Die kornblumenblauen Augen ruhten auf dem Fleck, vor welchem sie eine geschlagene halbe Stunden nun schon kniete, den Lappen in den schlanken, rauen Fingern und doch gänzlich immobil, als stelle dieser Schmutz eine schier unlösbare Aufgabe für die junge Magd dar. Blondes Haar fiel ihr in wirren Strähnen in die Stirn, dort, wo sie sich aus dem strengen Dutt am Hinterkopf gelöst hatten. Ihre Gestalt wirkte gedrungen und niedergeschmettert und der Fokus allein auf die ungeheuerliche Stelle am Boden gerichtet. Ein ganz normaler Schlammfleck auf gebohnerten Dielen aus rustikaler Eiche, die man penibel mit dunklem Lack geschwärzt hatte und mit Öl fein säuberlich pflegte. Der Duft des Hauses war daher friedfertig und vertraut und es war damals für die Hausdame ein enormer Schock, als sie geschlagen und niedergerungen zurück kehrte in die wohligen Fittiche des Fräulein Allington und sich so gut wie nichts verändert hatte.
Wieder umschlichen sie Diener und Boten, deren Augen nicht ganz ehrlich waren. Deren Zungen nicht immer die Wahrheit sagten. Mädchen, deren Augen zu fixiert auf männlichen Leibern ruhten. Männer, deren Launen sich zeichnend auf dem Gemüt des Landgutes widerspiegelten. Und das Fräulein in ihrer Mitte. Nicht weniger jung, wie an jenem Tag als Lythia sie verließ. Damals noch unter dem Pseudonym Kysira. Und nun war sie wieder hier. Und man hatte sie mit offenen Armen empfangen, auch wenn ihr Verrat um so vieles schwerer wog, als von jenen anderen, welche Samantha höchst selbst aus dem Haus komplementiert hatte.
Nun waren da wieder die Köchin. Der Butler, die Bauern, die kleine Magd, das Gänsemädchen und der alte, sowie der neue Stallmeister in den Hausstaat eingekehrt.
Während Al- der alte, rüstige Halunke- ein guter Mann war, mit sicherem Herzen und warmen, kräftigen Händen, so misstraute Lythia jenem Jungspund, der nun an seiner Seite arbeitete. Blaue Augen, die einen zu verschlingen drohten. Ein freundliches Lächeln, welches aber zu rasch erlosch, wenn man die richtigen Fragen stellte, oder Grenzen überschritt, die das wahre Antlitz des Hünen entstellte und gnadenlos offen legte. Ein Mann, wie alle anderen auch. Schnöde und gedankenlos. Egoistisch, grob, brachial.
Als er sie dereinst erschrak und die Suppenschüssel zu Bruch ging, stand er da, erhoben wie ein Gott über dem eben versenkten Reich Orr und spähte auf sie hinab, als wäre sie nichts und er erschien in diesem Moment tatsächlich königlich, während sie kniete, buckelte und mit spitzen Fingern die Scherben in ihre Schürze zog und die Suppe wieder aufwischte. Nein. Mister Adams war kein guter Mann. Er hatte es in diesem Moment bewiesen. Schlimmer noch: er war einer jener Kerle, die sich für gut hielten und dann doch nur das Gegenteil obzeigten in ihrer gnadenlosen Selbstüberschätzung.
Alles in allem kein Hindernis für das Blondchen. Wenn sie ihn verachten konnte, drohte sie schon nicht wieder auf irgendwelche Masken herein zu fallen. Oder zu glauben sie könnte mehr erwarten, als das Leben ihr derweil bot. Sie wusste selbst, wie hoffnungslos es war. Sie hatte die schrecklich, schmutzige Gasse im Marktviertel hinter sich gelassen und einen letzten Brief in der Lampe ab gegeben, ehe sie wieder ins Haus ihrer einstigen Herrin zurück gekehrt war. Somit wusste jeder über ihren Verbleib Bescheid, der sich vielleicht in irgendeiner Weise darum scheren sollte, was aus dem blonden Mäuschen geworden war, welches stets am Rande des Bildes ihr Dasein pflegte. Geantwortet hatte der Mann, den man nach einem Stern benannt hatte, nicht. Mit seinem wundervollen Freund, dem Raubvogel, war er vielleicht wieder in seine Heimat zurück gekehrt, oder war anderweitig verblieben. Alles in allem war sich das Fräulein wohl sicher, dass auch diese zwei Seiten ihrer Geschichte, abgeschlossen waren und selbst die Illusion von Freundschaft ihr niemals möglich sein würde.
Vielmehr war sie nun hier. Kauerte vor dem Schlammfleck auf dem Boden, den irgendeiner der Dienstboten wohl hinterlassen hatte und starrte auf den hartnäckigen Schmutz, der sich grau und braun über dem edlen Holz ergoss und seufzte. Ihr Blick lag in der Ferne, während sie noch immer in ihrem kleinen, putzeifrigen Schädel die Möglichkeiten durchging, die sich ihr nun für ihr weiteres Leben boten. Dabei erstickte sie Fragen und Antworten. Dabei versuchte sie sich wie stets auf das Wesentliche zu konzentrieren und streng und stoisch anzunehmen, was sich ihr in bescheidenem Maße darbot.
Nun... zumindest eines wusste sie: in diesem Haus stimmte etwas nicht. Sie konnte nur noch nicht genau sagen was. Etwas war an dem neuen Stallburschen merkwürdig und verdächtig. Und mit ihrer Herrin, der jungen Miss Allington, ebenso.
Etwas war da mit den kleinen Burschen, den Boten, die lautlos durch das Haus schlichen und ihre Nachrichten überbrachten, wenngleich keine davon jemals Samanthas Ohr erreichte. In dem Weingut Allington lag etwas in der Luft. Es war eine Farce, ein Spiel und eine dekadente Mischung aus Geheimnissen und Rätseln, die sich der stillen Beobachterin noch nicht ganz erschlossen. Doch Lythia wusste: wenn man lange genug hinsah und hörte, würde sich das Geheimnis von selbst erklären. Und dann wüsste sie, ob sie bleiben konnte, oder ob sie ihr Zuhause schon wieder verlor. Bis dahin würde sie Randfigur bleiben und das tun, was sie konnte. Putzen.
Und so bewegte sich endlich die kleine Hand der Frau. Feucht drückte sie den Lappen auf die nasse, schlammverkrustete Stelle am Boden und sah zu, wie der Schmutz sich mit dem Tuch vereinte, aufgesogen wurde und vom Boden verschwand. Je öfter sie sanft und harsch zugleich darüber strich. Wieder und wieder. Dabei verzerrte sich die Miene der Hausmagd zu einer Fratze. Und sie versuchte nicht zu schreien. Oder zu weinen.
Von Schlamm und Geheimnissen (Lythia Hale)
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Regenteufelchen -
30. September 2015 um 18:51 -
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