Heimat

Mit bebenden Nüstern schnaubte der Rappe, saugte Luft in die gewaltigen Lungenflügel die sein Blut, seine Muskeln mit Sauerstoff versorgte. Sauerstoff, der für den scharfen Galopp, zu dem seine Reiterin ihn trieb, zwingend benötigt wurde. Kräftige Muskeln arbeiteten stetig, sorgten für schnelles, dumpfes Hufgeklapper auf dem Weg. Sie hatte das Königintal vor einer ganzen Weile hinter sich gelassen, hatte das Tier zu strammem Galopp gezwungen, seit sie die Schüsse nahe des Plateaus und der Mühlenruine gehört hatte. Zwar war sie bewaffnet, doch gegen einen Trupp marodierender Zentauren oder Banditen konnte sie sich kaum wehren. Dafür war sie allein und wendig, ihr einziger Vorteil in dieser Nacht, denn so konnte sie sich schnell vorwärts bewegen.


Die Felder zogen in der Dunkelheit rasch an ihr vorbei – halsbrecherisch war das einzige Wort das diese Reise treffend beschreiben konnte. Nur ein Stein auf dem Weg, den sie zwar blind reiten, aber im jetzigen Moment nicht richtig sehen konnte, und das Pferd würde stürzen und sie im schlimmsten Fall einfach unter sich zerquetschen. Doch sie hatte keine Zeit für Zweifel.
Bald kamen in der Ferne die weißen Spitzen der Zittergipfel in Sicht, silbrig-kühl vom Licht des Mondes beschienen der am Wolkenklaren Himmel zwischen Sternen thronte. Kurz nur lenkte sie den Blick hinauf – Polarstern.
Beim Anblick des einen Gestirns hob sich der rechte Mundwinkel zu einem Lächeln, doch dieses währte nur kurz, verflog rasch – auch dafür war jetzt keine Zeit.


Jäh zog sie an den Zügeln, brachte mit der abrupten Bewegung das Pferd zum wiehern und zwang es zu einer schlitternden Bremsung, an dessen Ende es stieg. Sie hielt sich im Sattel, doch ihr Blick galt dem Spiegel.
Ruhig, unberührt und in einem trügerischen Frieden breitete sich die Wasseroberfläche des Kopfgeldsees vor ihr aus, versprach einladend Bad und Trank, und war doch so verdorben und giftig wie der Trunk einer Nornhexe.
Über dem See, auf den felsigen Klippen die die ersten Ausläufer der Zittergipfel darstellten, trohnte die scharf geschnittene Kulisse ihres Zieles. Finster und abweisend, schroff wie der Fels auf dem es erbaut worden war, wartete das Anwesen ihrer Familie auf sie. Lauerte.
Der Anblick erfüllte sich mit einer von Abscheu begleiteten Ehrfurcht – ist es die Sucht nach der Angst, die auch einen Soldaten immer wieder an die Front treibt? Der Nervenkitzel? Abenteuer?


Das Pferd schnaubte, wieherte unruhig. Sie kannte den Grund – und die Tiere spürten ihn wesentlich früher als Menschen es taten. Wieder trieb sie das Tier an, diesmal nur zu einem lockeren Trab – sie musste ein Stückweit dem Weg am Ufer entlang folgen, den See einige hundert Fuß umrunden, bis der Weg anzusteigen begann, um auf einen ersten, offenen Torbogen zuzuführen, der von spitzen, zurechtgeschnittenen Koniferen gesäumt wurde.
Wenn man sie fragte, erzählte sie gern dass das verlassene Anwesen nur noch von den Wachen bewohnt wurde, die dafür Sorge trugen, dass Plünderer sich nicht über den Familienbesitz hermachten, und sich keine Banditen dort einnisteten. Die Wahrheit war ebenso simpel, wie sie finster war.


Kam man dem Grundstück der Rawsons zu nahe, machte sich unweigerlich ein beklemmendes Gefühl breit, umso stärker, je näher man dem Haus kam. Ganz, als sei die abschreckende, morbide Architektur Grund genug das Grundstück zu meiden. Schon als sie klein gewesen war, hatten die Kinder im nahen Dorf Spukgeschichten über das Finstere Haus auf den Klippen zu hören bekommen – gleichwohl zusammen mit der eindringlichen Mahnung, ihm und vor allem auch dem kleinen, gruseligen Rawson-Mädchen nicht zu nahe zu kommen.
Beruhigend legte sie dem Rappen eine Hand auf den Hals. Das Tier war mit dem Zauber vertraut – dennoch beschlich die Furcht auch das treue Fluchttier. Doch ihr Wille war eisern, denn ihr war die Furcht fremd. Sie spürte sie nicht, hatte sie nie gespürt. Als sie den Zauber passierten der das Grundstück abschirmte, beruhigte sich der Hengst umgehend, und als sie durch das Gusseiserne Tor ritten war von der Furcht nichts mehr zu spüren.


Elizabeth schwang sich vom Pferderücken, schnallte die Satteltaschen ab und setzte sie zur Seite. Dem Tier pumpte sie mit der alten Pumpe mit zwei, drei quietschenden Hieben etwas Wasser in den Trog, ehe sie den Sattel herunterhob und ihn für die Weile auf den Boden setzte.
Während sie es nicht für nötig befand das Pferd anzuleinen, und es so dem Wasser und dem spärlichen Herbstgras im Hof überließ, griff sie nach der Satteltasche und erklomm die Stufen zur Eingangspforte. Heute zögerte sie nicht, zog den Schlüssel und sperrte gleich auf um hineinzutreten, die Türe gleich wieder zu schließen.


Es war dieser Moment den sie jedes Mal aufs Neue fürchtete. Die geschlossene Tür im Rücken, stand sie, und starrte blind in die Dunkelheit der Eingangshalle. Es war stockfinster, kein Licht brannte im verlassenen Haus, die Fensterläden waren geschlossen und sperrten auch das Mondlicht aus. Fast, als bürge das Haus ein Geheimnis, eine dunkle Schwärze die jedwedes Licht absorbierte und sich nicht enthüllen ließ.
Sie lauschte auf das Blut das laut in ihren Ohren rauschte, auf den eigenen, pochenden Herzschlag der es antrieb. Innerlich mahnte sie sich zur Ruhe, schalt sich für die eigene Schwäche die zu zeigen ihr grauste. Nicht, weil jemand hier war. Sondern wegen den Schemen der Erinnerung die den Mauern anhafteten.
‘Was wünscht sich Elizabeth Rawson?‘


Es kostete sie einige wertvolle Minuten, in denen sie wie ein – dickes – Reh an der Türe stand, ehe sie sich endlich in Bewegung setzte. Sie brauchte kein Licht um ihren Weg zu finden.
‘Ihr seid ein Strolch, Rubinstein.‘


Zwanzig Stufen nahm sie, leise, obgleich kein Teppich die polierten Holzsteigen schützte und ihre Stiefel schwer waren – doch sie wusste, wohin sie treten musste um lautlos zu verbleiben. Wagte nicht, einen Laut zu produzieren. Ein Stückweit lief sie durch einen der dunklen Flure, blind, ohne gegen Wände oder Möbel zu stoßen.
‘Ich versuche herauszufinden was für eine Art Frau du bist.‘


Eine weitere, schmalere Treppe ging es hinauf – dann stand sie vor der winzigen Tür. Sie klemmte – das tat sie schon immer – und es brauchte einen kräftigen Ruck bis sie aufschwang. Sie trat hindurch, hinaus an die frische Luft. Hier, hoch auf dem Dach, zwischen spitzen Eisenstreben und scharfen Dachkanten, befand sich eine kleine Plattform. Gerade groß genug dass man zu zweit darauf sitzen konnte. Die Schornsteinfeger nutzten sie, sonst war nie jemand hiergewesen. Fast niemand.
‘…, dass es aus politischer Sicht vernünftig wäre wenn du und ich heiraten.‘


Sie kniff die Augen kurz zusammen, ehe sie die Satteltasche neben sich auf den Boden setzte – und einem Anflug von Kraftlosigkeit hart auf die Knie sank. Mit hängenden Armen und hängendem Kopf hockte sie so im Dunkel des Daches, und es kostete sie Mühe den Kopf wieder zu heben, auf den See hinunter zu blicken.
Warum? Warum geschah soetwas?
Sie hatte Wochen, ganze Monate damit zugebracht sich von den Gedanken zu lösen, hatte ihre Gefühle wieder in die rechten Bahnen gelenkt, war wieder an den Punkt gelangt, an dem sie selbst entschied wer sehen durfte und wer nicht.
Wie konnte es sein, dass es fünf einfache, lieblose Worte so leicht schafften die Arbeit von Monaten zu ruinieren? Wieso war dieses Gefühl, das sich klamm in ihrer Brust versteckte, um in den unpassendsten Momenten gleißend heiß aufzulodern, das ihr die Brust zusammenzog und ihr das Atmen erschwerte, wieso war dieses namenlose Gefühl von solch immenser Macht? Und weshalb konnte sie es nicht unter Kontrolle bringen?


‘…bevor du sauer wirst und mich mit diesem schönen Gesicht stolz und kalt ansiehst…‘
Mit dem Hintern auf die Fersen zurücksinkend, kam ihr Blick auf dem kurzen Lüftungsstutzen zur Ruhe, der hier aus dem Dach herausragt. Ein kurzes Zögern später, reckte sich ihre Hand hinein, um klamm und schmutzig Stoff zu ertasten. Es kostete sie etwas Mühe, das deformierte Ding aus dem engen Rohr zu ziehen, doch als sie es in beiden Händen hielt, schlich ein wehmütiges Lächeln auf ihre Züge. „Guten Abend, Herr Hasenohr.“ Flüsterte sie dem Stoffding leise zu. Im Grunde war es eine Auberginenförmige Stoffwurst aus einem ehemals weichen, zartrosafarbenen Bettlakenstoff mit grünen, punktförmigen Blümchen darauf. Daran waren vier Tropfenförmige Stoffwürste genäht und zwei lange, ovale Lappen. Die Bunten Fäden, die einstmals ein Gesicht geformt hatten, standen zerrissen und ausgefranst aus der nur mehr an wenigen Fäden hängenden Kugel ab, die scheints den Kopf bildete. „Ihr habt gewartet wie ein echter Gentleman, Herr Hasenohr.“ Sprach sie mit dem zerknautschten, deformierten Kinderstofftier.


Zusammenzuckend, als sei jemand hinter sie getreten, kam sie sich plötzlich unglaublich albern vor. Hastig, denn sie brachte es nicht übers Herz das Ding fortzuwerfen, stopfte sie das Stofftier zurück in das Rohr, aus dem sie es geangelt hatte.
„Du weißt genau, was das für ein Gefühl ist. Es ist das wovon alle Mädchen träumen. Bloß du nicht.“
„Hör‘ auf.“
Sie wollte nicht dass er mit ihr sprach. Wollte nicht, dass er sie so zu sehen bekam. Noch immer hockte sie auf Knien, fühlte sich fern von jeder Körperspannung.
„Du weißt es, aber du willst es dir nicht eingestehen. Du enttäuschst mich, und das gleich doppelt. Ich habe stets nur Kontrolle verlangt. Und was tust du? Du widerst mich an.“
„Hör‘ auf.“


„Du weißt dass du, den Regeln folgend, nicht existieren dürftest. Deine Existenz ist allein der Unfähigkeit deiner Mutter zu verdanken. Und womit dankst du es ihr? Womit dankst du der Familie? Mit Liebe? Hunderte Gold für Privatlehrer, Privatschulen und Anstandsdamen. Und du verliebst dich. Was für eine Verschwendung. Was für eine Schmach.“
„Hör‘ auf!“
„Was hast du zu sagen? Willst du mir widersprechen? Ich erinnere mich nicht dir das Sprechen erlaubt zu haben. Liebe ist obsolet. Du dienst der Familie. Vergiss das nicht. Du hast Pflichten zu erfüllen.“


Schnell, zu schnell war sie auf den Füßen. Wie ein Blitz, ein donnerndes Gewitter, waren kraft und Körperspannung in ihren Leib zurückgekehrt.
„Hör auf! Schweig endlich! Ich habe in einem Jahr mehr erreicht als du in einem ganzen Leben! Ich habe mir verdient eigene Entscheidungen zu treffen! Es ist jetzt meine Familie! Ich entscheide über unsere Zukunft! Ihr habt mich alleingelassen, und wagt es nicht zurückzukehren! Es ist mein Erfolg. Ganz allein meiner! Ich entscheide zu meinem Wohl!“
Ohne es zu merken, hatte sie die Hände zu Fäusten geballt, den angespannten Leib in eine aggressive, leicht vorgebeugte Haltung gebracht. Noch immer galt ihr Blick dem Spiegelbild des Mondes auf der Wasseroberfläche.


‘Du bist von allen Frauen die schönste hier.‘
Sie stand eine Weile. Auf ihren Monolog hin, folgte keine Antwort. Die Nacht zog friedlich über das Dach hinfort, brachte Wolken und Nebel mit an die Ufer und das Land.
„Ich entscheide selbst. Und es wird nicht Liebe sein die meine Schritte lenkt.“ Sprach sie dann, leise, und nur für sich selbst.
„Geh.“ Richtete sie dann an jemanden, der nicht hier, und von dem sie selbst nicht ganz sicher war, um wen genau es sich hierbei handelte.


Erst, als die ersten roten Streifen der Morgendämmerung auf die nebligen Weiten fielen, verließ die Ratsherrin das Dach, das Haus und gemeinsam mit ihrem Pferd das Grundstück, um zurück zur Stadt zu reiten.
Im Gepäck hatte sie nun in klare Bahnen gelenkte Gedanken, Antworten, und ungleich mehr neue, offene Fragen, von denen sie nicht sicher war, ob sie jemals passende Antworten für jede einzelne davon finden würde.




"Give a man a gun and he can rob a bank.
Give a man a bank and he can rob the world."


Sneshana Iorga: 'Liz-mit-dem-Pferdearsch Lis? DIE Liz? Das Heck von Götterfels? Big Booty Liz? Twerkthatbutt-Liz? Der Arsch Lyssas? DAT BUTTLIZ?'


[align=center]"Das geht mir so am Arsch vorbei - und bei meinem Arsch will das was heißen."

Kommentare 3

  • Total schön erzählt, mag's sehr aber das weißt du ja. :)

  • Was für ein Haus! Ich habe Deine Geschichte verschlungen und dann ein zweites mal gelesen. Das erste mal natürlich, aus Interesse an Deinem Char aber das zweite mal, weil du so packend erzählen kannst. Vielen Dank für Gänsehaut auf meinem Unterarm :)

  • „Guten Abend, Herr Hasenohr.“ <3 Und danach Stoffwurst! Ai, wie lieb!


    Die Geschichte gefällt mir generell sehr gut, und man liest wirklich sehr schnell durch, wieder einmal sehr schön und total angenehm geschrieben.
    Und ich fühle mich geschmeichelt ob der doppelten Erwähnung <3