Die winzigen, filigranen Hände, getaucht in den zarten Samt, der diese umschloss, betteten sich artig über dem Schoß, wo der Kleidstoff wuchtig aufbauschte, als sie sich auf der peniblen Chaiselongue in ihrem hübsch adäquaten Salon nieder ließ. Im Kamin brannte ein eifriges, hungriges Feuer. Scheite knackten melodisch im seichten Takt der züngelnden Flämmchen. Es duftete nach Wein, guter Speise, süßen Früchten und leichter Vanille, sowie Mandelblüten.
Weinrot floss das schimmernde Satinkleid um ihren schlanken Körper. Hüllte sie ein, schob an ihrem Körper zurecht, was zurechtgeschoben gehörte. Betonte, ohne anstößig zu wirken, wenngleich die nackten Schultern durchaus ansehnlich sein mochten mit ihrer weichen Karamellfarbe und ihrer duftenden Zartesse. Rot und dunkel, lockte sich das Haar offen über ihren Rücken, nur an der linken Schläfe ward es mit einem verzierten Kamm leicht hochgerafft und hübsch drapiert, so dass sich nunmehr nur noch vereinzelte Strähnen über das Dekolleté ergossen und ihre Wirbel hinab rannen, gleich blutigen Wasserfällen. Samanthas Augen lagen im Feuer, während der Herr ihr gegenüber Platz nahm, seinen Weinkelch vom niedrigen Tisch vor ihm hob und diesen schwenkte, daran roch und dann einen kleinen Schluck daran nippte.
„Exquisit! Einer der Euren?“
Die Gestalt des Fräuleins regte sich nicht. Sie schien seine Worte nicht einmal gehört zu haben. Erst als er sich räusperte, zuckte sie zusammen, murmelte eine Entschuldigung und sah wieder in seine Richtung, ehe sie verschüchtert lächelte und die Augen niederschlug. Sie schien keine Ahnung zu haben, was sie antworten sollte, hatte sie ihm doch tatsächlich nicht zugehört. Letztlich war es James, der sich hilfreich vor lehnte und die Weinflasche mit dem Götterfelser Etikett auf den Tisch absetzte.
Von dieser milden Geste belehrt, lehnte sich der junge Mann sogleich wieder in seinem weichen Sessel zurück. „Ahhh, pardon, verstehe. Ein guter Jahrgang. Ihr müsst mir verraten wo ihr diesen edlen Tropfen kauft.“ Dabei untermalte er den Akt der Gemütlichkeit sogleich mit einem Arm, den er nun halb über die Sesselrücken beugte und sich gänzlich Samantha zuwandte. Ein Bein untergeschlagen, schien er sich förmlich in seiner künftigen Rolle bereits jetzt einzufinden, als hätte das scheue Reh ihm gegenüber keinerlei Recht auf Widerspruch.
Doch im Gegensatz zu vielen anderen der freien Käuflichen, die sie im Grunde doch waren- nur dass man sie mit Schmuck und Seide ausstaffiert hatte, mit Land und Gut- konnte Samantha wählen. Zwei Jahre trug sie diese Freiheit und nutzte sie um einem jeden sein schales Grinsen mit einem eisigen 'Nein, danke' aus dem Gesicht zu trümmern, als würde das Fräulein selbst um ihre Freiheit kämpfen. Doch statt mit Schwert und Schild, vielmehr mit Feder und Zunge.
Zwar besaß Samantha keine Fähigkeiten in der listigen Konversation, auch war ihr Geist nicht so scharf gefeilt wie der von vielen anderen Damen dieser Welt, doch besaß das Fräulein etwas anderes, durchaus ebenso wertvolles: sie besaß Stolz. Oft einen falschen Stolz und auch viel zu oft hatte sie diesen derweil schon vergessen. Doch er pochte in ihr, gleich einer frömmigen Ritterlichkeit. Denn auch, wenn man ihr oft Eigensucht vorgeworfen hatte: so mochte das Mädchen, in der Art wie es ihr möglich war, auch ein gutes Herz besitzen.
Ein Herz, welches aber nicht stark genug schlug um ihre Person zum glühen zu bringen und sie wie einen Phönix aus der Asche der anderen empor zu heben. Alles in allem passte sie noch immer überaus gut zu der Blümchentapete, welche die Wände der Rurikhalle zu jenem Frühlingsball geziert hatte. Und sie wusste nur zu gut, dass das andere graue Blümchen an ihrer Seite längst zum Phönix geworden war.
Ein kurzer, heißer Pfeil der Sehnsucht trieb ins Fleisch der Rothaarigen. Sie sehnte sich in jenen Winter der Unschuld zurück, der so weit zurück lag. Sehnte sich in den Schoß der Familie zurück und der Dienerschaft dort. Sie sehnte sich nach den Rosen in den Gärten ihrer Eltern und die Aufregung, als sie dort in die noble Gesellschaft eingeführt wurde und man sie neugierig bewittert hatte, als sie noch neu war. Frisch und lebendig, wie ein Kitz.
Jetzt, in diesem selbst erwählten Exil, blieb nur der fade Geschmack versagt zu haben. Auf so mannigfaltige Art und Weise. Aber Samantha war kein Mädchen, welches dafür bekannt war zu rasch aufzugeben. „Mein Herr...“, tönte daher die weiche, etwas zu helle Stimme des Allington Fräuleins: „Ich meine mich zu erinnern, dass es in den geläufigen Kreisen nicht üblich ist einer Dame SO gegenüber zu treten. Ihr habt mich, seit ihr nun hier seid, schon mehr als dreimal beleidigt. Und ihr scheint diese Zählung fortsetzen zu wollen, was ich nicht dulden werde.“, klärte sie den Mann nüchtern auf, der vor Schreck fast seinen Weinkelch fallen ließ. Seine Augen weiteten sich. Mit kurzen Wimpern umkränzt, waren sie in jenem giftigen blond, etwas zu hell geartet und seine Nase durchaus zu breit, so dass sein Konterfei etwas bäuerliches in sich trug. Zumindest eine Entschuldigung für ihre Eltern, warum sie wieder einen Kandidaten abweisen würde. Mutter wollte diese Nase gewiss nicht in der Blutlinie wissen! Und auch nicht die kleinen, abstehenden Ohren, gleich winzigen Segeln, wie bei einer Fledermaus.
Er war ein hübscher Mann. Gewiss lagen ihm die feinen Damen zu Füßen, wenngleich sein Rang und Titel es ihm nicht unbedingt ermöglichte um sie alle werben zu dürfen. Da war Samantha vielleicht noch die erquicklichste Lösung gewesen. Sie war zumindest nicht vollkommen hässlich. Und auch nicht gänzlich dumm und arm. Dennoch... sie musste ihn enttäuschen und dies auf eine so harsche Art und Weise, dass sich die Kunde rasch verbreiten würde, wie schroff das Fräulein Allington ihre Freier abwies:
„Meine Dame... sollte ich euch in irgendeiner Weise beleidigt haben... so tut es mir aufrichtig leid! Es lag nicht in meiner Absicht!“
„Oh, mir ist bewusst, dass dies nicht in eurer Absicht lag.“
Sie schlüpfte in diese bewusste Rolle, die sie als Kind besser getragen hatte als jetzt. Straffte sich, raffte sich in ihrem Sitz etwas auf und musterte ihn streng. „Deswegen werde ich Nachsicht üben und niemanden von eurem Fehler berichten. Doch meine Antwort sollte durchaus klar sein, mein Herr. Guten Tag. Es ist noch nicht zu spät für eine abendliche Kutsche nach Götterfels.“ Somit sie sich aus den feinen Polstern ihrer Chaiselongue erhob und ihn noch immer mit diesen erbarmungslosen Augen anstarrte. Und tief in ihr fürchtete sie sich vor dem guten Gefühl, welches dieser Moment in ihr auslöste. Als sei er der Sündenbock für andere Männer, die ihr schon viel zu oft Leid zugefügt hatten. Doch rechtfertigte sie sich nicht, noch redete sie sich in ihren Gedanken rein. Sie wusste in diesem Moment, dass sie zwar ein gutes Herz, aber ebenso ein bösartiges, selbstsüchtiges Wesen in sich trug, welches gleich einer dunklen Bestie in ihr hauste. Dieses Wesen nannte sich wohl schlichtweg 'Frau'.
Ein bekanntes Übel, wenn man es so bedachte. Und wieder starb ein anderer hübscher Teil in ihr, den sie niemals hatte verlieren wollen.
„James bringt euch noch zur Tür, ich wünsche keine Briefe mehr zu erhalten, die über das Geschäftliche hinaus gehen.“ Somit sie sich wand, mit bauschenden Röcken das kleine Sofa umwanderte und den Herren einfach stehen ließ. Dieser starrte ihr mit offenem Mund nur noch einen letzten Herzschlag nach und zerrte dann grob an seinem Kragen, als sei es zu heiß im Raum geworden. „Bei den Göttern...“, hörte sie den Werber noch murmeln und war entsetzt über die Achtung in seiner Stimme, als sie den Flur in ihre Gemächer anstrebte. Was war dies für eine Welt, dass das gute Herz verpönt und die falsche Boshaftigkeit geehrt wurde?
Eine Welt, die sie wohl langsam kennen lernte.
Die ihr nicht gefiel.