Was für eine beschissene Tortur das hier doch jedes Mal war. Er schwitzte unter seinen Sachen, die Haare hingen wirr in seiner Stirn. Wie hatte er jemals auf die Idee kommen können, dass das hier der richtige Ort war? Der Drang, sich selbst zu ohrfeigen verflog, als ihm die Antwort einfiel: damals hatte er nicht gewusst, dass er diese Tortur mehr als einmal auf sich nehmen müssen wird.
Den Abstieg die enge Wendeltreppe hinab hatte er hinter sich. Verschnaufen, durchatmen, nur für einen Augenblick, höchstens zwei. Dann griff Fengys erneut nach dem oberen Ende der massiven Kiste, stemmte es hoch und höher, bis die Kiste aufrecht stand. Mit letzter Kraft schob er sie gegen die Wand zu den anderen. Ein tiefer, rasselnder Atemzug, dann entzündete er sich eine Zigarette an der Flamme seiner Öllampe und ließ sich mit dem Rücken an der Steinwand hinabsinken, bis er mit halb angezogenen Beinen auf dem Boden saß. Genug für heute. Der dritte Sarg war an seinem Platz und... wartete. Zusammen mit den beiden anderen. Auf den Tag, an dem sie gebraucht werden. Tief zog er den trockenen Rauch in seine Lungen und schloss dabei die Augen.
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Der erste Sarg war schwarz. Dunkel glänzte das lackierte Holz im Licht der Öllampe, erhaben und edel anzusehen. War es makaber, eine Totenkiste in die düsterste aller Farben zu hüllen? Oder ist es nur allzu passend und damit fair? Vielleicht tanzte das Schwarz einen Seilakt über dem Abgrund der Widerwärtigkeit, vielleicht hätte auch keine andere Farbe so viel Anmut ausstrahlen können. Sie bedeutete Schönheit - und das Ende. Spröde war die Oberfläche zwar, aber es spricht ja nichts dagegen, etwas Vorsicht walten zu lassen, wenn man mit derlei wertvollen Dingen hantiert.
Das Holz des zweiten Sarges war fast unbehandelt, praktisch in seinem natürlichen Zustand belassen. Braune, graue und grüne Farbtöne flossen durch die griffige Maserung, die danach schrie, berührt zu werden, so wie man zur stillen Freude über die Rinde eines lebendigen Baumes streicheln mag. Ja, man konnte sogar meinen, dass den Brettern noch der harzige Duft des Sommerwaldes anhaftete, von Laub, Moos und guter Erde. Totes Holz? Schon. Aber die Illusion, dass diesem toten Holz noch ein letzter Rest Wärme innewohnte, könnte nicht glaubwürdiger sein.
Der dritte Sarg, den er soeben der Sammlung hinzufügte, war aus wesentlich hellerem Holz gefertigt. Makellos glatt geschliffene, perfekt zusammengefügte Bretter, gänzlich ohne scharfe Ecken und Kanten. Es war unmöglich, sich hier einen Splitter einzufangen. Hell wie Elfenbein, wie Marmor, wie Alabaster, voller Versprechen davon, wie ebenmäßig sich das Holz unter den Fingern anfühlte. Etwas kühl mochte es dabei wirken, blass wie die Wintersonne, aber unbestreitbar von exquisiter Qualität, darum bemüht, das Auge des Betrachters zu erfreuen.
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Wie viele Kisten wird er noch zimmern müssen? Drei hat er gebaut und jedes Mal war er überrascht gewesen, dass es nötig war. Auf dem ersten Sarg würde bereits eine dicke Staubschicht liegen, wenn er ihn nicht ständig säubern würde. Der zweite stand auch schon eine ganze Weile hier. Jetzt gab es einen neuen. Die Existenz jedes einzelnen Sarges war unabdinglich, sie waren Auftragsarbeiten, die niemals vom jeweils auserkorenen Kunden bestellt worden waren. Er hasste es, sie zimmern zu müssen. Aber es gab keine Alternative.
Asche rieselte zu Boden, als Fengys im Sitzen seine Kippe abklopfte. Unruhig tippelte sein linker Fuß auf den Steinfliesen herum, vergeudete Energie, die sein Leib eigentlich nicht hatte. Es gab schon Gründe dafür, dass er seine Visage nicht mehr draußen zeigte. Die Krähe war kaum noch ein Schatten ihrer selbst, zu tief und zu gespenstisch haben sich die Spuren des Erlebten in seine Züge gegraben. Dass man innerhalb weniger Monate um so viele Jahre altern kann, hätte er niemals für möglich gehalten. Er stützte einen Ellenbogen auf sein Knie und legte seine wächserne Stirn in die Handfläche. Der Schmerz zwischen seinen Schläfen wurde wieder stärker. Ein kurzes Abtasten seiner Manteltaschen verriet ihm voller Hohn, dass ihm sein Mittelchen dagegen abermals ausgegangen war. Scheiße.
Seine morschen Gelenke rebellierten, als er sich wieder in die Höhe stemmte. Er bereute die raschen Bewegungen sofort - das Chaos in seinem Schädel pulsierte machtvoll auf, fraß sich durch seinen Verstand und es kostete ihn erschreckend viel Zeit und Mühe, bis er die Kontrolle zurück erlangte. Nicht darüber nachdenken. Es war alles in Ordnung. Unbewusst hatte er sich mit einer Hand an der Wand abgestützt und korrigierte dieses unwürdige Verhalten erst jetzt. Er ließ den aufgerauchten Zigarettenstummel fallen, zertrat ihn unter seinem Stiefel und drückte die Flamme der Öllampe zwischen Daumen und Zeigefinger aus.
Wenn er wirklich ehrlich zu sich war, wusste er ganz genau, was er tun musste. Es gab nicht mehr genug Schmutz in den Straßen. Nicht genug Fliegen legten ihre Eier in faulem Fleisch ab, die Nächte leuchteten nicht dunkel genug. Es gab nicht genügend Giftringe, die über Weingläsern entleert wurden, nicht genügend Maden und verlaufene Schminke, keine frivolen Worte wurden mehr von lächelnden Mündern geflüstert und es wurde zu wenig getanzt. Wie konnte es so weit kommen?
Die Gesellschaft vergaß sich. Ihre schwachen Hände sammelten voller Heuchelei die Scherben ein, die von Sitte und Anstatt übrig geblieben sind, versuchten etwas zu retten, wo nichts gerettet werden durfte. Diese Flucht vor dem Genuss musste aufhören. Aber dafür war er ja da - um zu helfen. Was wäre Götterfels ohne die Krähe?
Noch etwas wusste er. Ein Lächeln umspielte seine blassen Lippen, als er schweren Schrittes die Wendeltreppe nach oben erklomm.
Er hat sich selbst belogen. Gerade eben erst, in diesem Keller dort unten, in seinen eigenen Gedanken. Er hasste es nicht, die Särge zu zimmern. Er liebte es. Der Zimmermannshammer schlug im Takt mit seinem eigenen Herzen, jeder Sargnagel war ein Finger von ihm, mit dem er hingebungsvoll in das Holz griff und er würde die Bretter auch mit seinen bloßen Handflächen glatt schleifen, wenn er es müsste. Trost spendete ihm das Wissen darum, dass er vorgesorgt hat. Und er war geduldig. Zuerst wird sich der Kellerraum füllen, dann die Särge. Irgendwann. Drei Stück reichen nicht.
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