~ 62. Tag der Stecklinge ~
"Man hätt' doch wirklich was sag'n können!"
Dieser schnippische, vorwurfsvolle Ton, den der Bursche an sich hatte, erinnerte an ein einfältiges Weibsbild. Es war spät, und der Priester fragte sich, ob er seine Zeit damit vergeudete, sich überhaupt mit ihm zu treffen, statt gleich weiter nach Fort Marriner zu ziehen.
Aber der Brief hatte seine Kuriosität geweckt. So standen sie nun also hier, zwischen den abgerissenen Barracken, welche die urbanen Strukturen des Westlichen Bezirks im Vergleich zum neu errichteten Rest Löwensteins eindeutig waren. Dronon fragte sich einen Moment lang, was seit seinem letzten Besuch aus Oxuatl geworden war. Beinahe hätte er die fette Kröte bemitleidenswert gefunden.
Nun aber stand der junge Elonier vor ihm, unverändert mit diesem lachhaften Kragen aus geschwärzten Moa-Federn um die Schultern, beide Hände in die Hüfte gestemmt und auf durchaus auffälliger Sicherheitsdistanz. Er hatte sogar Bewaffnung mitgebracht – ein krudes Szepter, dasselbe wie auf der 'Albatros', baumelte ihm vom Gurt, und schräg hinter der Hüfte ragte der hölzerne Griff eines Knüppels hervor.
"Ich hielt es für überflüssig. Zurecht, wie sich herausstellt. Sie hat mir berichtet, wie Ihr von mir denkt."
"Kay?" Skeptisches Blinzeln machte sich auf den tätowierten Zügen seines Gegenübers breit.
"Natürlich ~nicht~." Der Priester knurrte.
"Oh, äh.. also Kumi. Mann ey, was soll'ch sag'n?" Dass junge Hasshadh unter dem vernichtend abweisenden Blick schrumpfte, entging Dronon keineswegs. "Hab doch geseh'n, was Ihr mit Piraten macht, die Euch nich' schmeck'n!"
"Ihr solltet Euch glücklich schätzen, dass ich Euch das Leben gerettet habe, undankbarer Lump.", blaffte er harsch – es gab keinen Grund, hier Milde zu zeigen. "..werter ~Cousin~." Der Anhang kam in scharfem Grollen.
Jendus Augen sprühten vor giftiger Verstimmung, aber da war Nichts, was er hätte sagen können. Nichts, was sein Fehlverhalten kaschiert hätte.
"Ich habe nicht vor, Eure.. zweifelhafte Liebschaft.. umzubringen oder zu verstümmeln." Der Kleriker sprach nach kurzem Schweigen einfach weiter. "Wenn da etwas mehr Mumm in Euch wäre, Bursche, dann hättet Ihr Euch diese Antwort auch bei mir persönlich abholen können. Ehrlich gesagt wundert es mich, dass Ihr es jetzt noch tut."
"Bin eb'n mutiger als Ihr denkt." Durchaus trotzig, aber mit einem sachten Schmunzeln um die Mundwinkel, hob der Cousin das Kinn an. "Außerdem hab'n sich da paar Leute für Euch ausgesproch'n. Übrig'ns.. so inner Familie – kann'ch jetz' Du zu Euch sa.."
Überdeutlich zu Schlitzen verengte Augenlider genügten, um diesen Satz im Keim zu ersticken.
"Von Mut kann weniger die Rede sein, wenn man es nicht aus eigenem Antrieb schafft.", sprach Dronon, als sein Gegenüber schwieg. Zu einfach, fast schon. "Und wenn das hier alles ist, so mache ich mich jetzt auf den Weg."
"So.. 'ch hab' also kein'n Mumm, heh?" Jendus Tonfall schwankte zwischen kühnem Trotz, divenhaftem Ärger und schlichtem Selbstzweifel, als seine Rechte zum Griff des Szepters herab glitt um ein schwach flirrendes, violettes Licht zu generieren.
"Für einen Mesmer seid Ihr ein bemerkenswert schlechter Maskenspie.." Weiter kam Dronon nicht, bevor die Gestalt des dunkelhäutigen Vetters sich mit magentafarbenen Rissen überzog. Einen Sekundenbruchteil sah der Löwensteiner merkwürdig zweidimensional und surreal aus, bevor er sich mit astralem Klirrton in Nichts auflöste.
Ruckartig fuhr der in schwer gerüstete Muskelberg herum, dass die Ringe der Kettenhauberke unter den stählernen Platten wüst rasselten. Seine Rechte fand intuitiv ihr Ziel und schloss sich mit Fingern wie unerbittlichen Schraubstöcken darum.
"Ich bin der Teleportationen letzthin ein wenig überdrüssig geworden.", grollte er tief, während er den Mesmer dabei betrachtete, wie er hilflos und mit beiden Händen in an der gerüsteten Pranke im bärigen Würgegriff strampelte, der die Füße des tätowierten Burschen vom Boden gehoben hatte.
Erst als er registrierte, dass Jendu nicht röchelte und zu seiner Linken ein leises Ratschen zu vernehmen war, ging dem Kriegerpriester der Trick auf. Ein kurzes Grunzen der Anstrengung entkam ihm, als er den Klon beiseite schleuderte. Die Detonation in violetten Scherben war nicht ansatzweise so stark, wie es bei Tara oder Cornerstone der Fall gewesen wäre.
Bleibt zu hoffen, dass er keinem von beiden je begegnet., schoss es ihm ernüchternd durch den Kopf, indem er sich der Geräuschquelle zuwandte und beidhändig zum Streithammer griff.
Wie sich herausstellte, hatte sein Vetter die Zeit genutzt, seinen Knüppel, der sich als Fackel entpuppte, hinterm Steiß hervor zu nehmen und zu entfachen. Mit dem Szepter in der einen und dem Brandholz in der andren Hand schien der Mesmer auf einen Angriff zu warten, der nicht kam. Das knisternde Feuer erleuchtete die grellroten, dämonischen Ziermuster im Gesicht des jungen Hasshadh-Sprosses auf gespenstische Art und Weise, die einem abergläubischen Waschweib vielleicht tatsächlich Angst eingejagt hätte.
"Ich bin beeindruckt.", kommentierte Dronon, die Stirn gerunzelt, ohne einen Hehl aus dem trockenen Zynismus in seinen Worten zu machen. "Aber ich bin nicht hier, um mit Euch zu spielen oder mich Euretwegen vor der Löwengarde zu rechtfertigen.. Junge."
"Junge? 'Ch bin'n erwachsener Mann!", kam’s entrüstet zurück.
"..der sich wie ein Kind benimmt. Was soll überhaupt die Fackel?"
"Is'n guter Fokus."
"Ihr seid kein Feuermagier, Narr."
"Aye, bin'ch nich." Jendu grinste selbstsicher. "Wollt'er seh'n, was'ch damit mach?"
Dass der Kriegshetzer nur entnervt die Brauen zusammenzog, schien der Illusionist als 'Ja' zu werten. Wieder trat das Flirren seiner Magie auf den Plan, nur dieses Mal inmitten der prasselnden Fackelflamme. Nach und nach weitete sich die Energie aus, bis es wirkte, als wandle sich das Brennen selbst in kräftiges Magenta – nur um dann in einer abrupten, aber lautlosen Wolke aus violetten Stichflammen und seltsam schillernden Rauchschlieren auseinander zu puffen.
Jendu Hasshadh war verschwunden. Zurück blieb Nichts als eine nutzlos zersprungene Fackel auf dem Boden.
Einen Moment lang begnügte sich der Priester Balthasars damit, kiefermahlend das an der Spitze verkohlte Holz anzustieren. Dann, irgendwann, stieß er ein Schnauben aus und wandte sich ab. Vergeudete Zeit in der Tat, wie es schien.