Sie hatte nicht gehen wollen.
Helena lag krank darnieder, auf dem Markt hatte es einen Zwischenfall gegeben, und ihre Laune war im Keller gewesen.
Doch Helena zog keinen Vorteil daraus wenn sie im Haus herumsaß, an dem Vorfall trug sie keine Schuld, und ihre schlechte Laune ging ihr selbst auf die Nerven.
So war sie nach dem Markt, nachdem sie das Frühstück abgesprochen hatten, heimgegangen, hatte ein heißes Bad im Zuber genommen, ihr Haar zu güldenen Wellen gebürstet, hatte Puder und sogar etwas Parfum aufgelegt. Sie hatte ein schönes Kleid aus dunkelviolettfarbener Seide gewählt, über dessen Rocksaum eine üppige Lage Taft lag auf welchem kleine Steinchen glitzerten. Die Brustpartie des Schulterfreien Kleides war gerafft und zeigte eine zeitlos elegante Brosche in der Mitte, darunter ein mit Silberfäden durchzogenes Band das einmal um die Taille ging. Das Kleid machte eine schöne Figur, und als sie in die passenden Schuhe schlüpfte fühlte sie sich schön und sicher. Sie steckte sich das Haar nur teilweise in eine kunstvolle Frisur, sodass es die Schultern noch umspielte, griff sich ihre kleine Tasche und die Einladung, die sie eigentlich hatte ablehnen, ignorieren wollen, und verließ das Haus durch die Vordertür. Karim wartete bereits mit der Kutsche, und so fuhren sie.
Es dauerte eine knappe halbe Stunde bis sie an dem kleinen aber schönen Vorstadtanwesen ankamen. Kunstvoll geschnittene Hecken rahmten hinter einem Zaun einen weitläufigen Garten ein, der an ein aus dunkelgrauem Stein gemauertes zweistöckiges Anwesen anschloss, dessen Fenster und Türen in weißer Farbe gehalten waren, und dessen farbenfrohe, blütenprächtige Bepflanzung einladend auf die Besucherin wirkte. Hier, auf den letzten Metern, hob sie die kunstvolle Maske aus ihrer Tasche, und setzte sie auf ihre Nase, befestigte die kleinen Klämmerchen in der Frisur um sie am Platz zu halten. Farblich passte sie in dunkelviolett zu ihrem Kleid, war mit gold- und Silberfäden durchwoben und mit kleinen Steinchen besetzt.
Die Kutsche hielt vor der Türe, und man öffnete ihr, sodass sie mit Hilfe der dargebotenen Hand aussteigen, und den gepflasterten Weg zum Tor hinauf gehen konnte. Sie war allein, wie so häufig, während anderweitig größtenteils Paare oder einzelne Herren vorzufinden waren, als sie das Tor durchschritt. Die Wachen verneigten sich vor ihr als sie ihre Einladung abgab, und von einem der Pagen stahl sie sich ein prickelndes Perlweinglas vom Tablett.
Flanierend trug ihr Schritt sie nun in den Garten, in die Mitte der Festgesellschaft.
Das Buffet hatte sie gleich geortet, es aus der Ferne erspäht. Doch sie ermahnte sich geistig, es nicht sofort anzusteuern - ihre Körperform war veräterisch genug, auch wenn das Kleid ihre Kurven geschickt in Szene setzte. Sie passte gut hierher, in ihrem sündhaft teuren, eleganten Kleid, zwischen all die jungen Damen mit verbotenen Ausschnitten, tiefen Einblicken und kokett-adrettem Gehabe. Sie passte sich an, sie wusste um das Spiel. Auch ihr Kleid besaß am Rücken einen tiefen Ausschnitt, einen der Art, wie sie ihn ohne Maske niemals tragen würde. Aber hier...
Ein Herr passierte sie, ein süffisantes Schmunzeln auf den Lippen, ein Glitzern in den hellen Augen. Seine Maske war von dunklem Blau, mit Gold bestickt, sein Haar von hellem blond. Er nickte ihr zu während ihre Augen ihm schlicht hinter der Maske folgten. Zu leicht...
Sie nippte an ihrem Gläschen, und trat unter dem Licht der Lampions hindurch, dorthin, wo sie die Musiker vermutete, deren beschwingte Tanzmusik durch den Garten drang. Sie hielt sich nahe der Hecken, wusste, dass sie als einsame Frau hier Beute war. Niemand ahnte, dass auch sie zu den Jägern gehörte.
Es dauerte nicht lange, da trat ein Herr zu ihr. Seine Haut war gebräunt, das Haar dunkel und kräftig. Er trug weiß, auch seine Maske war von weißer Farbe, bestach durch Fremdartigkeit. Das schwarze Muster, die Form - alles daran war exzentrisch und wunderbar. Sie mochte es. Er war höflich in Wort und gebahren, seine Stimme ein angenehmer Timbre der ihre Gedanken zu Bernstein führte; Sie genoss das Gespräch mit ihm, wenngleich es leichthin, war, keine geistige Herausforderung - wohl aber eine soziale, denn er hatte etwas neckendes an sich, etwas, das sie lockte und sein Spiel spielen ließ. Sie genoss es, unbeschwert zu lachen und von der Maus zur Katze und zurück zu wechseln. Ein ums andere Mal glaubte sie zu bemerken dass ihre Antworten ihn überraschten, ihm eine unerwartete Riposte in ihren Duell lieferten.
Irgendwann, der Mond stand bereits hoch zwischen den Sternen am Nachthimmel, entwand er ihr das Glas und raubte ihre Hand. Ein Funkeln in den dunklen, braunen Augen entführte er sie auf die Tanzfläche, gerade, als die Musikanten begannen ein gewagteres Stück zu spielen. Sie trug ein gewagtes Lächeln auf den Lippen - denn nun führten sie das Duell auf körperlicher Ebene fort. Ihr gemeinsamer Tanz war von heißem Blut, die Spannung knisternd, beinahe tastbar. Er dirigierte sie mit Könnerschritt über den Tanzboden, und sie folgte ihm elegant, forderte ihn, triezte ihn. Gemeinsam trieben sie sich zu Höchstleistungen, tanzten intensiver, knisternder - und gerade als die Musik ihren dramatischen Höhepunkt erreichte, drehte sie sich aus seiner Hand, und verließ lachend das Parkett. Er verblieb schwer atmend und mit hintersinnigem Grinsen auf dem Tanzboden und blickte ihr hinterher, während sie gutlaunig das Buffet aufsuchte.
Kaum ein Glas Rotwein und einen kleinen Möhrenstift ergattert verschwand sie zwischen Kleidern und Fräcken in eine ruhigere Ecke um zu Atem zu kommen. Da erblickte sie ihn und seine dunkelblaue Maske. Die hellen Augen hatten sie beobachtet, und taten es noch immer. Es schreckte ihn nicht, dass sie ihn ertappt hatte. In dem Moment wurde ihr klar, was sie vermisst, was sie gebraucht hatte. Sie war froh, dass sie hergekommen war.
Sie wechselte das Rotweinglas in die rechte Hand und schlug mit der linken ihren violettfarbenen Spitzenfächer auf, hielt ihn so einen Moment lang. Dann wechselte der Fächer in die rechte, das Glas wieder in die linke, und sie hob den Fächer um ihn kokett vor das Gesicht zu halten. Erst dann wandte sie sich ab, und entschwand allein zwischen die Hecken des kleinen Gartenlabyrinthes.
Eine Weile später hob ein Mann mit dunkelblauer Maske zwei Gläser Rotwein von einem der Tabletts, um zu tun, was die Dame ihm aufgetragen hatte.
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