"Du bis´ destimmt aus Nacht demacht."
"Aus Nacht? Wie kommst du denn darauf?"
"Deine Augen sind danz schwarz un´ bist du danz kalt un´ dunkel", kleine fleischige Finger tatschten nach meinen Blättern "Un´ so klebrig!"
Das Menschenkind blickte mich mit großen Augen an. Nur das entfernte Licht der Laterne schimmerte in dessen Augen und betonte den Glanz des Lebens in ihm. So viel Leben und doch so anders als ich. Ich war nie ein Kind gewesen. Wobei, doch ich bin ein Kind. Ich bin ein Kind des Blassen Baumens. Ich war nur nie klein. Ich musste nie laufen lernen, oder sprechen. Ich konnte es von Beginn an. Ob das kleine Wesen hier vor mir lesen konnte? Die Haare waren ewig nicht gewaschen worden. In flizigen Strähen fielen sie über das zu runde Gesicht in dessen Mitte eine winzige Nase saß, auf dessen linker Nasenflügel ein kleiner Leberfleck trohnte. Diese kräuselte sich leicht, als die speckigen Finger weiter über mein Blattwerk strichen.
"Dann fass es doch nicht an, wenn es so klebrig ist."
"Na nicht so richtig klebrig. Da ist aber was drauf oder?" Und schon kratzten die Nägel darüber und schoben die Wachsschicht ab. "Iiieeh!", quietschte sie auf und schmierte die Hände eilig an die zerrissenen Kleider. Dabei konnte die Kleine ihr helles Lachen doch nicht zurück halten. Ich hatte sie bis jetzt nur weinen gehört. Den ganzen Weg von dem zerstörten Karren hierher hatte sie geschrieen und geweint. Sogar getreten hat sie mich. Sie wollte nicht mit den bösen Pflanzenmännern mit. Nicht weg von dem Ort, an dem sie mit ihren Eltern zuletzt zusammen war. Die Übergriffe auf den Handelsrouten häuften sich. Immer öfter fanden wir verlassene, geplünderte Wägen, doch heute war das erste Mal noch jemand am leben.
"Und?"
"Was und?"
"Bist du nun aus Nacht gemacht?"
Ich merkte wie sich meine Lippen spannten, die Mundwinkel sich hoben und ich grinsen musste. Die Augen der Kleinen wurden immer größer, offenbarten mehr von dem blau, welches sich mit grau mischte. Das war das erste Mal,das ich bei einem Menschen das Wort ~schön~ im Kopf hatte. Für mich hatten Menschen nie diesen Zauber gehabt, den manch anderer Bruder, oder manche Schwester empfand. Für mich waren sie einfach eine andere Rasse gewesen, mit eigener Kultur und Geschichte. Das Volk war interessant, im allgemeinen, aber nie speziel für mich. Und nun stand dieses Menschenkind vor mir. So klein, zerbrechlich, voll eigener Magie.
"Hättest du denn Angst vor mir wenn ich aus Nacht gemacht wäre?" Meine Stimme klang noch rauer und tiefer im direkten Gegensatz zu ihrer weichen, nuscheligen Kinderstimme.
"Nöhö", offenbarte sie mir ganz stolz.
"Ach? Und warum nicht?"
"Mama hat immer gesagt das man keine Angst vor der Nacht haben mu..." - "Sondern nur vor den Wesen die darin wandeln", unterbrach sie Eretheyn. Der eben noch stolze Blick der Kleinen huschte verwirrt zwischen meinem Zwilling und mir hin und her. Sie hatte ihn auf dem Weg in den Hain gar nicht richtig wahrgenommen. Zu sehr geweint hatte sie. Ich hatte Mühe das kleine Kampfbündel zu tragen. Der Griff der kleinen Hand um mein Blattwerk verstärkte sich und ließ es so ein wenig knittern. Das Mädchen senkte den Kopf und ging dann ein wenig bei Seite, als hätte die Furcht von ihr Besitz ergriffen und mahnte sie zur Vorsicht.
"Sie wird heute nacht hier bleiben und morgen mit einer Menschengruppe zurück nach Götterfels gehen. Dort soll sie wohl ins Waisenhaus. Wir können also heute noch zurück." Eretheyns Stimme klang kühl, befehlend und irgendwie schwang in ihr so viel Abneigung mit, das sogar mir komisch wurde. So kannte ich meinen Bruder nicht. Auch sein Blick, auf das Menschenkind hinab, war voller Abscheu. "Lass ihn los." Die Kleine zuckte zusammen und krallte sich nur noch fester in mein Blattwerk. Ich musste ihre Angst nicht fühlen können um sie überall in dem Menschlein sehen zu können. "Lass ihn los habe ich gesagt", harschte Eretheyn das Kind an und noch während sein Arm hinab zuckte, war es meiner der sich um das Mädchen legte. Mit ihr auf den Arm drückte ich mich in den Stand zurück.
"Ich bringe sie zu den Menschen, die sie morgen mitnehmen. Warte doch auf mich am Haintor, dann gehen wir gemeinsam zurück."
Die Gesichtszüge meines Zwillings verspannten sich, als hätte ich ihn gerade darum gebeten, sich für immer von mir zu lösen. Auch emphatisch war die Abneigung für das kleine Menschenkind auf meinem Arm nur zu deutlich und dennoch bekam er von mir ein Lächeln. Ein Schritt auf ihn zu, war es meine Hand die sich auf seine Brust legte. "Ere,entspann dich. Ich komme gleich nach", flüsterte ich ihm entgegen, bedacht darauf die Oberkörperseite mit dem Kind von meinem Zwilling wegzudrehen. Dieser schnaufte aus, als er meine Geste erwiederte und schließlich nur nickte. Weitere Worte waren überflüssig - und auch gar nicht möglich, denn sogleich drehte mein Zwilling um und schritt davon. "Er is´ doof", murmelte Kleine und kniff die Augen zusammen, so als könne sie somit das Bild meines Zwillings aus ihren Gedanken vertreiben. Doch ich sah genauso aus und als sie die Augen wieder öffnete und mich ansah, ahnte ich bereits einen erneuten Heulanfall. Aber sie sah mich nur an. Ein Kind, nicht älter als fünf Jahre, sah mich mit einem Blick an, den ich nie vergessen werde. In diesem Moment begriff ich, dass so ähnlich sich Zwillinge auch waren, so unterschiedlich konnten sie aber auch sein.
Ein Abschied, für den Moment. Ich wusste das ich die Kleine mit dem Leberfleck auf der Nase irgendwann wieder sehen würde. Alles im Leben folgt einer bestimmten Bahn, einer Spirale und in der Mitte kommt alles zusammen. In der Mitte liegt die Kraft, die Einheit vom Denken, dem Sein, vom Leben und dem Tod. Und selbst wenn es nicht meine eigenen Augen sein werden, die ihr Gesicht nochmals erblicken, so werden es meine Geschwister sein die ihr Gesicht in den Traum tragen. Ein Menschenkind das erkennt was gut und böse ist. Ein Menschenkind, gesegnet von ihren Göttern überlebte sie einen Angriff und wurde von Zwillingssylvari gefunden. Es war ein Zeichen - doch im Zeichen deuten war ich immer schlecht gewesen.
Meine Füße strichen durch das Gras, welches sich neben den Platten hervorschob, die unter dem Zirkel des Blassen Baumes angebracht waren. Es war Nacht geworden. Genau meine Zeit. Ich war hellwach, ich war im Hain. Ich war daheim, ich war glücklich und ich wusste das Eretheyn am Haintor auf mich wartet...
...doch ich täuschte mich. Er war nicht da.
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