Lektion: Gnade

"Der Tod, er ereilt einen jeden von uns, irgendwann. Und auch wenn ich einem jeden von euch ein langes Leben wünsche und dafür bete, sollt ihr verstehen, dass dort draussen Kräfte walten, die ungezügelte Geister wirken. Sie zerstören und vernichten. Bringen Leid und Verderben, ohne die Bürde ihrer Opfer tragen zu wollen. Sie kennen keinen Respekt und keine Achtung.
Ihr...egal was ihr tut- ich erwarte von einem jeden von euch, die Dämonen eures Wesens stets in Ketten zu halten."

Bedrückende Stille folgte den Worten des alten Mannes, der etwas erhöht, vor der Gruppe jugendlicher saß und in jedem Gesicht seiner Lehrlinge las. Er ließ sich Zeit hierbei, ebenso wie die Zierlichste unter ihnen, um die Gefühle ihrer Mitschüler zu erahnen.
Ihr nächster Bruder, seine Züge waren vom Ernst angespannt. Er fürchtete das Ausmaß solcher Geister, die seiner träumerischen Philosophenseele widersprachen und doch verstand er, wovon der Meister sprach. Weit weniger einsichtig zeigte sich ihr jüngster Bruder, der in seiner Lebensphase des Eifers, nicht daran glaubte, jemals mit inneren Dämonen ringen zu müssen. Er war nicht der einzige, der diesen Ausdruck zu Gesichte trug, doch weit mehr zeigten Nachdenklichkeit, oder Unverständnis.

"Wir verehren Grenth, weil er auf unsere Toten acht gibt. Weil er uns lehrt, eine jede Entscheidung im vollsten Bewusstsein ihrer Konsequenzen zu tragen. Es kommt der Tag, da werdet ihr eine Entscheidung trefden müssen, die ein Leben kostet- obgleich ihr stets bewahren sollt. Wenn dieser Tag kommt, seid gnädig."
Ein raunen, aus zahlreichen Kehlen erklingend, folgte den Worten und zeugte vom Unverständnis.
"Das heisst, wenn wir jemanden abste...töten könnten, sollen wir es sein lassen und ihn zum Heiler bringen?"
Sayadia grinste verwegen ob ihrer Worte, wo sie doch glaubte, die Botschaft verstanden zu haben.
"Nein, du Skalhirn. Meister Tzu meint damit, keinen sterbenden liegen zu lassen und die Gnade eines raschen, schnellen Todes zu gewähren. Weil wir keine Monster sind, wie er beschrieb. Weil uns diese Gnade Lyssa lehrt." Kyoko hatte die lockende Samtstimme erhoben, um ihrer Mitnovizin in der Ansicht die Stirn zu bieten.
Beide junge Frauen, starrten sich über die Köpfe von Ken und Taro hinweg an, die stur den Blick auf dem Meister behielten und die Mädchen ignorierten.
"Das weiss ich doch! Nenn mich nicht Skalhirn, du Klippenziege!"
"Dann sag es, Skalhirn!"
"RUHE!"

Der Meister erhob seine Stimme wahrlich nicht laut, doch reicherte sie mit einem bedrohlichen Klang an, der alle Blicke sofort wieder zu ihm rucken ließ, bevor zwei Köpfe sich beschämt senkten.
"Du hast recht Kyoko- zum Teil. Wir lassen keine sterbenden zurück, noch schwer verletzte. Nicht auf dem Feld, nicht anderswo. Doch selbst wenn ihr die Klinge im Sinnen der Auslöschung führt, seid gnädig. Seid schnell, denn ihr wollt auch nicht leiden. Seid präzise, damit es keinen zweiten Versuch braucht.
Und vor allem: nehmt nie ein Leben, wenn ihr es nicht achtet und die Bürde nicht tragen könnt. Zeigt die Gnade, die ihr für euch und euresgleichen ebenso wünscht."


Langsam klärte sich der Blick wieder, nachdem das kühle Blau lange Zeit über die dunkle Schneide des kurzen Schwertes gestrichen war. Kunstvoll schmückte die Musterung feinster Schlangenschuppen das Metall, dicht hinter dem Ende des Griffes. Die Klinge war fast unschuldig und hatte seit ihrer Existenz kein Blut eingefordert, dass nicht von den verdorbenen Dienern eines Drachen stammte. Ihr Dienst war nie benötigt worden, noch die Entscheidung, sie gegen einen Menschen zu führen, wo bisher Worte stets gereicht hatten.
Doch diese Worte die ihr nun auf der Seele brannten, die blieben unerhört. Sie hätte um den Frieden flehen können, den sie ihrer Familie wünschte , doch sie würden unerhört bleiben, weil die Zeit, wie einst vom Meister prophezeit, Monster schuf- und das einzige was sie von diesen Monstern unterschied, war der Unwille es zu tun und das Mitleid. Sie sollte sie hassen, doch sie konnte es nicht. Jene, die ihrer Familie jüngst schadeten, jegliche Gastfreundschaft zerstörten und mit ihrer Ehre brachen.
Jene, die ein kleines Kind zum schreien und weinen brachten, weil es nicht verstand und mit einer Furcht belegt wurde, die eine so kleine und zarte Seele erschütterte.
Sie war unwillig- doch fest entschlossen, diese eine Sache, niemals zu vergeben und alle Mittel zu nutzen, ihr Kind zu schützen.


Einmal hatte sie zugelassen, dass man ihrer Familie schadete, ohne das sie etwas dagegen unternahm.
Dieses mal würde es nicht so sein.


Dieses mal, würden die Monster Gnade erfahren und von ihrem Elend und Schmerz, ihrer Boshaftigkeit und Ehrlosigkeit befreit werden.
Sie schwor es, noch bevor sie das Schwert aus seiner Halterung auf dem Altar hob, damit es seinen Platz an ihrer Seite einnehmen konnte~

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