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Bequem hatte sie es sich vor Stunden gemacht und solange saß sie bereits in ihrem Sessel. Der Blick haftete an den ersten Zeilen des nächsten Kapitels des Buches an, welches sie zwischen den Fingern hielt und auch ihre Konzentration lag darauf. Ein leises Kratzen allerdings forderte ihre Aufmerksamkeit. Der rechte Zeigefinger wurde auf das zuletzt gelesene Wort gelegt und das Augenmerk zum Geräusch hingewendet. Sie schmunzelte, als Stych in ihr Sichtfeld geriet. Bäuchlings lag der Bursche auf dem Sofa und kritzelte mit einem Stift auf dem Stück Pergament unter ihm herum, das dort auf dem Boden lag. Dementsprechend streckte er sich etwas herunter, lümmelte sich ansonsten jedoch auf dem Polster herum. In Griffweite war auch ein Glas mit Fruchtsaft, genauso wie jenes unglaublich hässliche Brillengestell für welches er in seiner Gruppe bekannt war. Nur kurz musterte sie den Rumpf des sehnigen Jünglings und nickte zufrieden, als sie den helleren Narbenbereich erspähte, welcher sich um seine Taille schlängelte. Damit fand sich ihre Aufmerksamkeit in jenen stillen Momenten zurück in das Buch und auch der Finger rutschte zur Seite, damit sie ungestört weiterlesen konnte.
Ein leises Glasklirren ließ sie am Ende des Kapitels etwas zusammen zucken und aufsehen, erneut zu Stych hinüber. Der Stift war ihm aus der Hand gerutscht und jene hatte das Glas umgestoßen, deren Inhalt sich munter über den Boden ergoss. Der junge Zaishen war eingeschlafen. Leicht blinzelte die Ärztin, klappte allerdings das Buch zusammen und legte es vor sich auf dem runden Tisch ab, bevor sie sich aufrichtete und in die schmale Küchenzeile ging. Kalt rann ihr das Wasser über die vernarbten Finger, als sie den Lappen benetzte und schließlich auswrang. Sie ging noch einmal zu ihrem Sessel und nahm eine zusammengefaltete Decke von der Rückenlehne. Mit einem beherzten Ausschlagen öffnete sie die Falte und legte dem Ruhenden die Decke über den Körper, nur um sich herunter zu hocken, das Glas aufzuheben und den Saft kommentarlos aufzuwischen. Stift, Pergament und Brille wurden etwas weiter zur Seite geschoben, damit man nicht aus Versehen darauf treten konnte, ehe sie sich aufrichtete und lautlos durchatmete. Bei der Bewegung, welche sie aus dem Augenwinkel ausmachen konnte, hielt sie allerdings inne. Dennoch rutschte der Blick nach links und ein verstohlenes Schmunzeln machte sich auf ihrem Gesicht breit. Sie konnte den graugekleideten Mesmer in der Küchenzeile ausmachen, der genauso reglos und eingefroren wie sie dort stand und offenbar, genauso wie sie, dem erfolglosen Versuch nachging unsichtbar zu bleiben indem er sich nicht bewegte. Sacht biss sie sich mit dem rechten Eckzahn auf die Unterlippe und schmunzelte deutlicher vor sich hin, nur um amüsiert zu grinsen, als Cornerstone sich wahllos eine Banane aus dem nahen Obstkorb griff und einfach in feine Kristalle zersprang. Ihre Schultern zuckten unter einem stummen Lachen und sie stellte sich bequemer hin, das Glas immer noch in der Hand und auch den Lappen, während sie regelrecht abwartend rüber zum Obstkorb sah. Tatsächlich dauerte es nicht lange, da erschien der Mesmer wieder, legte die Banane zurück und ergriff stattdessen eine Orange, bevor er wieder verschwand.
Regelrecht stur starrte Cornerstone aus dem Fenster zu seiner Linken heraus und ignorierte Chester, welche ihm gegenüber wieder in ihrem Sessel saß und sich einen Schluck von einer der beiden auf dem Tisch stehenden Tassen gönnte. Der Blick aus dunkelgrünen Iriden haftete auf dem Gesicht des älteren Mannes. „Mir war klar, dass du dir lieber die Orange holst.“, murmelte sie schließlich und sah mit einem Schmunzeln auf die bereits zur Hälfte geschälten Frucht, die neben dem Mesmer auf dem Tisch lag. „Das freut mich für dich..“, grummelte der Ältere leicht zerknirscht zurück und warf der amüsiert schnaubenden Frau einen fast schon schneidenden Seitenblick zu. „Du beobachtest viel zu viel..“ „Was mein Aufgabenfeld ist.“ „Als Hausfrau?“ „Als Ärztin.“ „Da war was..“ Etwas unwohl dreinblickend rieb er sich kurz über das Brustbein, sah dabei zur Seite weg, nur um den Blick doch wieder auf sie zu richten. Der Ausdruck in beider Augenpaare hatte sich gemildert und das Amüsement ebbte ab. „Du weißt, dass ich..“, begann er, doch wurde er mit einem Kopfschütteln von ihr abgewimmelt. „Ich weiß und ich werde dir das auch nie vorhalten.“ Er zog die Brauen bei den Worten etwas zusammen, atmete leise auf und nahm die Orange zur Hand, welche der Mittelpunkt seiner Aufmerksamkeit wurde. Zumindest die seines Blickes. Kurz und nur angedeutet rollte sie mit den Augen. „Pass auf.. du sagtest mir, dass du nichts hast tun können und das glaube ich dir auch, doch solltest du dich dementsprechend nicht unnötig von Schuldgefühlen zerfressen lassen.“ Er hob den Blick an und zog die Brauen runter. „Irgendwie kommt es mir so vor, als ginge mir das weitaus mehr an die Nieren, als dir.. und das sollte nicht so sein.“ Ob dieser Worte hob Chester die Schultern angedeutet an. „Ich wusste worauf ich mich einlasse.. du hast ihn gesehen, du kanntest ihn und für eine Zeit hast du sogar sein Vertrauen genossen. War es nicht klar, dass es so irgendwann enden würde?“ „Ja, ich habe ihn gesehen.“, entgegnete er ihr. „Aber ich habe auch euch beide gesehen.. du kannst mir keineswegs versuchen weiszumachen, dass du ihn nicht auch vermisst.“ Sie schwieg und er seufzte leise, hob den Blick von der Orange zu ihr an, schälte langsamer weiter. „Was genau hat euch beide überhaupt miteinander verbunden?“ „Die Arbeit.“, entsprang es ihr fast schon. „Die Alchemie, gewisse weitere medizinische Bereiche und dann eben das, was du mitbekommen hast.“ „Die Lügen, der Hass, die Zwietracht und die Beleidigungen.“ „Ja.. das auch.“ Mesmer und Ärztin schmunzelten sich für einen Moment an, ehe sie den Blick doch voneinander abwandten. Sie sah auf den Tisch vor sich herunter und er aus dem Fenster hinaus in die nächtliche Finsternis. Er trennte sich eine Kerbe aus der Orange ab und legte sie sich auf die Zunge. „Das kann doch nicht das Einzige sein was du an ihm vermissen könntest.“, murmelte er schließlich kauend und spülte sich sowohl Worte, als auch Kerbe mit einem Schluck aus der eigenen Tasse herunter. Leicht zog sie ihre Brauen ob dieser Worte zusammen und blickte selbst aus dem Fenster hinaus, nur um die Mundwinkel steil anzuheben. „Wir hatten so viel Sex.“, entkam es ihr plötzlich und sie lachte laut auf, als sie sah, wie das Fensterglas von Kaffee besprenkelt wurde, den der Mesmer bei den Worten ausspuckte.
Mit einem leisen Seufzen schob Cornerstone Chester die Orange zu, während neben ihm ein Spiegelbild seiner Selbst mit einem Lappen das Fenster abwischte. „Du hast mir den Appetit verdorben..“ „Du hast sie angefangen, jetzt isst du sie auch auf.“, zischte die Ärztin zurück, woraufhin der Mesmer mit einem Grummeln nachgab und die Frucht wieder zwischen die Finger nahm. „Die Bilder hättest du wirklich nicht verbreiten müssen.“ „Ich hätte dir auch davon erzählen können was wir alles gemacht haben und wo..“ Sie kassierte sich mit einem breiten Grinsen einen äußerst angesäuerten Blick des Mannes, der ihr in jenem Augenblick gegenüber saß. „Ich hatte eigentlich vor die Orange zu essen und mir nicht.. unnötige Geschichten über Gräueltaten anzuhören.“ Zwar schwieg Chester, doch konnte sie fast schon sehen wie er ihr eben jene Erzählungen von den Augen ablas. Mit einem tiefen Seufzen setzte er die geschälte Frucht auf den Tisch zurück. „Ich hasse dich..“, maulte er in einem leisen, wehleidigen Ton und brachte sie erneut dazu zu lachen, das nur umso lauter wurde, als ihr Blick zu Stych rüber rutschte, der vom Sofa aus geschockt zu den beiden rüber sah. „Müsst ihr so etwas unbedingt hier besprechen?!“, feixte er zu ihnen rüber. „Ich versuche hier zu schlafen!“ „Selbst schuld, wenn du so etwas versuchst.“, kommentierte die Ärztin diese Aussage und rieb sich grinsend über die bereits wässrig getränkten Augen. Stych brummte leise und wälzte sich auf die andere Seite, dem Raum den Rücken zuwendend. Schnell kehrte wieder die Ruhe um ihn ein. Mit einem leisen Durchatmen sah sie zum Mesmer zurück. „Du hast es versucht und dafür bin ich dir dankbar.. belassen wir es beide darauf, hm?“ Er hob die Schultern angedeutet bei diesen Worten, nickte jedoch schließlich ergeben. „Gut, wenn du es so möchtest..“ Chester schmunzelte dünn bei der Aussage und nahm ihre Tasse wieder zwischen die Finger, der Blick in das verquirlte Nass gerichtet. „Ich möchte, dass du das nicht bei jedem zweiten Besuch ansprichst.“, murmelte sie und schloss die Augen. Sie konnte hören, wie sich der Mesmer auflöste, doch statt darauf etwas zu kommentieren trank sie nur vom Kaffee.