Seit Stunden schon führten die Schritte der Norn durch den tiefen Schnee. Das graue Wolfsfell fester um den Hals gezogen und die Schnürung des Mantels ordentlich verschlossen, konnte die Kleidung zumindest etwas von dem bitterkalten Wind abhalten, der durch das Tal pfiff. Es war eine Hassliebe, die sie für diesen Teil der Gipfel empfand. Jeder Gang, jeder Windstoß und jede einzelne Schneeflocke die sie wie spitze Nadeln ins Gesicht traf war ein Genuss, ein Gefühl das sie wach hielt und im Hier bleiben ließ. Und doch waren es auch eben diese Flocken und eben dieser Wind, den sie hasste. Konnte das Wetter in den Klippen nicht einmal ein wenig abschätzbar bleiben?! Eine erneute Windböe verriet ihr die Antwort und sie atmete gepresst aus. Unweigerlich musste sie dabei an den vergangenen Abend denken, bei dem die Stimmung ohnehin schon so...durchwachsen gewesen war. Immerhin, sie hatte wieder etwas Neues kennengelernt, von dem sie sich den Namen noch immer nicht merken konnte. Tangsee...oder war es doch Teesang? Sie schüttelte den Kopf und verzog etwas das Gesicht. Dieser salzige Geschmack hing ihr noch immer im Mund, samt dem bitteren Beigeschmack, den ihre letzten Worte hinterlassen hatten die sie zum Raben gesprochen hatte.
Wieder einmal war sie gegangen, ohne auch nur einen Ton zu sagen. Wieder einmal war sie abgehauen, wie ein feiges kleines Kind, das vor einem Dolyak davon rannte. Hastig schüttelte sie ein weiteres Mal den Kopf und seufzte lautlos. Es musste sein. Zu sehr machten ihre Gemüter und ihre Einstellungen die Schere und es war nur eine Frage der Zeit, bis sie sich in einer Situation vorfinden würden, auf welche sich ihre Wege endgültig trennten.
Als sich Schnee in ihr Gesicht presste, riss sie das kalte Nass aus den Gedanken und sie blinzelte. Sie war hingefallen, lag in einer Wehe und schnaubte aus. Flucht war schon immer ihr Weg gewesen. Zumindest in solchen Angelegenheiten. Doch nun musste sie sich eingestehen, dass sie keinen Schritt mehr gehen konnte. Ohne Nahrung - der Rabe hätte sie niemals ohne aus der Hütte ziehen lassen - und ohne etwas zu trinken. Wenn sie Glück hatte, trieb sich noch ein Feuerstein in ihren Manteltaschen herum. So würde sie wenigstens etwas Schnee schmelzen können - nur worin?
Es war der reinste Scheißabend.
Das Bündel ihres Bogens wurde zur Seite gelegt und sie packte ihren Köcher dazu. Sie würde ohnehin nicht zu einem Schuss kommen, sollte sie angegriffen werden. Und sie brauchte eine Pause. Dringend. Zumindest so lange, wie der Schneesturm anhielt. So begann sie zu graben. Die behandschuhten Hände drängten sich in den Schnee und die Wölfin scharrte ihn hinter sich, so rasch sie konnte. Die Höhle musste nur so groß sein, dass sie darin sitzen konnte. Schon nach wenigen Bewegungen breitete sich das Gefühl der Hitze in ihrem Körper aus. Es war doch herrlich Norn zu sein. Andere wären vermutlich bereits erfroren. Solange sie sich in Bewegung hielt und wenigstens einen Teil der Wärme in ihrer kleinen Nische halten könnte - solange wäre sie sicher. Während sie grub, steckte sie sich immer wieder kleine Klumpen Schnee in den Mund. Kälte bei Hitze. Wenigstens würde sie so nicht von innen erfrieren. Ihre Hände gruben wie von selbst weiter und ihre Gedanken drifteten ab, weit weg vom Geschehen hier.
Zögere nicht, zu töten. Ein Leben zu nehmen ist einfacher, als es zu schenken. Nach ihrem Tod treten sie vor die Geister und müssen für ihre Taten gerade stehen. Daran ändert sich auch nichts, wenn man jemanden ausbluten lässt...
Du würdest dich in meinen Kampf einmischen. Es wäre mein Stolz, den du mit Füßen trittst, nur damit ich in deinen Augen die Ehre nicht verliere.
Nein. Wir kämpfen Seite an Seite und damit sind es unsere Kämpfe. Ich vertraue auf deinen Bogen, so wie ich dir meine Axt gebe..doch willst du jemandem den Tod nicht gleich schenken, mache es nicht vor meinen Augen.
Schwerfällig zog sie die Beine näher an sich heran, klopfte den Schnee am ehemaligen Eingang zu ihrer winzigen Höhle nochmals fest. Ein kleines Loch hatte sie gelassen, durch welches Luft hinein kam. Ihr Herz raste und die Schweißperlen standen auf ihrer Stirn. Nochmals schluckte sie, schluckte den Geschmack des Schnees und den Nachgeschmack des Tangs hinunter. Mit einem tiefen Atemzug schloss sie schließlich die Augen und wartete darauf, dass das Tosen des Windes und die Gedanken und Worte denen sie nachhing, ihren Geist übermannten und sie in den unruhigen Schlaf fiel.