Er saß mit von sich gestreckten Beinen im vergilbten Laub und lehnte sich gegen die Überreste eines morschen Gatterzauns. Über ihm wiegte sich die Krone eines alten Apfelbaums im Wind. Niemand hatte sich die Mühe gemacht, die Äpfel zu pflücken. Der Geruch von faulem Obst vermischte sich mit dem Qualm der Zigarette, die Fengys rauchte. Ringsum wurden die kahlen Felder in das Licht der untergehenden Sonne getaucht. Götterfels war nur noch ein ferner, grob skizzierter Umriss im Dunst dieses goldenen Abends.
Einen Arm hatte er um die Schultern des Mädchens gelegt. Ihr Kopf war ein Stück weit gegen seine Brust gesunken und einige Strähnen ihres weizenblonden Haares kitzelten sein Kinn. Sie hatte keine Ruhe gegeben, bis er ihr versprach, sich heute mit ihr zusammen den Sonnenuntergang anzusehen.
Sanft rieb er mit der Hand über ihren Oberarm und nahm einen Zug von der Kippe. "Langsam wird es kühl", flüsterte er mit seiner heiseren Stimme zu ihr hinab. Der Blick des Mädchens galt nur der Ferne, als läge jenseits der leeren Äcker die Antwort auf eine Frage, die ihr Mund nie stellte. Wie eine Blume am Wegesrand hatte sie seinen Pfad gekreuzt, gestern morgen erst. Sie war eines von den hübschen Pflänzchen, das man findet, ohne danach zu suchen. Auf einem Karren hatte sie gesessen und Halsketten aus Stroh geflochten, um sie an die wenigen Wanderer zu verkaufen, die sich in diese abgelegene Gegend verirrten. Ein Kupferstück wollte sie für eine Strohkette haben. Dabei war ihr Lächeln ihr bestes Verkaufsargument gewesen. Danach hat sie ihn auch noch zum Frühstück zu sich nach hause eingeladen - vermutlich hat er ausgesehen als hätte er das bitter, bitter nötig.
Lächelnd lehnte er den Kopf zurück gegen den Zaunpfosten und wischte sich mit dem Handballen das ungepflegte, kohlschwarze Haar zurück. Die letzten Strahlen der Abendsonne taten seinem wächsernen Gesicht gut, denn sie verbannten die ungesunde Blässe wenigstens zum Schein aus seinen Zügen. Er bewegte seine schmerzenden Füße in den vor Schlamm starrenden Stiefeln. Selbst solche banalen Ausflüge war er einfach nicht mehr gewohnt. Aber er hatte ganz vergessen, wie kurz der Weg zu Orten voller Frieden wie diesem hier doch eigentlich ist.
"Bei meinem nächsten Besuch bringe ich dir Blumen mit", versprach er dem Mädchen leise und betrachtete das glimmende Ende seiner Zigarette. Dabei wusste er natürlich nicht, ob er je wieder herkommen würde. Der Gedanke sagte ihm schon irgendwie zu. Ein Gehöft am Ende des Tals, fern von den steinernen Ketten der Stadt und all den Gesichtern, die sich einen Dreck um ihn scherten. Es lockte mit süßen Versprechungen von Ruhe und Heilung. In letzter Zeit fiel ihm immer häufiger auf, wie zerrüttet und uneins seine Gedankengänge werden konnten. Schon jetzt gipfelte das viel zu oft in schlaflosen Nächten, in denen ihm nicht einmal seine Arbeit mehr Frieden schenkte. Er schob es auf das Alter und wusste doch, dass es daran nicht lag.
In einem der Apfelbäume krächzte eine Krähe ihr unharmonisches Lied. Fengys hob träge den Blick, konnte den Vogel, mit dem er sich den Namen teilte, aber nicht ausfindig machen. Trotzdem tat es gut, seinen Ruf zu hören.
"Ich geh' hinein, meine Kleine." Vorsichtig löste er sich von dem blonden Mädchen. Ihren schmalen Leib bettete er so gegen den Zaunpfosten, dass er nicht zur Seite weg kippte. Er hauchte ihr einen Kuss neben das Einschussloch in ihrer eiskalten Stirn, erhob sich und klopfte das welke Laub von seinem Mantel.
Mit staksenden Schritten bahnte er sich seinen Weg durch das kniehohe, raschelnde Gras. Das Haus war nur einen Steinwurf weit entfernt. Für den struppigen Hund, der auf der Türschwelle lag, hatte er ein sachtes Lächeln übrig, bevor er über ihn hinweg stieg. Die ersten Maden wanden sich im kastanienbraunen Fell des Tieres. Fengys verschwand im Inneren des stillen Hauses, während draußen die Sonne in den Abgrund hinter dem Horizont fiel.
Es war Zeit zum Essen.
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