Sie lag auf dem Bauch im Schnee, der nicht kalt war. Fast wie ein weiches Bett war er. Sie schlug die Augen auf, nur um sich zu vergewissern, dass es wirklich Schnee war auf dem sie da lag. Sie blinzelte. Sah sich um. Kein Laut war zu hören, selbst dann nicht, als sie die Hand in den weißen Schnee drückte, der eigentlich unter dem Gewicht hätte knirschen müssen. So erhob sie sich vollends und schaute aus der Höhe umher, stockte einen Moment, als sie den hellgrauen Jungwolf an ihrer Seite stehen sah.
"Wie kommst du hier her?" schoss es ihr durch den Kopf und mit erstaunen musste sie feststellen, dass sie die Worte einwandfrei ausgesprochen hatte. Sie legte sich eine Hand an den Hals und blinzelte erneut.
"Ich bin, wo du bist." Die Stimme war verwaschen, mit einem knurrenden Unterton, den man schier nicht ausmachen konnte.
Sie strich sich über den verschlissenen Rock während die ersten Schritte durch den lautlosen Schnee gemacht wurden. Unbehagen hätte sich breit machen sollen, doch fühlte sie sich gut und stark. Es kam ihr so vor, als wäre sie zu Hause angekommen. Der Wolf ging neben ihr her.
"Und wo bin ich? Wo sind wir?"
"Sag du es mir."
Der Blick aus goldenen Augen wanderte wieder umher. Weit und breit war nur schneebedecktes Land zu sehen. Berge und Täler, hinter welchen Heimstätten lagen. Sie konnte sie nicht sehen, aber sie wusste, dass sie da waren. Bäume und abgefressene Sträucher standen hier und da. Hinter ihnen ragte die gewaltige verfallene Halle auf, die einst so prächtig gewesen war und heute mehr einer Pilgerstätte glich. Die, die so waren wie sie - und doch gänzlich anders - kamen hier her und suchten den Segen von ihr. Von ihr, die schon so lange weg war. Sie war einfach weg. Die junge Norn keuchte und legte sich eine Hand auf die Brust, in der es so beklemmend drückte. Sie schüttelte das Gefühl ab.
"Wir sind in den Nebeln."
"Sind wir das wirklich?"
Er ließ sie zögern. Sie mussten in den Nebeln sein. Wo sollten sie sonst sein? Aber sie verstand nicht, wie sie dorthin gekommen waren. Und sie verstand nicht, warum Wolf direkt an ihrer Seite stand. Er sah aus wie immer. Hellgrau, beinahe weiß mit goldgelben stechenden Augen. Sein Fell glänzte ein wenig, es war gesund und gut. Es schützte sie beide in der Nacht, wenigstens ein bisschen.
Sie blinzelte.
"Nein."
"Warum?"
"Weil ich nicht sprechen kann. Nicht so."
"Willst du aufwachen?"
"Ja."
"Gut. Denn es ist an der Zeit."
"Zeit? Zeit für was?"
...
Sie schreckte aus dem Traum hoch und die eisige Luft drang in ihre Lungen, als sie schnappend nach Atem rang. Hastig rieb sie sich die Augen, sah sich um als würde sie nach etwas suchen. Doch die Geräusche, die sie in der Nacht umgaben rissen an ihrem Kopf, drängten ihr Bewusstsein ins Jetzt. Seufzend tastete ihre Hand zu ihren Beinen, ehe sich Finger in das raue Fell gruben, welches näher an der Haut weicher wurde. Tonlos atmete sie aus, begann zu nicken. Im Halbdunkel des Versteckes in das nur wenig Mondlicht einfiel sah sie, wie sich die goldgelben Augen auf sie richteten. Und leise, mehr schon heiser drang ihre Stimme durch die Nacht.
"Zeit?"
Der Jungwolf starrte sie an. Er sprach nicht, keinen einzigen Ton.
"Zeit."
Er blinzelte und erhob sich dann, um sich ausgiebig zu strecken und gähnend die scharfen Zähne zu zeigen. Mit einem stillen Nicken erhob auch sie sich und trat vorsichtig aus dem Versteck unter Tannenzweigen und Ästen hervor. Erneut atmete sie tief durch, ehe der Wolf an ihr vorbei lief und einige Schritte später nochmals zu ihr sah. Es war ihr, als würde er sie tadelnd ansehen, weil sie nicht auf den Fuß folgte. Direkt tat sie dies.
"Zu...w-..weißer Wo-..Wolf?"
Wieder starrte sie der Wolf aus goldgelben Augen heraus an und wieder sagte er kein Wort. Er konnte nicht sprechen, das wusste sie. Doch er wusste, was sie noch erfahren würde:
Es war Zeit, den weißen Wolf aufzusuchen.
Den weißen Wolf mit den kaputten Augen.
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