~ 61. Tag der Stecklinge ~
Es waren alle Worte gesprochen. Alle Riten vollzogen. Eine langgezogene Stille hing über ihnen wie Nebelschwaden in einem windgeschützten Tal, trügerisch eingefroren in einem Moment scheinbaren Friedens. Doch Frieden war eine Illusion. Er konnte das leise Knarren des Innenleders hören, als seine gerüstete Rechte sich fester um die Waffe schloss. Konnte seinen eigenen Atem spüren, der den Takt dieses aus Pflicht geborenen Tanzes vorgab, von dem er genau wusste, dass er ihn verlieren würde. Das aber vermochte Nichts an seinem Siegeswillen zu ändern, an der Überzeugung, alles zu geben, was auch immer da kommen möge.
Sarzaleth stand einfach nur da, in dieser ruhigen, aber kraftvollen Aura der Grazie, in die der Ascalonier sich zu jeder Zeit hüllte, mit jenem kleinen, kühlen Lächeln im Gesicht, frei von würdeloser Häme. Er wartete, überdeutlich, ließ die Finger über das dunkle, polierte Ebenholz seines Stabes gleiten. Im Zwielicht der Abenddämmerung war das weiß-blaue Leuchten der eisfarbenen Iriden nur allzu deutlich.
Er weiß, was passieren wird. Dronon ließ den Kiefer mahlen, wie er es so oft tat. Und er weiß, dass ich es auch weiß. Die Gewissheit fühlte sich an wie Sakrileg, wie Sünde an allem wovon er sich leiten ließ, aber wie sollte er vor Balthasar leugnen, dass die überlegene Zauberei ihn wiederholt in seine Schranken gewiesen hatte?
Als das eitle Gesicht seines Ordensbruders vor dem inneren Auge zu jenem wurde, das er unter Taras Maske gefunden hatte, stieß der Kriegerpriester sich mit gutturalem Knurren ab, um seinen Ansturm zu beginnen. Er war wütend, und die Wut gab ihm Kraft. Was sie ihm nicht gab, war Laufgeschwindigkeit.
"Zorn!", erhob sich die dunkle, aber melodische Stimme seines Kontrahenten, ohne dass er wahrhaft gezürnt hätte. Die Augen des ascalonischen Priesters glommen grell mit magischer Kraft, und der weiße Energiekristall an der Spitze seines Stabes ebenso, als er die Fokuswaffe geschickt und ohne überflüssige Fuchtelei umher wirbelte, um eine Druckwelle aus blauer Energie voran zu jagen. "Heiliger Zorn!" Es blieb nicht bei der einen, denn immer wieder schwang der Wächter seinen Stab in magischen Gesten, seine heiligen Kräfte zu bündeln. "Peinigung!"
Mit jedem Ausruf jener zusammenhangslosen Litanei, jeder Druckwelle, die ihm entgegen rollte, spürte Dronon seine Rage wachsen. Die Wellen verlangsamten ihn, ja, mehr noch als sein linkes Bein es tat, fügten ihm grell brennenden Schmerz zu. Doch sie hielten ihn nicht auf.
"Läuterndes Licht!" Während die nächste blau schimmernde Woge über ihn hinweg und durch ihn hindurch rollte, richtete der rote Metallberg den Dorn seines Streithammers voraus. "Das Licht der Göttlichkeit!" Einen Moment lang sah es wahrlich danach aus, als würde er den Magier erreichen, als würde sein Gegner nur dort stehen bleiben und ihn weiter mit mittelprächtigen Kanalisierungen bewerfen.
Dann jedoch nahm Sarzaleth die Rechte vom Stab und zog in geschmeidigem, sacht schabendem Ruck sein Schwert aus der Scheide, ließ den Ebonfalkner Stahl singen. Nicht dass er versucht hätte, den überlegenen Frontalangriff zu parieren oder auch nur aus dem Weg zu treten. Ein abruptes, grell blitzendes Licht brach aus der Klinge hervor und verschluckte den ganzen Mann, als er sich binnen eines bloßen Sekundenbruchteiles in Nichts auflöste.
Dronon lief ins Leere, geblendet und knurrend. Schwarze Flecken pulsierten in seiner Sicht, Sterne tanzten. Obwohl er Nichts sehen konnte und sein Gleichgewicht fangen musste, wusste er doch, was geschehen war. Bereits im Zuge der taktischen Kehrtwende zog er den Streithammer mit pfeifend geteilter Luft durch die Diagonale, um sich eines Angriffes aus seinem Rücken zu erwehren. Doch abermals fegte die Wuchtwaffe durch leere Luft.
Als er wieder klar sehen konnte und sein Blick sich auf dem fünf Meter entfernt stehenden Ascalonier fing, hatte dieser bereits eine brillant glänzende Schutzkuppel um sich erschaffen. Die Distanz war rasch überbrückt, einzig der Zauber kostete den Halbelonier einen Augenblick. Kaum dass hitziges, orange waberndes Feuer seine Panzerhandschuhe umzuckte und er sich der stärkenden Wirkung gewiss war, schwang er den Hammer beidhändig, um ihn überkopf auf die durchscheinend blaue Kuppel nieder zu schmettern.
Sein Streich traf mit der Kraft von zwei gestandenen Männern, und doch erzeugte er nicht mehr als ein mattes Pulsieren auf der Oberfläche der Barriere. Direkt vor ihm, Gesichtszüge farblich verzerrt hinter der schützenden Magie, schmunzelte der blaublütige Rotschopf ihm seelenruhig und selbstsicher entgegen, während er den Stab mit beiden Händen gegen seine Brust drückte und in fokussiertem, gedämpftem Sprechgesang eine Formel aufsagte. Dronon verstand sie nicht, erfüllt mit Rüstungs-scheppernder Dreschwut, und es machte auch wenig Unterschied. So brachial er auch zuschlug, es gab kein Durchkommen.
Schließlich versiegte der Singsang. Das Nächste war eine Explosion von Schmerz und heiligem Licht, so überwältigend grell, dass er nicht einmal sagen konnte, ob tatsächlich etwas detoniert war und aus welcher Richtung ihn der Zauber überhaupt getroffen hatte. Er taumelte, haltlos, sein Stärkungszauber nutzlos verpufft, der gerüstete Torso in strafendes blaues Feuer gehüllt, das ohne Hitze war und doch brannte.
Der Kriegshetzer fand sich auf seinen Knien wieder, ein zweites Mal geblendet von dem Übermaß an Licht.
"Wisst Ihr, Sentenzar–", hallte Sarzaleths Stimme ruhig und überlegt durch die peinigend wummernde, verschwommene Welt. Ein Hauch von Klarheit, erhaben über das Chaos. "Wenn Ihr nur ein kleines Stück intelligenter ins Leben gekommen wärt, hätten wir Partner sein können." Während der Mann sprach spürte Dronon, wie sich spektrale Ketten um seinen Körper schlangen. Die Benommenheit war zu groß, um sie beiseite zu fegen.
"Aber ich beziehe wahrhaftige Kraft aus meinem Glauben. Ihr seid nur ein trauriger alter Krieger, der Magie wie einen unterentwickelten Fremdkörper benutzt und denkt, Balthasar selbst imitieren zu können."
Die Ketten rissen ihn hoch, schleuderten den massigen Leib umher wie eine Spielzeugpuppe. Er krachte gegen die mit Holzbalken verstärkte Wand der Kampfgrube, und alles wurde schwarz.
Kommentare 3