden Äste der Trauerweiden und das stete Brummen und Sirren von Funkenschwärmern sowie Leuchtkäfern hing einem immer in den Ohren. Die kleine Sylvari schritt nun seit Stunden über die knarzenden Dielen des Holzstegs. Ihre Aufmerksamkeit schwand mit jedem Schritt in Richtung Plangedanken.
Seit Stunden verfolgte die kleine Person im Mantel und Kapuze die beiden Banditen oder Piraten – was auch immer. Endlich wurde die Farm sichtbar. Das Muhen hörte man mit dem Wind schon von weitem. Die beiden Banditen hielten geradewegs zur Tür und hämmerten gegen diese. Schnell wurde aufgemacht, ein kleinerer Mann – mittleren Alters – bat die beiden rein und verschloss die Tür so schnell wie er sie aufgemacht hatte. Die kleine Verfolgerin huschte sich im Schatten der Männer ins Haus hinein. Das Haus selber war aufgeräumt und hinterliess einen sauberen Eindruck. Der Bauer, von nahem wirkte dieser etwas beleibter und um einiges ängstlicher, führte die Banditen, die den Bauer nun um Kopfeshöhe überragten – allen voran der Anführer, in eine kleine Kammer mit einem Tisch. Auf diesem befanden sich eine halb abgebrannte Kerze, ein einfaches Tintenfass und ein Blatt Papier. Scheinbar der Vertrag zwischen beiden Parteien. „Also, dann woll’n wir mal anfang’n“, sprach der Anführer, als John, der Bauer, hinter dem Tisch stand. Wie du sicherlich weisst, besteht uns’r Vertrag jetzt seit einig’n Jahren.“ „Fünf, um genau zu s- su sein“, lispelte Hegen dazwischen, der Anführer blickte den Dazwischenfunker wütend an und fuhr dann fort: „Ja… Fünf Jahre ist es her. Vor fünf Jahren haben wir den Überfall begangen, bei dem dein „lieber“, grosser Bruder ums Leben kam. Das Weibsstück liess‘n wir ja damals am Leben, nachdem du den Vertrag unterzeichnet hattest. In dem steht genau geschrieb‘n, dass wir eure Farm nicht überfall‘n, wenn du uns‘re Ware im Lagerhaus versteckst.“ Ein kurzes Atemholen. „Also… Warum willst‘n du den Vertrag brech‘n und meinst gegen uns zu rebellieren zu können. Immerhin hab‘n wir ja damals geholfen den alten Bauern loszuwerden und es ist uns’r gutes Recht eine Belohnung zu bekommen. Wenn du dich weigerst, die andere Möglichkeit besteht immer noch darin euch alle zu töten und dich als letztes.“ Während dem Sprechen spannte sich ein bedrohliches, boshaftes Grinsen über die Mundwickel des Bosses. Auch Hegen grinste listig. John dagegen wurde mit Wort um Wort bleicher, so dass er nun einem guten Stück Brie ähnelte. „Meine Kinder! Ihr könnt ihnen doch nichts antun. Es sind immerhin Kinder“, flehte er weinerlich. „A- aber versteht doch. Die Leute auf dem Markt reden schon von mir und es wird mir wöchentlich weniger Fleisch abgekauft. Sie wollen niemanden, der mit den Banditen zu tun hat.“ „Das tut uns ja furchtbar leid für dich, aber wir haben keine and‘ren Möglichkeiten in Betracht zu ziehen. Also entscheide dich: Der Tod deiner Familie und dir oder dein Gut als Lagerplatz für uns’re Ware“, die Stimme triefte anfangs vor Sarkasmus um danach hart sowie unerbittlich wie Dunkelstahl zu werden. „Wie alt is‘n dein Töchterchen? Vier oder fünf Jahre?“ fragend blickte der Banditenanführer John an, dieser antwortete zitternd: „Vier Jahre. Sie wird diesen Winter fünf.“ Ein Grinsen seitens der Banditen folgte. „Entscheidest du nun freiwillig oder muss deiner Kleinen erst… „etwas“ passieren?“, sprach der Bandit nun aus. John wurde noch einige Nuancen heller und auch etwas grünlich im Gesicht. „I- ich we- werde einstimmen und keine Gegenwehr starten, aber bitte, bitte tut meiner Kleinen nichts an. Ich liebe sie.“ Das Betteln und der flehentliche Blick reichten aus, um die kleine Person, welche sich in den Schatten drückte, in ihrer Meinung zu ändern.
Schnell huschte die vermummte Schattengestalt aus dem Haus hinaus und um sich in eine schattige Ecke ausserhalb des Hauses niederzulassen. Angestrengt atmete sie aus. Die Schattengestalt solange anzubehalten kostete Unmengen an Energiereserven. Ein Stupser brachte sie dazu aufzuschauen. Ein kleines, etwas vierjähriges Mädchen mit braunen Zöpfen und in einem blauen Kleidchen stand vor ihr. „Wer bist du?“, fragte diese mit piepsiger Stimme. „Ich bin Niemand. Aber kannst du mir eine Frage beantworten?“, lächelte die etwas grössere Gestalt. Das Mädchen nickte etwas verwundert. „Was kannst du mir über deinen Papa erzählen?“, lautete die Frage. „Papa ist toll. Er bringt mir das Flötenspielen bei und meinem Brüderchen hat er ein Holzpferd geschnitzt. Ausserdem liebt er Mama ganz doll.“ Die Kinderaugen leuchteten, als sie begann zu erzählen, dennoch trübten sie sich bei der nächsten Frage. „Kennst du die Männer, die soeben das Haus verlassen?“ „Nicht wirklich, aber Papa macht immer so ein trauriges Gesicht, wenn sie gehen. Und ein ängstliches Gesicht, wenn sie kommen. Sie sind böse.“, das Kind sprach mit solchem Ernst, das die Gestalt unter der Kapuze eine blättrige Augenbraue hob. Das Kinder schon so ernst sein können? Ein weiteres Mal fragte die Gestalt im Mantel, ob sie denn ihren Onkel kannte. Die Antwort war kaum überraschend, aber die Informationen, die mitgeliefert wurden, waren es: „Nein, ich kenne meinen Onkel nicht. Mama und Papa haben mal gesagt, er sei böse auf die beiden gewesen, weil Mama eigentlich die Frau von Papas Bruder gewesen sei. Sie durften sich nicht lieben. Ausserdem gehörte Papa damals der Bauernhof noch nicht, er war bloss Knecht gewesen. Aber dann kamen die bösen Männer und töteten meinen Onkel. So wurde Papa der Bauer und konnte Mama heiraten. Ich mag meinen toten Onkel nicht.“ Die Bestimmtheit in der piepsigen Stimme der Kleinen machte Eindruck auf die Gestalt. „Danke für die Informationen, Kleines. Ich hoffe, du kannst ein Geheimnis bewahren.“ Damit schlug die unbekannte Person ihre Kapuze zurück und darunter kam der blättrige Kopf einer Sylvari hervor. Die dunkelroten, fleischigen Kopfblätter hingen ihr ins Gesicht und die Augen leuchteten schmunzelnd. Dem Mädchen klappte der Mund auf, was auch immer sie sagen wollte, es blieb fürs erste verschollen. „Keine Angst, ich bin hier um Gerechtigkeit walten zu lassen, um deinem Papa zu helfen, aber er darf mich nicht kennen.“ Damit setzte sie ihre Kapuze wieder auf. „Die bösen Männer werden deinen Papa nicht mehr besuchen kommen. Versprichst du mir aber, mich nicht zu verraten?“, fragte sie noch. Das Mädchen nickte ernst. Unter der Kapuze sah man kaum merklich ein Lächeln, während sie einen Schritt in Richtung Schatten machte um 20 Meter weiter weg vom Haus wieder aufzutauchen. In Richtung Banditenlager.
Es war dunkel geworden im Sumpf. Das Knarren des Stegs wechselte mit den leisen Schritten auf erdigem Grund ab. Heute Nacht würde sie im Kloster Edvin schlafen.
Am nächsten Abend stand sie vor den Toren Götterfels‘. In den Gassen von Götterfels sollte sie ihre Meisterin treffen. Ihre Antwort würde lauten: Unschuldig. Laut einem Brief sollte sie sich in einem Zimmer im Gewürgten Flaschenhals treffen. Angekommen beim Zimmer, klopfte sie höflich. Eine dunkle Sylvari mit freundlichem Lächeln öffnete die Tür. Mit ihrer sanften, sopranen Stimme hiess ihre Meisterin sie Willkommen: „Schön, dass du hier bist, Thalaniel.“