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Der Marktplatz lärmte und trotz der einziehenden Kälte war er gut besucht. Viele Ständer sahen es gar nicht ein vor Mitternacht ihre Waren einzuräumen und viele Neukunden wurden natürlich reichlich beschenkt, immerhin zählte man auf jeden einzelnen Besucher oder eher auf seine Münzen, die er beim Einkauf hinterlassen würde. Einige wenige Kinder waren noch da, tollten entweder in kleinen Grüppchen durch den ersten Schnee, oder aber hingen wie Kletten an den Mänteln ihrer Eltern, um bloß nicht in der rauen Masse unterzugehen. So viel auch los war, ein Gedränge entstand nie. Jeder wusste wohin er wollte und was er brauchte, geschwätzige Bekanntschaft hatte immerhin noch am Rande der Wege ihre Möglichkeit sich auszutauschen. Gerüchte schwebten ohnehin schon die gesamte Zeit durch die Straßen, aber momentan heizten gerade die Vorfreuden auf Feste und Feierlichkeiten die Gespräche an. Jeder hatte etwas zu tun, oder aber vorzubereiten und das zur Genüge.
„Wie immer drei?“ Die Frage der Obsthändlerin erübrigte sich mit dem amüsierten Schmunzeln von Chester. Eine hager anmutende Brünette sah der Ärztin entgegen, dick eingepolstert in einen Mantel mit Fellsaum an Hals und Ärmeln, während ihre Kundin ihren üblichen Mantel mitsamt Schal trug. „Es sind immer drei.“, war die Antwort von ihr und ließ die ältere Dame hinter all den Kisten voller verschiedenster Früchte aus Kryta auflachen, die daraufhin schon eine kleine Tüte mit Orangen vollpackte. In einer Routine hob sich ihre Hand auch zu einem nebenstehenden Sack voller Erdäpfel, jedoch hielt sie inne und sah stirnrunzelnd zu ihrer Kundin. „Wieder Kartoffeln, oder doch morgen erst?“ „Eigentlich erst morgen, aber.. pack 'schon einmal ein. Vermutlich werde ich sowieso wieder mehr brauchen, als ich zuerst gehofft hatte.“ „Was heißt hier 'hoffen', hm? Magst meinen Stand wohl nicht mehr, was?“ Die grünen Augen der bemantelten Frau blinzelten verdutzt, bevor sich die Lippen erneut zu einem Schmunzeln kräuselten und die schiere Bewegung dieser dafür sorgte, dass die silbernen Ringe in den Mundwinkeln kurz den fahlen Schein der Abendsonne etwas reflektierten. Genauso wie der Stecker im linken Nasenwinkel und der kleine Ring am äußeren Rand der darüber liegenden Augenbraue. „Ach, du weißt doch wie ich das meine.“ „Ist mir schon klar.“ Die Händlerin schnaubte amüsiert und steckte grinsend noch gut zwanzig Kartoffeln in die Tüte hinein, verschloss diese mit einem geschwinden Handdrehen und reichte sie ihr diese über den Stand. „Vierzig wären das dann.“ Chester nahm die verhüllte Ware entgegen und legte sie in den Korb, bevor sie einen darin liegenden Beutel öffnete und einige Kupfermünzen herausfischte, die sie der vermeintlichen Bekanntschaft rüber reichte. „Das passt dann so, wir sehen uns morgen.“ „Auf dann, Manisa.“ Die beiden Frauen nickten sich noch einmal zu, bevor sich die Ärztin abwandte und nebenbei ihren Geldbeutel wieder verschloss, der im Innenfutter des Mantels versteckt wurde. So wurde anliegenden Ständen bereits keine Aufmerksamkeit mehr geschenkt, sondern der direkte Weg zurück zum Haus aufgesucht.
Als die Tür hinter ihr in den Rahmen fiel und das Schloss bestätigend knackte, seufzte sie leise aus und trat in die Küchenzeile ein. Der Korb wurde abgestellt und um sein Inneres betrogen. Die Tüte mit Orangen und Kartoffeln kam heraus, ein eingepackter Fisch und sogar ein Laib Brot mit fast genauso großzügig gebündeltem Räucherschinken. „Das sollte vorerst reichen..“ Eine Kanne wurde mit Wasser befüllt, diese auf den Herd gestellt und die dazugehörige Platte weggeschoben. Dafür hockte sie sich runter, schob ein Schutzblech zur Seite und warf mit einem Zündstein Funken hinein, bis sich das erste Stück Kohle mit der Hitze füllte und sie daraufhin bereits wieder das Verdeck schloss. Stein samt Metall kamen ungeachtet mit auf die Arbeitsfläche und dann begann sie alles einzuräumen. Obst und Kartoffeln kamen in einen größeren Korb unter den Ablegebereich, der Fisch fand sein neues Heim in einer Kiste voller Salz und als Zimmergenossen noch den Schinken, derweil das Brot in einen trockenen Holzkasten kam, der mit rauem Papier ausgelegt war. Einige Krümel zeugten davon, dass da schon einige Vorgänger drinnen waren. Der leere Korb wurde auf andere in einem weiteren kleinen Unterbereich der Küche fernab von neugierigen Blicken gestellt, bevor die Dame wieder aus der Zeile schritt. Der schwere Mantel wurde abgenommen und seine Brustseite eingeschlagen, damit der Beutel nicht herausfiel. Danach warf sie das dunkle Leder einfach lieblos auf das Sofa und setzte sich selbst durchatmend auf den Sessel, der mit dem Rücken zum Fenster stand und blickte durch den stillen Raum. Es war wirklich still und hätte sie nicht Selbstgespräche geführt, die letzten Wochen und Monate wären grauenhaft gewesen. Die Regale waren nur noch voller geworden durch die Bücher, die sich ansammelten und der Platz auf dem Schrank war auch sauber. Die Falken waren seit längerer Zeit mit ihren Jungen fort und kamen nicht zurück, ließen sich auch nicht mehr blicken. Ihr Augenmerk schwenkte zum Sofa auf dem Stych einst immer schlief und auch der Boden wurde nicht mehr von einem kleinen schwarzen Schwein belaufen. Kein leises, schnelles Klopfen war zu hören, das sie nur zu schnell zur Weißglut brachte, wenn sie am Tisch darüber grübelte welche Komponenten sich nun beißen und welche nicht. Dann sah sie zum Sessel gegenüber und musste kurz schmunzeln. Dort saß sie schließlich eigentlich immer und führte ihre Gespräche mit Cornerstone, sollte er denn mal zu Besuch gekommen sein. Er war ein merkwürdiger und zwielichtiger Kerl, aber sie fand sich in dieser Art und Weise wieder. So sehr sie es auch immer wieder abstreiten wollte, dumm waren diese Unterhaltungen nie und meist doch eine sehr willkommene Ablenkung von dieser tristen Stille. Eine Ruhe, die sie wirklich nur dann mochte, wenn der harsche Arbeitsalltag sie endlich losgelassen hatte und sie nach all den Stunden im Keller wieder nach oben kam. Der Gestank war ihr schon lange egal gewesen und auch die Tatsache, dass sie eher für andere arbeitete, aber auch diese Beschäftigung war nur eines – Zeitfraß.
Ein zweites Mal in der letzten halben Stunde öffnete und schloss sich die Tür, fiel ins Holz zurück und ließ das Schloss knacken, als die Zähne einhakten. Ihr Fokus schwenkte dorthin und ihr Atem stockte, während sich die Augenlider etwas zu verengen begannen. Chester's Blick wurde von dem eines einzelnen, markant ockerfarbigen Augen erwidert. Ebendieses verengte sich langsam und ließ das von Feuer verbrannte Gesicht nur noch grotesker aussehen, als es ohnehin schon war. Die rechte Hälfte war noch einigermaßen intakt, doch war die linke bis auf den Knochen runter genagt in welchen canthanische Schriftzeichen eingeritzt wurden und den derben Riss umrahmten, der sich als Spalt durch den bloßen Schädel bahnte. Blut, Krieger und ein Gott. Die Worte wiederholten sich immer wieder und waren überall. Das helle Haar hing weit über den Rücken, die dreifingrige linke Hand lag umschlossen um den Knauf einer Gehstütze und den hageren Leib zierte eine einstmals rote Kettenrüstung, die jedoch von Rost zerfressen und von Erde verdreckt war. So verwittert der alte Zaishen auch aussah, er war am Leben. Thrymaer war zurück.
Chester sagte kein Wort. Es war still genug, dass sie ihren eigenen Puls rasen spüren und ihr Blut durch die Ohren rauschen hören konnte. Der Krüppel schnaufte tief aus bei dem Blick und schnalzte abschätzig mit der Zunge, ging steif und hinkend zum freien Sessel hinüber und wurde dabei die gesamte Zeit von der Ärztin angestarrt, die dementsprechend kommentarlos beobachtete wie sich der angeschlagene Soldat einfach schroff auf das Möbelstück niederließ und ebendieses mit Rost und Dreck besudelte. Der Gehstock wurde an die Armlehne gelegt und die Beine gemächlich etwas ausgestreckt, bevor er sich auch mit dem Rücken ins Polster ließ und den Blick schließlich erneut erwiderte. „Starren macht es nicht besser.. und abgesehen von dieser Wohnung habe ich gerade keine Unterkunft in der Stadt.“, schnarrte er ihr mit kehliger und heiserer Stimme zu, die ungewohnten Zuhörern einen Brechreiz hätte entlocken können, doch war es der Hausbewohnerin egal. Diese atmete schlicht gedehnt durch und ließ sich selbst in den Sessel zurück sinken. „Wie geht es dir?“ „So wie ich aussehe.“ Eine nicht ganz so flapsige Antwort, wie sie sich irgendwie erhofft hatte und so sehr sich die Situation auch urplötzlich gedreht hatte, sie fühlte eine barsche Kälte in sich aufkeimen. Üble Vermutungen schlichen sich nicht unberechtigt in ihr hoch, immerhin hatte sie schon zu oft unerwarteten Besuch von Gestalten die nicht einfach nur merkwürdig waren. Personen, mit denen selbst ein Mesmer nicht zurecht kam, der so arrogant und alkoholabhängig war wie selbstverliebt. „Wo warst du?“, hakte sie schließlich nach und die darauf folgende Reaktion ließ sie stark zusammen zucken. Er winkte mit der linken Hand ab, schnarrte genervt und wandte den Blick zur Seite ab. „Ich habe keine Ahnung an welchem Arsch dieser blödgefickten Welt ich eigentlich gelegen habe, oder gefangen war.. oder was das auch immer gewesen sein sollte, aber ich bin einige hundert Meter neben dem Kloster im Tal unten aufgewacht, so in diesem Dreieck von Ordensbrüdern, Sumpf und Zentauren.“ Die Hand wurde sinken gelassen und der Blick fand auf dem verwirrt anmutenden Gesicht der Ärztin zurück, doch ließ ihn das nicht davon abbringen einfach weiter zu reden. „Der Taubheit in meinem Körper nach lag ich da entweder schon länger, oder ich wurde aus der Kälte dahin gebracht.. daher ist meine Frage an dich, wie lange ich weg war.“ Chester atmete tief durch und blinzelte die Unsicherheit aus ihrem Blick weg. „Es.. Das war über ein Jahr, wenn nicht sogar zwei.“ Der Zaishen blinzelte genau einmal. „So lange lag ich bestimmt nicht herum.. scheiß drauf.“ Erneut ein Abwinken, weitaus salopper als zuvor und er nahm es sich sogar noch heraus den rechten Unterschenkel über das linke zu schlagen, während die Unterarme auf den dafür ausgelegten Lehnen aufgelegt wurden. „Ich bin hier, ich lebe.. mehr interessiert mich gerade nicht.“ Erneut blinzelte sie und verengte dann die Augen, doch bevor sie etwas sagen konnte, begann er schon zu bellen. „Was ist? Willst du dich beschweren, dass ich dir keine Blumen mitgebracht habe?“ „Einen Scheiß will ich, nur, dass du endlich aufhörst mit diesem Mist!“ Er raunte und drückte sich mit den Händen wieder in eine ordentlich sitzende Position hoch. „Von welchem Mist willst du gerade reden, Weib? Dass ich für den Gott kämpfe dem ich mich verschrieben habe, oder nicht will, dass irgendein Kultgesindel durch die Welt reist und die Zivilbevölkerung Kryta's in Gefahr bringt?“ „Du sollst endlich damit aufhören über deine Grenzen zu gehen und wenn, dann bleibst gefälligst tot!“ Auf die Worte hin folgte Stille und eine bange Stimmung legte sich in der Wohnung nieder. Schließlich war es der alte Mann, der seine Stimme zischend und langsam erhob. „Du willst jetzt nicht wirklich damit anfangen, dass-“ „Genau damit fange ich wieder an.“, bratzte sie ungehalten zurück und schnitt ihn mitten im Satz ab. „Es ist mir egal, wenn du dich immer wieder und wieder in den Kampf stürzt, dabei meinetwegen deinen Arm verlierst und wie ein Schlachtschwein vor Blut triefend wieder hier rein kommst, als sei nichts gewesen.“ Unterstreichend zu dieser Aussage schlug sie ihren linken Handrücken durch die Luft und verwies zur Tür, ohne, dass sie den Blick von ihm abwandte, schließlich war sie gerade dabei zu sprechen. „Es geht darum, dass auch du Grenzen hast und die solltest du aufhören so leichtfertig zu übertreten.. weder psychisch, noch physisch. Oder steht irgendwo in euren hirnverbrannten Tugenden, Schriften, Psalmen oder sonst was drinn, dass ihr euch blindlings ummähen lassen sollt für ein bisschen Adrenalinrausch und Spaß am Mord im Krieg?“ Die Worte ließen ihn schnarren, bevor er sich wieder in den Sessel lehnte und ihr reichlich genervt entgegen sah. Die Ärztin brauchte einen längeren Moment um wieder zur Ruhe zu kommen, bevor sie sich auf die Beine schob und in die Küchenzeile ging. „Ich koche Kaffee.“ „Ja, sei endlich mal nützlich.“ Sie hielt inne bei dem Kommentar und hob die Brauen leicht hoch. Realisation traf sie wie ein Schlag und sie begann verbittert zu grinsen. „Halt einfach die Schnauze, alter Sack.“, brummte sie ruhig mit einem leichten Lächeln auf den Lippen zurück.
Der erdige Geruch von Kaffee lag in der Luft und die befüllten Tassen wurden von Chester rüber zu den Sesseln getragen, dort auf den Tisch gestellt. Der Soldat sah zuerst zum dampfenden Inhalt runter, dann skeptisch zur Hausherrin, die sich neben ihn mit auf das Möbel setzte und ihn ganz dezent mit der Hüfte etwas zur Seite schob, damit beide Platz hatten. „Vergiss es.“, grummelte er. „Dein fetter Arsch passt hier nicht drauf.“ Sie gluckste, wandte sich ihm zu und lehnte einfach den Kopf seitlich auf seine von Ketten verhüllte Brust, schloss dabei die Augen. „Sei einfach ruhig.“ Diese Worte ließ er erneut unkommentiert stehen, sah rüber zum leeren Sessel ihnen gegenüber und legte den Arm um sie.
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