Vergangenheit
"Wenn du da jemals hingehst, prügel ich dich durch ganz Löwenstein! Und... und.. außerdem schneid ich dir die Haare ab!"
Schnaufend wurden Finger geballt, zu kleinen Fäusten die doch bereits von Kraft sprachen. Kraft die sich mit den Jahren erst noch richtig zeigen würde.
Lippen wurden geschürzt und zurück geschnauft. "Das ist nicht fair! Die gehen da alle hin! Und außerdem weiß ich, wie man an Jim vorbei kommt! Mit ´ner Fahne!" "Fahne? Aha...willst dir erstmal einen ansaufen, Jia?" Erneut schnaufte der Junge mit den Bernsteinaugen abfällig in die Richtung der Kleinen. Er wusste genau das er ihren Trotz geweckt hatte und das sie nichtmal darauf reagierte, dass er drohte ihre goldenen Locken abzuschneiden zeigte ihm - das ihr Wille in den grimmigen Säufer zu gehen gewachsen war. "Stimmt nicht." "Stimmt wohl. Im Lied heißt es doch, das der Fahnen mag." "Jia, du hast wieder nicht zugehört und darum darfst du da nicht hin. Das ist gefährlich." "Och komm schon! Nie darf ich mit. Immer muss ich Wache stehen! Das ist sooo langwei.. he!", möppelte sie ihn protestierend an, als sich die Finger des Jungen um ihre Oberarme legten. Fester Druck, um die Aufmerksamkeit des Mädchens zu erlangen, der sich um dünne Arme schraubte. "Du bist enorm wichtig für uns. Versteh das doch endlich und jetzt hör auf rumzuzicken wie ein Skritt der sauern Käse erwischt hat - und steh Schmiere!"
Damit lösten sich die Finger, der Junge drehte sich um und ging. Ließ sie zurück. Mal wieder. Schnaufend und verärgert suchte die Kleine die Position auf, von der sie alles im Blick hatte. Klar war sie wichtig. Immerhin passte sie auf die Wachen auf, sagte Bescheid wenn jemand kam. Keiner konnte so gut pfeifen wie sie. Aber trotzdem! Kindlicher Trotz machte sich breit auf dem Gesicht mit der Stubsnase. "Selber Skritt...", murrt sie und schloß die Augen - und lauschte.
Heute
"Schätzchen? Was ist los?" Die sanfte Stimme Cadeas riss die Schöne aus ihren Gedanken.
"Hmm?", kam es über volle Lippen, als grüne Moosaugen ziellos umher huschten.
"Warum kommst du nicht?"
"Er ist wieder da."
"Wer er?"
"ER"
"ER!? Verarsch mich nicht."
"Klar ER. Er kam vor ein paar Wochen zurück. Ich erfuhr nur durch Zufall von ihm und hinterließ ein Schreiben und plötzlich stand er da. Er", ein leises Seufzen, begleitet von einem dümmlich verliebten Lächeln. "Und dann nahm er mich mit her. Er hat immernoch dieses schiefe Grinsen und diese wundervollen Bernsteinaugen.Obwohl nicht mehr der Junge von damals, inzwischen aber dieser unglaublich gut aussehende Mann und..."
Cadea lächelt zurück und schüttelte den Kopf "Du schwärmst schon wieder, weißt du noch? Wie damals."
Hochrot der Kopf, wurden die Worte sofort gestopt. Ein leises Räuspern und Worte, das dies ja gar nicht stimme folgten.
"Aber du wolltest doch in den Säufer. Was hat er denn nun damit zu tun?"
"Ich soll für ihn was holen, aber er hatte mir verboten dort hinein zu gehen. Wenn er nun meine Treue testet? Meine Worte? Ob ich mein Wort auch über Jahre hinweg halte? Was ist, wenn er uns beobachtet und sobald ich meinen Fuß über die Türschwelle setzte - er wieder verschwindet?"
Sorge machte sich in der Brust des Goldkelchens breit, ließ unschönen Druck entstehen, der das Atmen schwerer als nötig machte. Die Hitze Löwensteins machte den Kopf eh schon schwammig, dazu noch die Sorge das zu verlieren - auf das man so lange gewartet hatte.
"Du wirst es nicht rausfinden, wenn du hier stehen bleibst."
Zart der Griff der Freundin, als sich Finger um die eigenen schlangen, Finger mit Fingern verschränkt wurden und so einen Halt erzeugten, der von früher erzählter. Von Freundschaft. Von einem Band, welches nicht so leicht zerschnitten werden konnte. Sicherheit, Vertrauen - Familie.
"Lass mich nicht los, ja?"
"Niemals."
Absätze klackerten über neue Steinbrücken, bis das bekannte Geräusch von knirschendem Sand unter den Stiefeln zu hören war. Ein Vielfraß der mürrisch brummelte und wieder nur seinen Hunger im Kopf hatte.