Wenn wir träumen, dann sind wir daheim. Im Traum sind wir alle zusammen. Im Traum ist niemand allein.
Doch am Ende ist der Traum genau das - nur ein Traum und wenn wir erwachen ist es das Gefühl des allein seins, welches uns überkommt. Mit sich bringt das Erwachen den Schmerz und die Angst. Die Angst nicht zu wissen wo man ist, wohin man nun soll und was überhaupt passiert ist. Doch dann gibt es die Gärtner. Sie nehmen uns in Empfang, beruhigen uns und ihre Stimmen klingen wie das sanfte Whispern des Windes - welches auch die Stimme der Mutter trägt. Die Stimme der Mutter ist es die uns im Gedächnis bleibt, selbst wenn der Schreck groß ist. Ihre Worte sind es die uns Geborgenheit, Sicherheit und Liebe geben. Wir sind nicht allein, egal ob wir träumen oder wachen. Wir sind eins, mit ihr......
... jedenfalls sollte es so sein.
Glyzavo reißt die Augen auf und schnappt nach Luft. Sein Körper krampft. Hände zu Fäusten geballt zucken die Gliedmaßen unkontrolliert. Unbekannter Schmerz schiebt sich durch die Bahnen in denen sonst der goldene Harz seine Wege fließt. Pulsierend das blaue Glimmen, welches aus ihm heraus zu brechen scheint, ebenso wie der Schrei, der die Stille der Nacht durchbricht. Gerade noch im Traum versunken versuchte der rote Hüter Ruhe zu finden. Einen Ort, weit weg vom Hain, weit weg von den Geschwistern. Ein Ort zum Erholen von all den Dingen die erlebt worden waren, die Spuren hinterlassen hatten und das nicht nur auf der gefärbten Rindenhaut. Tief waren die Schnitte, die er mit sich trug und so törricht war es von ihm, zu glauben das er den größten Schmerz bereits hinter sich hatte. Der Tod seines Zwillings. Ein notwendiges Übel, welches aber nicht umgangen werden konnte. Ein notwendiger Schmerz den er aber überwunden hatte. Denn, als es passierte, als das Glimmen erlosch da war er nicht allein gewesen. Sie war dabei gewesen. Doch nun war sie fort.
Wie lang hatte Mutter gebraucht um ihm diesen Traum zu senden? Wie lang hatte Mutter versucht die Abschirmung zu durchbrechen um ihrem Sohn, der ihr so treu ergeben war, mitzuteilen das sie fort war. Tot war sie. Getötet war sie und er war nicht da. Er war nichtmal in Reichweite gewesen um ihr letztes Lächeln zu sehen. Und selbst wenn er im Hain gewesen wäre, wäre er wohl nichtmal fähig gewesen ihr beizustehen. "Mutter", japste Glyzavo, als die Verkrampfungen sich lösten und er sich endlich vom Boden hinauf drücken konnte. Sein Lager war provisorisch gewesen. Ein wenig Moos auf einem der goldenen Steine die in den zerbrochenen Hallen lagen. Wie passend dieser Ort mit jedem neuen Tag doch für ihn wurde. Als würde alles hier wiederspiegeln was er war. Allein. Zerbrochen. Verdammt dazu einfach alles hinzunehmen und es zu ertragen. "Wie kannst du mir nur hier...", keuchte er gepresst hervor, als er sich versuchte aufzurichten. "Wie kannst du mir nur hier von ihrem Tod erzählen?" Doch eine Antwort gab es nicht. Er würde keine Antwort vom Mutterbaum bekommen, so wenig wie er jemals wieder ein Wort Arvilyns hören würde. Sie würde den Traum nicht mit neuen Erinnerungen speißen, sie würde nie wieder eins ihrer seltenen Lächeln lächeln und sie würde ihn nie wieder zurechtweisen, wenn sein Misstrauen einer Mission im Wege stand, die doch so viel wichtiger war. Sie würde nie wieder seine Hand greifen um Trost zu spenden und nie wieder nach ihm hauen, wenn er die Grenzen überschritt. Sie war nun eine Erinnerung. Sie war nun für alle Geschwister abrufbar, die den Weg der Hüter gehen werden. Ihre Taten waren zu einem Leitbild geworden, an dem sich Sprösslinge nun orientieren können.
Quälend langsam hob und senkte sich die breite Brust. Das Atmen tat dem Roten weh. Die kalte Luft der Nacht brannte in den Lungengebilden. Schnaufend schoben sich die Finger der rechten Hand unter das Blattwerk, welches sich als schützender Handschuh über die linke Hand und den halben Arm zog. ~Fort~ war der Gedanke der sich in den Kopf des Hüters schob, als er sich das Blattwerk vom Arm riss und der knarzende Ton die Ruhe erneut störte. Er musste weg, dieser Druck in seiner Brust, der ihn am atmen hinderte. Und das Blattwerk störte....
.... schnaufend stand Glyzavo da. Die Arme, locker an den Seiten, waren es einzigst die kleinen Harztropfen die das wenige Licht der einst so prunkvollen Halle reflektierten. Sein Glimmen war fort, ebenso das störende Blattwerk, was Arme und Brust umschlungen hatte. Das satte Rot, welches seine Blätter sonst füllte verblasste allmählich. Ein bitteres Lächeln lag auf den Lippen des Hüters, als die Erkenntnis ihn traf wie ein Steinschlag. Der Druck in der Brust, lag nicht am zu eng gewordenen Blattwerk. Er kannte sich nicht mit den eigenen Gefühlen aus. Er konnte Gefühlsstürme in Geschwistern beruhigen, er konnte Ruhe spenden wenn Angst den jungen Geist eines Sprosses zu verzehren drohte, er konnte ein Fels in der Brandung sein und das mit einer Leichtigkeit wie manch einer seine Magie einsetzte, er war ein guter Redner, man hörte ihm zu, verstand seine Worte und schöpfte Kraft und Hoffnung aus Ventaris Lehren, aber die eigene Gefühlswelt ergründen? Darin war Glyzavo absolut untauglich. "Bei den blassen Blüten der Mutter.... warum... was....", weiter kamen die Worte gar nicht. Auf die Knie sank man, in stiller Demut. Es ertragen. Er würde es ertragen. Er würde nicht schimpfen. Er würde nicht kämpfen. Er würde es nicht versuchen zu blockieren. Er würde akzeptieren das das was er geliebt hatte verloren war, das das was er annähernd wie die Mutter selbst bewundert hatte nun wieder eins war mit ihr. Zweierlei was er nicht erreichen konnte. Der Mutterbaum verschlossen, entkräftet, angreifbar und - Arvilyn.
Und beides liebte er mehr, als das eigene Leben.
Doch nur das war ihm geblieben.
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