Calliope - Geschichten vergangener Tage

Einst kam eine Fremde in das Dorf Wren, um Obdach und Arbeit zu finden. Obwohl sie jung an Jahren war, war ihr Körper gebeugt und ihr Fleisch von Krankheit ausgezehrt.
"Ihr tragt die Zeichen der Pest", sagte ein Bürger namens Gallick. "Verlasst diesen Ort, oder Ihr macht unsere Bürger auch noch krank."
"Ich habe meine Familie und mein Heim verloren", weinte die Frau. "Habt ihr denn kein Herz?"


Leise konnte man, wenn man gute Ohren hatte aus der hintersten Ecke hören, wie der Text mitgesagt wurde. Calliope hatte die Augen geschlossen und den Kopf gesenkt, als würde sie zu Boden blicke. Sie kannte alle Geschichten um die Göttin Lyssa auswendig, so wie auch die verschiedener anderer Götter. Das Jahr im Tempel hatten sie genutzt um aufzusaugen, was aufzusaugen werden konnte. Ihr Vater hatte es ihr erklärt mit einer Ruhe, die sie selten so genießen konnte.


„Du wirst im Tempel lernen, mein Sonnenschein. Die Priesterschaft wird dich lehren, welche Götter es gibt und deinen Glauben an sie stärken. Du wirst lernen, welche Stärken und Schwächen die Menschen haben, um es zu nutzen, wenn du einmal eine richtige Frau bist. So wie deine Mutter es tut... Und wenn du wiederkommst wirst du eine kleine Lady sein.“


Jeden Tag läutete die Glocke am Turm des Tempels zur frühen Morgenstunde, scheuchte Priester und viele junge Wesen zum Waschen, stillem Essen und den Lehrstunden. So schwer es ihr am Anfang auch gefallen war, still zu sein, wenn man aß, nicht lachen zu dürfen, wenn einem etwas lustig passierte oder gar sein Zimmer nicht zu verlassen, wenn der Donner ihr mal wieder in den Ohren dröhnte, so sehr hatte sie sich an dieses Leben doch angepasst. Je schneller sie lernte und zu einer kleinen Dame wurde, um so schneller durfte sie den Tempel wieder verlassen. In ihrem Kopf gab es schon die Gedanken eines Balls zur Rückkehr der kleinen Lady. Ein festlich geschmückter Saal, viele leckere Speisen und ein Kleid, dass leise über den Boden rascheln würde, wenn sie die Schritte in die Halle tun würde. Sie freute sich auf ihre Mutter, die den stolzen Blick nicht von ihrer Tochter lassen könnte. Dieser Tag, an dem sie zu ihrer Familie zurück kommen würde war es, der sie so hart und energisch arbeiten lies. Bücher wurden Tag um Tag gewälzt, Gebete gesprochen und für sie kam sogar eine echte Dame in den Tempel um sie in den Dingen einer Frau zu lehren. Das gerade stehen fiel ihr nie schwer, auch die Bewegungen beim Gehen und Sitzen fiel ihr leicht. Nur die Kommunikation zwischen der Benimm-Dame und ihr endete immer in lauten Worten der Frau und einem kleinen Mädchen, dass darum kämpfte ihre Tränen zurück zu halten. Aber auch das würde sie lernen. Irgendwann. Keine Tränen zu vergießen oder die richtigen Worte zu finden.


Nur manchmal gab es Momente, an denen sie am Fenster ihres Zimmers saß und die anderen Kinder im Hof beobachtete, denen es erlaubt war im Dreck zu spielen, zu lachen und ihren Spaß zu haben. Nur dann, und auch nur, wenn sie sich sicher war, dass sie alleine war, schenke sie dem Geschehen einen sehnsuchtsvollen Blick. Tief in ihr wusste sie aber, dass es nunmal nicht ihre Aufgabe war im Dreck zu spielen. Sie würde irgendwann einen Mann heiraten. Einen Mann, der für ihren Vater und Cenedor wichtig sein würde, so hatte man es ihr erklärt. Und dafür musste sie ausgebildet werden.


So verging ein weiteres Jahr im Tempel, ein weiteres Jahr, an dem sie ihrem Vater, ihrer Mutter und ihren Bruder schrieb. So sehr in ihre Arbeit und Ausbildung vertieft fiel ihr nicht mal mehr auf, das kurz vor ihrem achten Geburtstag kein Brief mehr bei ihr ankam.