1
Einst war der Weiße Mantel Recht und Gesetz in Kryta. Bevor die Glänzende Klinge ihn in der Schlacht um Löwenstein den vernichtenden Schlag versetzen konnte, gehörte jeder hohe Herr und jede hohe Dame, die etwas auf sich hielt dieser Organisation an. Die Gesetze der Unsichtbaren waren strikt, aber wer sich an sie hielt bekam mehr. Mehr Essen, mehr Kleidung, mehr Landbesitz, mehr Geld. Jene die dadurch zur Macht aufstiegen und denen der Weiße Mantel zu einem Goldenen Zeitalter verhalf, änderten sogar oft ihren Familiennamen um die Organisation zu ehren. Familie Weißmantel war die einfallsloseste von ihnen. Dicht gefolgt von Familie Mantelweiß, Familie Weißkleid und Familie von und zu Weiß. Aber es gab auch ausgefallenere Methoden den Weißen Mantel im Namen zu verehren. Einige ließen die Farbgebung ganz weg und wandelten nur den Mantel sprachlich ab, wie Familie Mendelsson. Andere verwanden Assoziationen wie Familie Schnee. Und dann gab es noch die, die nur die Farbgebung übernahmen (vermutlich weil ihnen in Löwenstein zu warm war, um Mäntel zu tragen, selbst im Namen), sie aber sprachlich abwandelten und sogar ältere, verlorene Dialekte verwendeten. So wie Familie White. Oder der alte Oskar Wittingen. So auch Madame Beatrice LaBlanche. Es war wahrhaft eine königliche Zeit für Madame Beatrice LaBlanche und ihren Göttergatten Hugo. Sie gründeten eine Familie im strikten Glauben an die Unsichtbaren, zogen drei wundervolle fanatische Kinder auf, bekamen einen Landsitz, Geld, mehr Essen als gut für sie war (figurtechnisch gesehen) und die schönsten Kleider. Natürlich alle in weiß.
Beatrice liebte Fuchsien. Das Nachtkerzengewächs war überaus hübsch anzusehen und wurde so in das Familienwappen integriert. Und fortan sollten Weiß und Fuchsie die Farben der Familie LaBlanche sein. Es war somit in zweierlei Hinsicht die "Blütezeit" der Familie.
Von "Blütezeit" kann heutzutage kaum noch eine Rede sein. Nachdem der Weiße Mantel ausgetilgt worden war, verloren die LaBlanches ihre Privilegien, durften jedoch gnädigerweise nach einem Treueschwur zu Prinzessin Salma ihre Ländereien und ihren Status behalten.
An die Glanzzeit vor fast 300 Jahren erinnern heute nur noch die Familienfarben und das Fuchsien-Wappen, welches heute hauptsächlich Pfändungsscheine und Immobilienverträge schmückt.
Victor LaBlanche war alleinstehend, ein Adliger der sich gerade einmal "Edler" nennen durfte. Ohne wirklichen Einfluss oder Macht innerhalb der Stadtmauern von Götterfels musste er für seinen Wohlstand etwas tun, was die meisten Adligen nur ungern taten: Hart arbeiten.
Er stieg schon mit jungen Jahren in das Immobiliengeschäft ein, verwaltete Ländereien und ordnete mit Zuspruch der Ministerkammer Räumungsklagen an wenn Mieter ihre Wohnung nicht mehr bezahlen konnten.
Jemand, der Leute die grad knapp bei Kasse waren, aus ihrem zu Hause warf um es teuer an den nächstbesten zu verkaufen, hatte verständlicherweise nicht viele Freunde. Und so war es auch verständlich, dass er noch immer alleinstehend war und die ganzen edlen Damen sich lieber einen Fürsten oder Erbprinzen schnappten.
So kam es, dass Victor nach einem harten Arbeitstag nicht länger zur edlen Gesellschaft flanieren ging sondern viel öfter die Gemütlichkeit einer bürgerlichen Taverne aufsuchte, in der er seine Sorgen und seine Einsamkeit in billigem Bier ertränken konnte. Und schon bald lernte er Juliana kennen.
Juliana war jung, blond, hübsch und vollbusig, eine perfekte Schankmaid deren weit geöffnetes Dekollettée so manches Trinkgeld in sich aufnahm. Und Victor selbst war auch nicht unansehnlich, auch wenn er kein Ritter in glänzender Rüstung war.
Den Traum von einer Heirat die ihm Geld und Ländereien einbrachte, so dass er nicht mehr arbeiten musste, hatte er aufgegeben. Also brachte er den Mut zusammen und lud Juliana auf ein Bier ein.
Aus einem Bier wurden zwei, aus zweien sechs und ehe sie es sich versahen wurde aus der sechs Sex. Eine wilde Nacht unter Alkoholeinfluss. Juliana wusste um den Stand Victor's und rechnete damit, dass es sich bloß um diese eine Nacht handelte. Doch das war in Ordnung, sie war ja kein Kind der Trauer. Also schlich sie sich früh morgens aus dem Haus, sehr zur Verwunderung von Victor's Butler Sebastian, der das Verschwinden einer halbnackten, üppigen Blondine aus dem Gemach seines Herren nur mit einem pikierten Stirnrunzeln kommentierte. Und ihr stumm das Höschen entgegenhielt, das er im Flur gefunden hatte.
"Ich vermute dies gehört Euch, Madame."
Doch für Victor war es mehr als nur eine Nacht. Er mahlte sich eine wunderbare Zukunft aus, in der er nach harten Arbeitstagen täglich in die großen, weichen, zarten... Arme Juliana's sinken konnte. Also, die großen, rundlichen Arme vorne, die eigentlich keine Arme waren.
Er spürte sie erneut auf, brachte ihr Blumen und Geschenke und lud sie zu einem romantischen Abendessen ein. Aus einem romantischen Abendessen wurden zwei, aus zweien sechs und nach jedem Mahl tat sich Victor an der weichen Haut der Schankmaid güttlich.
Es dauerte kaum drei Monate, da konnte Victor den Gedanken nicht länger ertragen, Juliana an jemand anderen zu verlieren. Ihr Körper war einfach zu sehr dafür gemacht, eine warme, weiche Oase für müde Arbeiter zu sein. Sie war zwar kein Edelfräulein und hatte ein Mundwerk wie ein Waschweib, doch irgendwie gefiel ihm das. Und so kam es, dass er sie erneut aufsuchte und um ihre Hand anhielt.
Juliana selbst hielt nicht viel von Hochzeiten. Sie war jung und wollte das Leben in vollen Zügen genießen und sich nicht bloß einem Mann hingeben. So hätte sie das Angebot Victor's dankend abgelehnt. Normalerweise.
Dummerweise war ihr seit ein paar Tagen, genaugenommen seit dem vorletzten Besuch von Victor, morgens schlecht und ihre Ärztin hatte ihre schlimmsten Befürchtungen bestätigt. Eine gut gebaute Schankmaid konnte das Leben genießen. Aber eine Schankmaid ohne Geld und einem Kind am Hals? Victor sah gut aus, die Nächte mit ihm machten unsagbar Spaß, er hatte sehr viel Geld, war adlig und hatte einen Butler, der sich um den kleinen Schreihals würde kümmern können.
Also machte Juliana das beste aus der Situation. Sie lächelte verzückt, war zu Tränen gerührt und sagte begeistert: "Ja, ich will!"
Glamurös war die Hochzeit nicht. Und seinem Ansehen half die Hochzeit mit einer vollbusigen Schankmaid auch nicht gerade, obwohl er die neidischen Blicke der Edelherren an den Seiten der zänkischen Hofdamen im Rücken spüren konnte. Dafür war die Hochzeitsnacht aber umso schöner.
Und etwa neun Monate später erblickte die kleine Emilie das Licht der Welt.
2
Manche Kinder werden, wenn sie aufwachsen, zweisprachig erzogen. Oder studieren neben der normalen Sprache auch das alte krytanisch. Bei Emilie war es ähnlich. Von ihrem Vater und dem Butler Sebastian lernte sie die noblen Umgangsformen, wie man als adlige wohl spricht und sich sittsam verhält. Von ihrer Mutter aber lernte sie wie eine derbe Schankmaid zu reden und sich auch so aufzuführen. Und sie lernte auch schnell, wann was angebracht war. Wenn ihr Vater zu Hause war, war sie das artigste, liebreizenste und vornehmste Kind das man sich vorstellen konnte. Sittsam, artig und nie ein falsches Wort.
Doch war er fort, schimpfte sie oft wie ein Rohrspatz und lieferte sich Beleidigungsduelle mit ihrer Mutter. Die meist scherzhaft gemeint waren. Meistens.
Natürlich wurde Sebastian, der das ganze als unparteiischer beobachtete, schnell der Grund für dieses Verhalten klar. Juliana war arm. Sie lebte zwar im Luxus, doch brachte Victor das Geld nach Hause und würde sie etwas falsches anstellen, könnte er sie auf die Straße setzen. Deswegen konnte Emilie sie nach Lust und Laune schikanieren. Juliana ließ nicht alles auf sich sitzen, schließlich wurde sie auch mit betrunkenen Halsabschneidern fertig, doch ihre Tochter lernte viel zu schnell und war sehr schlagfertig.
Bei Victor war es offensichtlich, dass sie die liebe, unschuldige kleine Tochter spielte. Sie war ja so brav, dass Victor ihr immer wieder neue Geschenke mitbrachte. Hübsche neue Kleidchen. Süße und teure Puppen. Handgefertigtes Spielzeug. Weiche Seidenbettlaken. Victor verwöhnte seine liebe kleine Emilie von vorn bis hinten.
Als Juliana endlich den Mut aufbrachte mit Victor über Emilies Fehlverhalten zu reden, hatte die kleine den "Unschuldsengel" bereits so perfektioniert, dass Victor Juliana kein Wort glaubte und der Ansicht war, dass Juliana sich das ausdachte weil sie eifersüchtig auf das Mädchen war.
Daraufhin gab es einen heftigen Streit zwischen den beiden. Juliana hatte die lauteren Argumente. Und als es schien, dass Juliana den Streit für sich entscheiden würde, griff Emilie zu ihrer stärksten Waffe. Sie fing bitterlich an zu weinen.
Mitleid war der perfekte Weg, ihren Vater zu kontrollieren, und schon war der Streit beendet als er sagte "Na toll, jetzt hast du unseren kleinen Engel zum weinen gebracht. Ich hoffe du bist stolz auf dich."
Er nahm Emilie tröstend auf den Arm und drehte sich weg von Juliana.
"Kleiner Engel, vonwegen" murmelte Juliana, doch Victor entgegnete schneidend "Ich will davon kein Wort mehr hören!" und fuhr dann sanfter gen Emilie fort "Ganz ruhig spätzchen, Papa bringt dich nach oben mh? Was hältst du von Eis zum Nachtisch?"
Und als dieses kleine Gör auf den Schultern ihres Vaters nach oben getragen wurde und dann grinsend zu Juliana aufblickte und ihr die Zunge rausstreckte, da wusste Juliana dass sie verloren hatte. Und dass ihre Tochter verdorben war.
Juliana fühlte sich betrogen. Von ihrem geliebten Mann und von ihrer eigenen Tochter. Emilie jedoch gab sie nicht allein die Schuld. Sie war eben ein gescheites Kind und gescheite Kinder nutzten die Waffen die man ihnen gab zu ihrem Vorteil. An ihrem Verhalten gab sich Juliana selbst die Schuld, dass sie sich nicht angepasst hatte und bemüht war einer jungen Adligen ein Vorbild zu sein. Und sie gab Victor die Schuld, weil er die kleine viel zu sehr verwöhnte. Juliana war die einzige, die mal ein Machtwort sprach und das Kind erzog, was natürlich Emilie gegen sie aufbrachte. Sie war der "Buhmann".
Nein, Emilie konnte sie verzeihen. Aber nicht Victor. Nicht nur dass er die Hauptschuld an dem missratenen Gör trug die von Prinzessin Jekyll zu Waschweib Hyde und zurück wechseln konnte als wäre nichts dabei. Nein, wenn Juliana versuchte dem Kind Manieren beizubringen, war er auf Emilie's Seite.
Sie hätte damit leben können wenn sie seine Liebe mit Emilie hätte teilen müssen. Doch Emilie beanspruchte alle Zuneigung ihres Vaters für sich und für Juliana blieb nur wenig übrig. So konnte sie nicht weiterleben. Also suchte sie sich ihre Liebe und Zuneigung woanders.
In den Armen anderer Männer.
Als Emilie 7 war verstand sie noch nicht, warum die fremden Männer ihre Mutter besuchten, wenn Vater nicht da war. Sie verschwanden mit ihr immer im Schlafzimmer und schienen zu kämpfen. Zumindest hörte es sich so an. Allerdings war danach so eine seltsame Stimmung in der Luft. Emilie hatte ein Gespür dafür. Ein Gespür das sich schon ein Jahr später weiter entwickeln sollte, bis sie anfing, Emotionen, Eindrücke aus ihrer Umgebung aufzuschnappen. Empathie. Sie merkte wie schuldig sich Juliana fühlte, wenn Vater heimkam. Sie spürte ihre Scham, aber auch gleichzeitig eine Abneigung gegen ihn als wäre er Schuld an allem.
Die Gefühle, die sie aufschnappte wenn Männer zu Besuch kamen, waren eine andere Geschichte. Sie konnte sie nicht richtig einordnen. Sie waren erdrückend, irgendwie angenehm aber auf gleiche Weise beängstigend. Emilies Herz raste immer wenn Mutter mit einem Mann im Schlafzimmer verschwand. Zunächst ging sie auf Abstand, möglichst weit weg vom Schlafzimmer, doch sie begann zu begreifen dass ihre Mutter etwas verbotenes tat. Etwas aufregendes, das Vater verletzen würde, wenn er davon erfuhr.
Das gefiel Emilie ganz und gar nicht. Irgendwann reichte es ihr und sie wollte ihre Mutter zur rede stellen, damit sie aufhörte. Sie war bereit, nett zu ihrer Mutter zu sein, wenn sie nur aufhörte das zu tun, was Vater verletzen könnte. Also stürmte sie ins Schlafzimmer ihrer Eltern, wo Mutter grade mit einem Kurier am kämpfen war.
Sie öffnete die Tür, nachdem sie sich zurecht gelegt hatte, was sie Mama sagen würde damit sie aufhört. Sie öffnete den Mund um zu sprechen... und der Mund blieb offen.
Was sie sah, roch und hörte als sie die Tür geöffnet hatte, war alles andere als das, was sie erwartet hatte.
Sie stand in der Tür, selbige nur gerade so weit offen dass sie hindurch passte, und blickte seitlich auf die Szene, die sich ihr bot. Die beiden im Zimmer hatten sie noch nicht bemerkt und so fuhren sie unbeirrt mit dem fort, was auch immer sie taten.
Sie sah ihre Mutter und den Kurier. Beide waren nackt, das Licht der Öllampe warf glitzernde Reflexionen über die Schweißperlen von denen beide bedeckt waren. Mutter lag auf dem Rücken, die Beine angewinkelt auf den Schultern des Kuriers, der ihren Hintern mit seinem Becken zu stoßen schien. Als erstes fielen ihr die Brüste ihrer Mutter auf, die hoch und runter schwappten. Als würde man zwei mit Wasser gefüllte Ballons auf einen Tisch legen und den Tisch hin und her kippeln. Es hatte etwas hypnotisches, weswegen Emilie eine Weile hinsah. An ihre Ohren drang das klatschende Geräusch, wenn der Kurier sein Becken gegen ihre Mutter stieß, vermischt mit einem tiefen Stöhnen aus seinem und kurzen, rhythmischen Aufschreien aus dem Mund ihrer Mutter. Sie roch Schweiß, Feuchtigkeit und etwas anderes, seltsames das sie nicht genau zuordnen konnte. Es roch fast wie Mittagessen, nur mit zu viel süßem Gewürz und zu viel Salz.
Die emotionalen Eindrücke waren beklemmend. Es war, als warteten beide auf irgendetwas, wie das Gefühl wenn man niesen musste es aber einfach nicht konnte, nur stärker und es brannte im Bauch, statt in der Nase. Und hinzu kam eine Anspannung die Emilie fast betäubte.
Der Kurier zog sein Becken zurück und schob seine Hand unter ihre Mutter, dann drehte er sie auf den Bauch. Emilie konnte nur viel zu gut sehen, was der Kurier zwischen seinen Beinen hatte und was er dann damit bei ihrer Mutter anstellte. Die Brüste ihrer Mutter schaukelten wieder, diesmal wie zwei überreife Äpfel an einem Ast. Sie schrie lauter, irgendwas über die Götter, was Emilie nicht verstand weil sie sich die Ohren zuhielt.
Und dann veränderte sich etwas. Wie eine kleine Explosion die sich vom unteren Bauch durch den ganzen Körper ausbreitete. Eine Explosion, die Mutter zwang ihr Gesicht in die Kissen zu drücken und den Kurier, seinen Kopf in den Nacken zu werfen. Emilie's Knie wurden weich und sie sackte weinend zusammen.
Das war der Moment wo der Kurier zur Tür sah und "Oh Scheiße" grummelte. "Du hast nicht gesagt dass du Kinder hast."
"Was?" hörte sie ihre Mutter sagen, bevor sie sich umdrehte und erst zum Kurier, dann zur Tür blickte. Ihre Gesichtszüge entglitten. "Emilie!"
Juliana versuchte aufzustehen und zu ihrer Tochter zu laufen, doch ihre Knie waren noch weich und gehorchten ihr nicht so recht. Auch sie weinte, als sie strauchelte und auf dem Boden landete. Emilie stand auf und zog die Tür zu. Sie rannte in ihr Zimmer, schloss die Tür und verkroch sich in ihr Bett. Sie hörte den Kurier noch sagen "Du hättest die Tür abschließen sollen". Das waren die letzten Worte die sie je von dem Kurier gehört hatte, denn danach hörte sie eine Schimpftirade ihrer Mutter wie noch nie zuvor.
Sebastian, der überaus irritiert war, einen nackten Mann aus dem Haus flüchten zu sehen hob nur eine Braue. Gefolgt von einer nur mit der Bettdecke bekleideten Juliana die ihm seine Sachen hinterherwarf. Dann stapfte sie wütend zurück und blickte verstört auf als sie Sebastian bemerkte.
"Kein Wort zu Victor" sagte sie drohend.
"Ma'am" hob Sebastian pikiert an. "Euer Gatte bezahlt mich damit ich das Haus sauber halte und Euch Tee serviere. Nicht dafür, mich in Familienangelegenheiten einzumischen."
Juliana seufzte und setzte sich an den Küchentisch, schlug die Hände im Gesicht zusammen. Die Bettdecke rutschte runter, doch das scherte sie nicht. Verzweifelt murmelte sie gegen ihre Handflächen.
"Und Emi hat alles gesehen..."
Sebastian hob erneut die Braue, griff die Bettdecke mit Zeigefinger und Daumen und schob sie zurück über Juliana's Schultern.
"Mit Verlaub Ma'am, das war nur eine Frage der Zeit mit dem Mangel an Vorsicht, den Ihr mit Euren amurösen Umtrieben walten lasst."
"Ich brauche keine verdammten Belehrungen, James!" grollte Juliana ihm entgegen.
"Ich heiße Sebastian, Ma'am."
"Ja, wasauchimmer." Juliana winkte ab und vergrub ihr Gesicht wieder in ihren Händen.
"Und Ihr habt Recht Ma'am, für Belehrungen ist es offensichtlich zu spät."
"Ach, drauf geschissen." murrte Juliana und stand auf. "Das Gör is' sowieso missraten."
"Mit Verlaub Ma'am, dieses 'Gör' ist Lady Emilie LaBlanche, Edle von Götterfels."
"Jaja, laber nich'."
Sie nahm eine Weinflasche aus dem Barschrank und verzog sich schlurfend wieder ins Schlafzimmer, wo sie die Schuldgefühle mit Wein betäubte.
Sebastian schüttelte darüber nur den Kopf.
Er ging in die Küche und tat das, was er am besten konnte, um kleine Mädchen aufzumuntern, selbst nun wo Emilie vermutlich den Schock ihres Lebens durchlebt hatte. Er bereitete eine Mousse au Chocolat zu, die er mit Vanille verfeinert ins Zimmer der kleinen Lady brachte, die noch immer auf ihrem Bett lag, das Gesicht schluchzend in den Kissen vergraben.
"Fräulein Emilie, Ihr solltet verstehen dass das, was Ihr gesehen habt, etwas ganz natürliches ist, auch wenn ich weder die Art der Praktizierung noch die Gesellschaft befürworten kann mit der Eure Mutter dies tat."
Sebastian erntete dafür nur einen verständnislosen Blick. Stumm stellte er daraufhin die Mousse auf den Nachttisch und verließ schweigend das Zimmer.
Emilie verstand erst einige Zeit später, was er damit sagen wollte.
3
Eine ganze Weile war es überaus ruhig im Hause LaBlanche. Kein Zickenkrieg, keine Beleidigungen. Emilie und Juliana übten sich im gegenseitigen Anschweigen. Auch Victor bekam es mit, doch er verstand die Situation falsch. Er sah nur, dass seine zuckersüße kleine Prinzessin und sein geliebtes Weib nicht mehr stritten und war ganz zufrieden.
Emilie erzählte ihrem Vater stolz, dass sie Gefühle von anderen spüren konnte. Und dass sie Eindrücke von Dingen erhielt.
"Du spürst Gefühle von anderen?" fragte Victor nach.
"Ja. Wenn jemand traurig ist, fühl ich mich auch traurig. Wenn jemand glücklich ist, macht mich das froh. Ich merke, wenn jemand lügt weil ich nervös werde wenn er es erzählt." erklärte Emilie.
"Du spürst also was die Person gerade fühlt, wenn du in ihrer Nähe bist?"
Emilie nickte.
"Bei jeder Person?"
Emilie sah zu Juliana. Sie sah sie direkt an und sagte: "Bei jeder. Jede Emotion."
Juliana weitete die Augen. Also auch bei ihr, wenn sie fremdging und...?
"Ich hol noch mehr Wein, hast du genug Wein Schatz?" sagte sie schnell und stand auf.
Emilie grinste über diese Reaktion gehässig.
"Ja, danke Liebling" sagte Victor, der nur Augen für seine Tochter hatte. Der Stolz ließ ihn ihr gehässiges Grinsen wie ein liebliches Lächeln erscheinen.
"Oh das ist ja großartig, vielleicht hat dich Lyssa gesegnet! Wer weiß vielleicht wird aus dir mal eine begabte Mesmerin, so wie Gräfin Anise! Ist das nicht toll Liebling?!" rief er Juliana nach und lächelte stolz.
"Ja... ja ganz toll Schatz..." entgegnete Juliana und trank Wein direkt aus der Flasche.
Sebastian räusperte sich. Juliana blickte zu ihm. Er nahm ihr die Weinflasche ab, wischte den Flaschenhals mit einem Tuch ab, goss Wein in ein Weinglas und hielt dieses Juliana hin. "Contenance, Milady." sagte er eindringlich.
Victor indes war wild entschlossen, seiner Tochter die beste Mesmer-Ausbildung zu sichern die man für Geld bekommen konnte. Und tatsächlich stellte sich heraus dass Emilie eine Begabung für Mesmerkünste hatte. Ihre Ausbilderin Kira, eine Mesmerin vom Jahrmarkt die sich nur allzu gerne für ihre Dienste reich entlohnen ließ, zeigte ihr auch zunächst wie sie Barrieren in ihrem Geist aufbauen konnte, damit die Empfindungen anderer nicht auf sie hereinstürzten. Emilie übte fleißig und war dankbar dafür, dass sie zu Kira gehen und trainieren konnte, wenn ihr Vater weg und ihre Mutter mit "anderen" beschäftigt war.
Sie lernte schon bald die ersten, kleinen Illusionen herbeizurufen. Bilder von Dingen, die sie sich vorstellen konnte oder die sie gesehen hatte.
Als sie älter wurde und sich ihre Fähigkeiten verbesserten begann sie, immer wieder zu Hause zu bleiben, selbst wenn Mutter "Besuch" hatte.
Und sie öffnete die Schlafzimmertür einen Spalt, gerade soweit dass sie hindurchsehen konnte. Die Fähigkeit, sich von Emotionen anderer abzuschotten hatte ihr auch die Möglichkeit verliehen, ihre eigenen Gefühle abzuschotten. Sie wurde abgeklärter.
Sie beobachtete ihre Mutter heimlich bei ihrem "Besuch" und besah sich alles genau. Dann begann sie Illusionen zu erschaffen. Von ihrer Mutter deren Körper sie mittlerweile besser kannte als ein Kind das sollte. Und als sie es hinbekam, Illusionen von ihren Liebhabern. Bald schon konnte sie Illusionen von jedem Menschen erschaffen, den sie sich nur lang genug ansah.
Mit zwölf konnte sie sogar verschiedene Illusionen neu kombinieren und Dinge erschaffen die nur in ihrer Vorstellung existierten. Nach ihrem Training ging sie auch oft durch die Straßen, betrachtete sich die unterschiedlichen Menschen, besonders jene die durch Wunden, Narben oder Krankheiten entstellt waren. Kira war ganz stolz, als Emilie ihr zeigte, wie sie sich selbst Pockennarben, Brandwunden, Warzen und andere Dinge illusionär anzauberte.
Und dann fing sie an, diese Dinge ihrer Mutter anzuzaubern. Besonders dann wenn sie "Besuch" hatte. Mehr als einmal fiel ihr "Besuch" erschrocken aus dem Bett. Oder ergriff gleich die Flucht. Auf jeden Fall ruinierten verbrannte Brüste, vernarbtes Gesicht und warzige Beine so manches mal die Stimmung.
Juliana blieb nichts anderes übrig als Emilie jedes Mal übers Knie zu legen. Doch es half nichts, das Kind hatte sich in den Kopf gesetzt ihr jeden Spaß zu ruinieren und sie konnte es nicht mal jemandem erzählen.
Ihr Plan war perfekt. Bald würde sie die Falle zuschnappen lassen und ihre Mutter würde dafür bezahlen, ihren Vater so zu hintergehen. Und dann wäre nur noch Victor für sie da und sie müsste sich nie wieder mit Juliana rumärgern müssen.
Als Vater nach Hause kam war es soweit. Die Tür ging auf.
"Schatz! Liebling! Ich bin daheim!"
Das war das Zeichen. Emilie lief zu ihrer Mutter in die Küche und stellte sich vor sie.
Juliana schaute runter und hob die Brauen. "Was gibts, Emi?"
Emilie hob nur die linke Hand und erschuf eine Illusion. Es war eine Miniatur-Version von Juliana, sie lag nackt auf dem Rücken, die Beine gespreizt und wippte in periodischen Stößen. Das reichte und Juliana entglitt die Hand. Sie scheuerte ihrer Tochter eine gerade als Victor hereinkam. Dieser blieb erschüttert stehen. Emilie hielt sich die Wange, vergoss ein paar Tränen und rannte in ihr Zimmer. Victor sah ihr nach und starrte dann seine Frau an.
"Was sollte das denn?"
"Sie... sie hat..." begann Juliana. Doch sie konnte ihm nicht sagen was wirklich passiert war. "Sie war einfach nur frech zu mir."
Damit drehte sie sich um und kümmerte sich weiter ums Abendessen. Victor starrte sie noch einen Moment lang an. "Ich hole sie." meinte er dann und lief seiner Tochter nach.
Emilie lag auf ihrem Bett und weinte leise, als Victor hereinkam und sich zu ihr ans Bett setzte.
"Hey mein Spatz" sagte er vorsichtig. "Was ist los mh? Warum hat dich deine Mutter geschlagen? Warst du frech zu ihr?"
Emilie hob den Kopf und warf ihrem Vater einen verweinten, traurigen Blick zu mit großen blauen Augen und bebendem Kinn. Sie schüttelte den Kopf. Diesen Blick hatte sie perfektioniert. Und ihr Vater fiel auch diesmal drauf rein.
"Was war los, mh?" fragte er erneut, Emilie den Rücken streichelnd.
"Sie war sauer weil ich diesmal nicht mitgemacht habe." stammelte Emilie leise.
"Mitgemacht? Bei was mitgemacht?"
Emiie schwieg nur und vergrub wieder das Gesicht in den Kissen.
"Ich kann es dir nicht sagen... ich darf es dir nicht sagen... ich habs versprochen..." wimmerte sie in die Kissen.
Victor überlegte einen Moment.
"Kannst du es mir... zeigen?"
Emilie blickte auf.... und nickte dann zögerlich. Sie setzte sich auf, schniefte und nahm die Hände ihres Vaters in die eigenen.
Sie konzentrierte sich und erschuf eine Illusion. Eine kleine Szenerie entstand in den Händen ihres Vaters und er blickte gespannt darauf.
Ein Bett erschien. Darin lag Juliana, auf dem Rücken, splitternackt. Ein Mann, der eindeutig nicht Victor war, war über sie gebäugt und gerade mit ihr zugange.
Victor hob überrascht die Brauen. "Das..." begann er, wurde aber unterbrochen als die Illusion sich änderte.
Juliana streckte die Hand zur Seite aus. Eine Illusion von Emilie erschien, ergriff die Hand ihrer Mutter und diese zog sie heran.
"Will deine kleine Tochter mitmachen? Alt genug ist sie." sagte die Männerstimme der Illusion.
"Zieh das aus mein Schatz, Mami zeigt dir wie das geht" erklang Julianas Stimme und sie fasste unter das Kleid von Emilie, sie sacht streichelnd. Emilie riss sich los und rannte davon.
Emilie ließ die Illusion fallen und fiel weinend zurück in ihr Bett.
Victor starrte noch eine ganze Weile auf seine Hände. Dann ballte er sie zu Fäusten.
"Du sagtest, du hättest diesmal nicht mitgemacht. Das heißt es gab noch andere Male?" wollte Victor wissen, seine Stimme war ruhig, aber Zorn lag darunter.
Emilie schüttelte den Kopf. "Das erste Mal dass ich mitmachen sollte" schluchzte sie. "Sonst hatte sie immer die Tür zu."
"Immer? ... wie oft..." er rang nach Fassung.
"Jedesmal... wenn du länger wegwarst..."
Victor starrte an die Wand und seine Kiefer mahlten. "Keine Sorge. Das wird in diesem Haus nicht mehr geschehen. Nie mehr." Er stand auf und ging aus dem Zimmer, bebenden Schrittes.
Emilie hörte auf zu weinen und blickte ihm nach, hämisch grinsend. Alles lief nach Plan.
Wenig später hörte sie, wie der Streit losging. Und diesmal war es Victor, der laut war.
Sie wartete eine Weile, dann stand sie auf und folgte den streitenden Stimmen.
"...wusste ja, dass du mich betrügst, aber gleich so oft und dann auch noch unsere Tochter?! Wie krank bist du eigentlich?!" hörte sie ihren Vater gerade schreien.
Juliana dachte er meinte, dass Emilie es gesehen hätte. Von dem kleinen Schauspiel mit den Illusionen wusste sie ja nichts.
"Sie kam einfach rein, was sollte ich machen?! Und außerdem, woher wusstest du es? Und wieso hast du nichts gesagt?!"
"Ich bin meinem Herren zu Ehrlichkeit verpflichtet, Milady." warf Sebastian ein.
"Ich habe nichts gesagt weil du immerhin eine gute Mutter für Emilie warst und ich wollte ihr ihre Mutter nicht wegnehmen wenn ihr Vater schon so oft unterwegs ist. Und was du hättest machen sollen? SIE NICHT AUFFORDERN MITZUMACHEN!"
Juliana klappte der Kiefer herab. Erschüttert sah sie Victor an, dann zu Emilie, die sich an den Türrahmen lehnte und sich bemühte wie ein kleines Häufchen Elend auszusehen.
"Ich... was? WAS ZUM TEUFEL HAST DU IHM ERZÄHLT!" Juliana wollte auf Emilie losgehen. Doch Victor hielt sie auf.
"Es reicht jetzt. Verschwinde aus meinem Haus." sagte er ruhig. Sie starrte ihn verständnislos an.
"Aber sie hat..."
"RAUS! Sebastian, helft meiner Ex-Gattin ihre Sachen zu packen."
"Sehr wohl, Milord."
Zornig rauschte Juliana ab, dicht gefolgt von Sebastian. Mit einem triumphierenden Glitzern in den Augen blickte Emilie ihr nach. Und bemerkte zu spät dass Victor sie genau ansah. Ertappt blickte sie ihn an.
"Und du junges Fräulein... für wie blöd hältst du mich eigentlich?"
"Aber..."
"Was ist nur schief gelaufen dass du lügst um deine eigene Mutter aus dem Haus zu verjagen?"
"Wenn du weißt dass es gelogen war, wieso hast du...."
"Sie hat mich betrogen. Mehrfach. Das steht fest. Ich konnte damit leben solange sie dir eine gute Mutter war, aber offensichtlich ist sie das nicht, wenn du schon solche kranken Geschichten erfindest."
"A..Aber sie hat..." begann Emilie stotternd.
"Überleg dir jetzt sehr genau was du sagen willst." Victor deutete drohend in Emilies Gesicht. "Es gibt nur einen Grund warum ich dich nicht auch rauswerfe, und zwar die geringe Chance dass du tatsächlich von mir sein könntest. Wir werden morgen zu Doktor Helen gehen. Bete, dass sie mich nicht eines besseren belehrt."
Mit diesen Worten Worten ging er zur Tür. "Ich bin unten bei der Taverne" sagte er als er seinen Mantel nahm. "Sorg dafür dass sie weg ist wenn ich wiederkomme. Und vor morgen früh will ich dich nicht sehen."
Er ließ die Tür hinter sich ins Schloss fallen.
Emilie hatte erschrocken den Unterkiefer fallen gelassen und starrte noch eine ganze Weile die Tür an.
Das war nicht ganz so gelaufen, wie sie es sich gedacht hatte.
4
Doktor Helen nahm Blut von Emilie und Victor. Es gab körperliche Untersuchungen, Kraniometrie und vergleichende Tests. Als Doktor Helen Victor das Ergebnis der Untersuchungen mitteilte dankte er ihr und schleppte die widerstrebende Emilie zum nächsten Arzt.
Insgesamt dreimal wurden beide geprüft, vermessen, das Blut untersucht.
Das Ergebnis war dasselbe und nach dem dritten Arzt akzeptierte Victor es. Emilie hatte die zarte Haut, die blonden Haare und zugegebenermaßen den üppigen Vorbau ihrer Mutter. Letzterer hatte sich mit ihren 12 Jahren schon weiter entwickelt hatte als bei allen andren Mädchen ihres Alters. Aber sie hatte auch den zierlichen Knochenbau, den feinen Gesichtsschnitt und die strahlend blauen Augen ihres Vaters. Blutbild und -gruppe stimmten auch überein, so dass sich alle Ärzte einig waren:
Emilie war Victors Tochter.
Doch die Zeiten, in denen er seine kleine Tochter als reinen Unschuldsengel gesehen hatte, waren vorbei.
"Wie es aussieht bist du wirklich meine Tochter." meinte Victor schließlich auf dem Heimweg. Emilie lächelte stolz und hatte einen "Ich habs dir ja gesagt"-Blick im Gesicht, der aber schnell verschwand als sie die grimmige Miene ihres Vaters sah.
"Aber lass mich eins klarstellen. Du wirst mich nie wieder anlügen. Du wirst nie wieder jemanden aus meinem Haus verjagen den ich dorthin einlade. Du wirst Gästen und Besuchern dein bestes Benehmen zeigen und du wirst nie wieder Illusionen von nackten Menschen erschaffen, erst recht nicht von deiner Mutter. Du wirst dich ab jetzt vorbildlich verhalten, ist das klar?"
"Uhm, naja ich hab eigentlich nur versucht dir zu.." begann Emilie doch Victor unterbrach sie.
"Wenn ich dir eine Frage stelle die du mit Ja oder Nein beantworten kannst, erwarte ich dass du mit Ja oder Nein antwortest, und nicht mit Ausflüchten oder Erklärungen. Also nochmal. Hast du mich verstanden?"
Emilie sah ihren Vater einen Moment lang an. Dann senkte sie den Blick und seufzte.
"Ja, Vater." sagte sie schließlich.
"Gut. Ich habe ein paar Ländereien nahe Löwenstein erworben und ein Gehöft oben bei Beetletun, deren Räumung und Wiederverkauf ich überwachen werde. Außerdem erfordern ein paar Immobiliengeschäfte, dass ich vor Ort bin, ich werde in nächster Zeit also eher seltener zu Hause sein. Ich lasse dir genug Geld hier, dass du bequem leben kannst und werde eine Haushälterin einstellen die sich um das Essen und die Wäsche kümmert und was sonst noch so im Haus anfällt für das Sebastian nicht zuständig ist. Im Gegenzug erwarte ich von dir, dass du Sebastian und die Haushälterin mit Respekt behandelst. Du wirst ihnen keine Streiche spielen, du wirst sie keine sinnlosen Beschäftigungen machen lassen, du wirst sie nicht ärgern oder ihnen sonst irgendwie die Arbeit oder das Leben schwer machen. Verstanden?"
"Ja, Vater." sagte Emilie niedergeschlagener.
"Gut. Ich habe Sebastian Anweisungen gegeben auf dein Verhalten zu achten und darauf dass du keinen Mist baust. Er hat Order mich sofort per Bote oder Brieftaube zu informieren, solltest du irgendetwas tun das ein schlechtes Licht auf die Familie LaBlanche wirft. Sollte mich also irgendwas dazu bewegen, deinetwegen meine Handelsreise zu unterbrechen und heimzukommen, wodurch ich wichtige Geschäftskontakte und Geld verliere, haben wir beide ein Problem. Und dann wirst du dir wünschen ich hätte dich zusammen mit Juliana vor die Tür gesetzt. Habe ich mich klar ausgedrückt?"
Emilie biss sich auf die Unterlippe und blinzelte ein paar Tränen fort, bevor sie wimmernd hauchte:
"Ja, Vater..."
"Und spar dir deine Lindwurmtränen, die kauf ich dir nicht ab."
Emilie stutzte, hörte auf zu weinen und starrte ihren Vater an. Sie war durchschaut. Dann blickte sie trotzig geradeaus.
"Fein." sagte sie schließlich.
"Von Lyssa gesegnet." knurrte Victor leicht. "Du hast ihre Schönheit und ihre Gaben aber hinter dem Spiegel ist nur Leere. Was hab ich bei dir nur falsch gemacht?"
Zerknirscht starrte Emilie geradeaus. Und ließ die Frage unbeantwortet.
Das lief alles andere als wie geplant.
5
Victor war nicht ganz herzlos. Er hatte Juliana nicht einfach auf die Straße gesetzt, er hatte ihr günstig ein kleines Häuschen bei Beetletun besorgt und eine großzügige Abfindung zur Verfügung gestellt damit sie nicht am Hungertuch nagen musste.
Das half Juliana wieder auf die Beine. Sie hatte sich das Haus eingerichtet und nach ein paar Wochen eine Stelle als Wirtin im örtlichen Gasthof angenommen. Es gab auch einige einsame Männer im Dorf, doch sie würde sich hüten sich allzu schnell wieder fest zu binden. Victor hatte sich offiziell von ihr losgesagt und sie unter notarischer Aufsicht verbannt. Der Vorzug des Adels wenn man eine Ehe auflösen wollte. Sie durfte den Besitz der Familie LaBlanche nicht betreten und ihren Namen nicht mehr tragen, aber das war ihr egal. Keine zehn Dolyaks konnten sie zurück in dieses Haus bringen. Sie begann wieder ein relativ normales Leben und konnte den ganzen Ärger, den sie durchlitten hatte beinahe vergessen. Manche Nacht jedoch lag sie noch in Tränen und fragte sich, was nur schiefgelaufen war. Wann der Punkt war, an dem sich alles gegen sie gewandt hatte.
Und dann, eines Abends, klopfte es unerwartet an der Tür.
Emilie verbrachte die folgenden Wochen mit sich selbst. Sie lernte noch bei Kira, brachte aber kaum noch die Energie für das Training auf. Sie spürte eine Leere in sich, die sie nicht richtig zuordnen konnte. Als hätte man einen Teil von ihr herausgerissen und weggeworfen. Kira gab ihr den Rat, die emotionalen Barrieren die sie innerlich errichtet hatte, in einem ruhigen Moment abzubauen und sich sich selbst zu öffnen, um ihre Gefühle zu erforschen. Sie hatte es versucht, doch je weiter sie sich vorwagte, desto mehr schmerzte es.
Aber sie verstand, was diese Leere zu bedeuten hatte. Sie vermisste ihre Mutter. Das Haus war so ruhig und Marla, die neue Haushälterin, konnte die Lücke nicht füllen. Sie kochte, putzte, wusch und trug Emilie alles hinterher, aber sie war eben nur eine Haushälterin. Wenn Emilie ein persönliches Gespräch beginnen wollte, wich Marla stets aus, schüchtern und verschreckt. Sebastian hatte ihr erklärt, dass er und Marla lediglich Angestellte im Haus waren. Und einem der Arbeitgeber eben einem nicht seine Lebensgeschichte auftischen sollte, das war unprofessionell und Marla war da sehr viel strikter als Sebastian. Er gab ihr den Rat, sich Freunde zu suchen.
Sie hatte jedoch keine Ahnung, wie sie das anstellen sollte. Sie musste mit ihrer Mutter reden.
Also machte sie sich eines Tages auf und schnappte sich den schäbigsten Ledermantel und einen alten Umhang mit Kapuze (welche aber immernoch feiner und vornehmer aussahen als alles was man noch so auf der Straße sah) und machte sich auf nach Beetletun.
Juliana öffnete die Tür und blickte auf die Gestalt die davor wartete. Sie sah zunächst nur eine Kapuze, einen Umhang und lange platinlonde Strähnchen. Doch die feine Kleidung und das Haar verrieten ihr sofort, wer dort vor ihr Stand. Emilie hob den Kopf und nahm die Kapuze zurück, blickte ihre Mutter an.
"Emilie." sagte Juliana überrascht. Ihr erster Impuls war, sie in den Arm zu nehmen. Sie war schließlich ihre Mutter. Doch sie hatte nicht vergessen, was sie getan hatte. Sie gewann die Fassung zurück und setzte einen strengeren Blick auf.
"Emilie." wiederholte sie, diesmal in einem Ton der einem klar machte, dass man nicht willkommen war. "Was willst du? Bist du gekommen um zu sehen ob ich auch genug leide?"
Emilie presste die Lippen aufeinander und schüttelte den Kopf.
"Es.... es tut mir leid, Mama..."
Mama. So hatte Emilie sie lange nicht mehr genannt. Seit Emilie begriffen hatte, was sie mit den fremden Männern in ihrem Zimmer anstellte nannte sie sie immer "Juli", wenn Victor nicht in der Nähe war.
"Es tut dir leid. Was tut dir leid?"
"Alles... ich war grausam tu dir. Du hast Vater hintergangen, aber ich hätte nicht so gemein sein dürfen. Es tut mir leid." sagte Emilie, ihre Stimme klang flehend.
"Nun... " begann Juliana und lehnte sich leicht an den Türrahmen, die Arme verschränkend. Eine Haltung die klar machte, dass Emilie weder willkommen war in ihr Haus einzutreten, noch dass sie vorhatte ihr entgegenzukommen. "Diese Einsicht kommt ein klein wenig zu spät, meinst du nicht?"
Emilie kaute auf der Unterlippe herum. Das tat sie immer, wenn sie verlegen war. Was nicht sehr oft vorkam.
"Ich weiß... es... es tut mir wirklich leid."
"Das sagtest du bereits." erwiderte Juliana kälter, als sie es gemeint hatte. "Was erwartest du von mir?"
"Dass du mir verzeihst...?" antwortete sie fragend.
Juliana ließ die Arme sinken und ihre Stimme klang viel weicher als sie sagte. "Das tue ich. Es ist in erster Linie die Schuld deines Vaters, er hätte mir mehr vertrauen und bei dir härter durchgreifen sollen."
"Er hat mich zu drei Ärzten geschleppt um auch ja sicherzugehen dass ich seine Tochter bin. Ich darf nichts mehr machen ohne dass Sebastian ihn informiert. Ich darf zu niemanden mehr gemein sein und nichts mehr anstellen sonst steckt er mich ein Kloster damit ich Benimm und Demut lerne..." erzählte Emilie kleinlaut.
"Damit hätte er dir schon vor Jahren machen sollen. Also du noch formbar warst. Jetzt ist es zu spät, es hilft vielleicht dich im Zaum zu halten, aber solange du deine Einstellung nicht änderst wird er nicht viel erreichen. Etwas Demut täte dir ganz gut."
Emilie sah zur Seite weg.
"Erwarte kein Mitleid von mir." fügte Juliana hinzu. "Du hast versucht mich als Perverse darzustellen die ihre eigene verdammte Tochter zu Sex mit Fremden zwingt. Ein "Tut mir leid" reicht da nicht."
"Was soll ich denn tun?" wollte Emilie verzweifelt wissen. Hilfesuchend sah sie zu ihrer Mutter auf.
"Daraus lernen. Hier gibt es nichts mehr für dich, Emilie. Du hast alles zerstört, lerne damit umzugehen und mach es in Zukunft besser."
"Aber ich..." fing Emilie an.
"Aber ich aber ich aber ich. Merkst du was? Diese zwei Worte beschreiben dein ganzes Dasein. Aber ich. Ich ich ich. Es geht dir immer nur um dich. Du bist auch nur hier um dich zu entschuldigen, damit es dir besser geht. Wie es mir geht ist dir dabei völlig egal."
Emilie sah zu Boden. Sie schluchzte leise.
"Oh, spar dir das." fuhr Juliana fort als sie Tränen sah. "Ich weiß was für eine gute Schauspielerin du bist, darauf fall ich nicht rein."
Doch diesmal war es nicht gespielt. Emilie konnte nicht mehr aufhören zu weinen. Sie hatte die Leere in ihrem Herzen und die einzige die sie füllen konnte weigerte sich. In einem letzten verzweifelten Versuch sah sie zu Juliana auf, die Augen gerötet und feucht und nach langer Zeit sah Juliana nicht die abgeklärte, zickige Göre sondern ein verirrtes kleines Kind.
"Ich vermisse dich. Ich brauche dich. Ich liebe dich, Mama!" brachte sie hervor und Juliana konnte spüren, dass es aufrichtig war. Zum ersten Mal nach langer Zeit berührte das Mädchen wieder ihr Herz. Ihre Augen wurden feucht und sie fuhr sich mit der Hand erschüttert vors Gesicht. Emilie brauchte wirklich Hilfe. Sie war verloren. Ihr kleines Engelchen...
...Nein. So sehr sie jetzt auch flehte und bittete, so ehrlich und aufrichtig sie war. Juliana wusste, würde sie jetzt nachgeben würde Emilie ihren Willen bekommen und dann wäre alles wieder beim Alten. Sie würde jetzt nichts lieber tun als Emilie in die Arme zu schließen und sie ihren Kummer ausweinen lassen und für sie da sein. Doch das war das was Emilie wollte, nicht das was ihr gut tat. So würde sie nie etwas lernen. Schweren Herzens blickte Juliana Emilie an und sagte:
"Ich wünschte ich könnte dir glauben. Aber die einzige die du liebst, bist du selbst. Ich habe dir nichts mehr zu sagen, Emilie. Geh nach Hause."
Und dann schloss sie die Tür.
Sie konnte hören wie Emilie vor der Tür schluchzend und weinend zusammenbrach. Und auch Juliana sackte mit dem Rücken an der Tür zusammen und begann zu weinen. "Es tut mir leid, Emilie" sagte sie leise und legte ihre Hand an die Tür, als könnte sie Emilie durch das dicke Holz berühren.
Emilie weinte und brachte noch ein schluchzendes "Mama!" hervor welches Juliana erst recht die Tränen in die Augen trieb. Emilie legte die Hand an die Tür als greife sie nach ihrer Mutter.
So verharrten beide eine Weile, weinend, die Hand jeweils an der gegenüberliegenden Seite der Tür, ohne zu wissen dass die andere das gleiche tat.
Emilie hörte irgendwann ihre Mutter aufstehen und weggehen. Die Leere die sie in sich spürte hatte sich gefüllt, mit Schmerz und Traurigkeit. Wackelig kam sie wieder auf die Beine und warf noch einen letzten, langen Blick auf das Haus in dem ihre Mutter jetzt lebte, bevor sie sich abwandt und den Heimweg antrat. Es war mittlerweile kalt und dunkel geworden, Emilie zog ihren Umhang enger um sich und lief gramgebeugt die Straße entlang, die ihr nun sehr viel länger erschien.
Bis sie aus einem Augenwinkel das Aufblitzen einer Klinge bemerkte. Und ihr kurze Zeit später ein Mann den Weg versperrte. Grinsend spielte er mit seinem langen Dolch und fragte:
"So ganz alleine noch draußen unterwegs, Süße? Das kann gefährlich sein."
6
Sie waren zu viert. Einer, der am bedrohlichsten wirkte, kam von vorne. Er war breit wie ein Schrank und hatte ein vernarbtes, wettergegerbtes Gesicht. Jemand, dem man nicht im Dunkeln begegnen wollte. Und Emilie war ihm im Dunkeln begegnet. Zwei kamen von den Seiten und der letzte verhinderte Emilies Rückweg. Sie hatten sie eingekreist. Sie konnte nicht weg.
"Nicht so schüchtern, wir beißen schon nicht." meinte der Schrank.
"Oder vielleicht doch?" kicherte es von rechts.
"Ziemlich schicker Umhang den du da hast." kam es von links.
"Mach jetzt keine Dummheiten" sagte der Schrank wieder während die beiden von den Seiten an Emilie herantraten und sie blitzschnell festhielten. Sie waren ziemlich grob und ihre Griffe waren fest wie ein Schraubstock. Sie verzog das Gesicht und biss die Zähne zusammen, bevor ihr der Geruch der Banditen den Atem raubte und sie zwang durch den Mund zu atmen. Sie rochen nach Fusel, Schießpulver und zwei Monate ohne Schaumbad. Und so sahen sie auch aus. Die zwei an den Seiten waren hager gebaut, aber dennoch kräftig. Den Typen hinter sich konnte sie nicht sehen. Der Linke hielt Emilie einen Dolch an die Kehle, damit sie keine Dummheiten machte.
"Schrei und ich mach dich kalt, huahähähä." grinste der linke mit fauligem Atem und schien nur darauf zu warten, das Messer zu benutzen.
"Wollen wir doch mal sehen was uns da schnuckeliges in die Arme gelaufen ist, huh Jungs?" meinte der Schrank und trat an Emilie heran, um ihr die Kapuze zurückzuziehen.
Er zog die Kapuze zurück und erschrak. Er blickte in das Gesicht einer alten Frau mit warzigem, pockennarbigen Gesicht und schwarzen kleinen Beulen. "Sie hat die Pest!" rief der rechte und ließ erschrocken los. Der linke ließ nicht los, hielt das Messer aber soweit von sich weg an ihre Kehle wie er konnte. "Was machen wir, Boss?"
Der Schrank betrachtete die Gestalt vor sich und versuchte zu begreifen.
Irgendetwas passte nicht. Die Gestalt der Frau vor sich war schlank. Er sah die Hände, sie waren zart und ohne Makel. Die feine Kleidung und das alles passten nicht zu dem Pestbeulen-Gesicht.
"Die will uns wohl verscheißern." meinte er, trat vor und schlug Emilie kräftig in die Magengrube. So heftig dass sie weiße Blitze vor den Augen sah und nicht mehr atmen konnte. Und die Kontrolle über die Illusion verlor. Das alte Narbengesicht löste sich auf und Emilies junges, schönes Gesicht wurde erkennbar. Der linke fing an gierig zu lachen. "Ohooo wir haben uns hier eine richtige Schönheit gekrallt!"
Der Rechte trat wieder heran und hielt sie wieder fest. "Sie ist ja noch ein Kind."
"Alt genug für mich" sagte der Schrank, leckte sich über die Lippen und trat näher. Er packte mit seinen dreckigen Pranken Emilies Wangen und drückte sie leicht zusammen so dass sie den Mund öffnen musste.
"Sie hat einen hübschen kleinen Mund. Schonmal 'nen Schwanz gelutscht Süße? Oh ja ich wette das hast du. Aber noch keinen wie meinen."
Emilie sah ihn trotzig an und schnaufte die eklige Luft aus, die von ihm ausging. Doch anstatt über sie herzufallen tastete er sie erst einmal ab. Nach Wertgegenständen. Er nahm ihr ein paar Ringe ab. Die feinen Ohrringe. Einen Armreifen. Die Geldbörse. Und gab alles an den Typen weiter der hinter ihr stand. Aber es war vielmehr die Art wie er sie abtastete, die Emilie verärgerte und verstörte. Er klopfte sie nicht ab, er strich mit flacher Hand genüsslich über ihren Körper, erkundete jede Erhebung, jede Tiefe mit seinen Fingern. Emilie konnte durch seine Lederhose sehen dass es ihn erregte. Sie schloss die Augen.
"Sanfte Haut. Festes Fleisch. Jung und unverbraucht. Ein richtiger Leckerbissen, Jungs!"
Die anderen lachten dreckig.
"Ich will als zweites!" rief der Typ hinter ihr.
"Ruhig Blut Jungs, ihr dürft alle mal ran. Sowas süßes teilen wir uns. Aber der Boss darf zuerst." meinte der Schrank und gab seinen Jungs ein Zeichen.
Emilie spürte wie der Typ hinter ihr ihr den Umhang herunterriss und für sich beanspruchte. Dann rissen die beiden an den Seiten Emilie von den Füßen indem sie ihr in die Kniekehlen traten und sie an den Schultern nach unten drückten. Sie hielten ihre Fuß- und Handgelenke fest während sie fühlen konnte, wie der Schrank sich über sie beugte. Sie drehte den Kopf weg und hielt die Augen geschlossen, als sie seinen kratzigen Mund am Hals spürte und seine kräftige Hand die ihr die Bluse zerriss. Viel zu grob packte er ihre linke, blanke Brust und schob seinen ganzen Körper gegen sie.
"HEY! IHR DA! WAS MACHT IHR DA!"
Der Typ hinter Emilie hob den Kopf.
"Scheiße! Patrouille!" rief er und zeigte auf den Schein einer Laterne, in dem sich zwei Personen in Seraphen-Rüstung abzeichneten. Sie nahmen den Laufschritt an und zogen ihre Waffen.
"Scheiße, um die Zeit sollte keine Patrouille hier sein!"
Die drei schmächtigen ergriffen die Flucht. Sie hatten die Beute und wollten nicht geschnappt werden, denn sie wussten im Knast würde es ihnen ähnlich ergehen wie jetzt Emilie. Allein der Schrank, der Emilie nur durch sein Gewicht unten hielt, hob genervt den Kopf. Er richtete sich auf, machte sich die Hose wieder zu und wandt den Blick zu den herannahenden Seraphen. Er musterte sie einen Moment. Sie dürften nicht hier sein. Über Wochen hatten sie die Routen und Zeiten der Wachen beobachtet und ihre Überfälle abgepasst. Und ausgerechnet jetzt hatten sie ihre Zeiten wohl geändert?
Der Schrank griff an seine Seite und hob eine Armbrust. Er richtete sie auf einen der beiden Soldaten und feuerte. Mit zusammengekniffenen Augen beobachtete er, wie der Pfeil durch den Seraphen glitt und dieser sich in einem Schwarm violetter Schmetterlinge auflöste. Er hob die Brauen, lud dann seelenruhig nach und erschoss auch die zweite Seraphen-Illusion. Dann blickte er wieder runter zu Emilie.
"Noch ein Trick? Ernsthaft? Mädchen, ich mach das hier viel zu lange."
Emilie blickte ihn ängstlich an und versuchte rückwärtskrabbelnd von ihm wegzukommen. Doch er grinste nur, warf sich auf sie und hielt sie fest.
"Du entkommst mir nicht, Süße. Und für deine kleinen Tricks werd ich dafür sorgen dass es wehtut. Richtig wehtut."
Er riss ihr grob die Kleider vom Leib. Sie quietschte verängstigt auf und warf den Kopf zur Seite, Augen geschlossen. Dann schob er sich die Hose herunter und drang so hart in sie ein wie er nur konnte.
Doch Emilie schrie nicht. Sie zeigte kaum eine Regung, was den Schrank verärgerte. Er nahm sie so fest er nur konnte, schlug sie dabei, doch nichts. Er runzelte die Stirn.
Dann weitete er die Augen als sich sein eigener Dolch in seinen Rücken bohrte.
Emilie brachte ihr Gesicht nahe ans Ohr des röchelnden Banditen. "Du hast dir die falsche ausgesucht, du Schwein." flüsterte sie ihm zu.
Die Emilie auf der er lag löste sich in einem Schwarm violetter Schmetterlinge auf. Und er begriff. Er hatte ihr den Rücken zugdreht als er die illusionären Wachen erschossen hatte. Das hatte ihr genug Zeit gegeben, sich zur Seite zu flüchten und einen Klon zurückzulassen. Und während er mit dem Klon zugange war, hatte sie sich in seinen Rücken geschlichen. Er hatte die Hose runtergelassen, weswegen sie unbemerkt an seinen Dolch gekommen war.
Wer konnte auch ahnen dass so ein junges Mädchen so viele Illusionen herbeirufen konnte? Sie zog den Dolch heraus und stach erneut zu.
"Cleveres.... Miststück..." gurgelte er hervor, bevor er mit offener Wunde und offener Hose zusammenbrach.
Emilie zog den Dolch heraus und stach noch ein paar mal zu um wirklich sicher zu gehen. Ließ ihn schließlich stecken.
Sie knotete sich die aufgerissene Bluse zusammen um sich keine Blöße zugeben. Doch sie hatte ihren Umhang nicht mehr und sie fror auf dem Heimweg. Sebastian sollte ihr als allererstes ein heißes Bad einlassen. Sie musste die Kälte und den widerlichen Geruch der Banditen von sich abwaschen.
Spät am Abend saß Emilie in ihrem Zimmer und ließ sich die Worte ihrer Mutter durch den Kopf gehen. Sie schloss die Augen und drang in ihr innerstes vor. Sie öffnete Stück für Stück all die Barrieren, die sie mühsam um ihr Herz aufgerichtet hatte. Als sie bei der letzten angelangt war, war sie bereits in Tränen ausgebrochen. Sie zog die Beine an den Körper, umarmte ihre Knie und legte den Kopf daran und weinte bitterlich.
Sie war es, die alles zerstört hatte. Und sie konnte es nicht mehr ungeschehen machen. Sie konnte es nicht mehr hinbiegen. Es war vorbei.
Sie kauerte gefühlte Ewigkeiten so, bis sich sanft ein Arm um sie legte. Emilie ließ sich zur Seite kippen und legte dann ihren Kopf auf den Schoß ihrer Mutter Juliana, die ihr leise beruhigende Worte zuflüsterte und ihr über das Haar strich.
Für eine Weile ließ sie sich von Juliana trösten. Für eine Weile war die Welt wieder so wie sie sein sollte.
Emilie fühlte sich bei Juliana geborgen.
Auch wenn sie wusste, dass sie nur eine Illusion war.
7
Langsam öffnete Emilie ihre Augen. Sie lag auf dem Bauch, in ihren
Kissen vergraben und streckte sich. Dann klopfte es erneut leise an der
Tür.
"Mhwassis..." murrte sie in ihr Kopfkissen.
"Fräulein LaBlanche, das Frühstück ist serviert." hörte sie Marla durch
die Tür. Dann hörte sie wie sich Marla langsam entfernte. Emilie war
eben ein Morgenmuffel und Marla wusste das bereits. Sie hatte ein
geschicktes System entwickelt, Emilie's Launen aus dem Weg zugehen.
Emilie's blaue Augen fixierten die freie Stelle neben sich. Das Laken
war plattgewälzt, das Kissen zerdrückt, aber von der Person die dort bis
vor einer Weile noch gelegen haben musste, fehlte jede Spur. Sie fuhr
mit der Hand über die Stelle, doch sie war längst kalt. Sie musste schon
mintestens eine halbe Stunde alleine gewesen sein. Sie zog das zweite
Kissen zu sich und vergrub ihr Gesicht darin. Es roch noch nach ihm.
Emilie hatte vor drei jahren angefangen, noble Gesellschaften, kleinere
Runden oder Familienfeste von Adligen zu besuchen um dort Jungs
kennenzulernen. Ihre Mutter war fort und das ließ sich nicht ändern. Ihr
Vater war jetzt so lange und so oft auf Reisen, dass sie ihn kaum noch
sah. Er konnte unmöglich so viel geschäftlich unterwegs sein, so oft
wurden Häuser ja nicht gekauft, verkauft, wiederverkauft... vermutlich
hatte er eine Geliebte. Eine Frau, bei der er sich Trost suchte und die
er vor Emilie geheimhielt, vermutlich aus Furcht sie würde sie
vertreiben. Doch das war ihr mittlerweile egal. Ihr Vater konnte tun was
immer er wollte. Letztendlich war er nur noch ihr Geldgeber gewesen. Er
hatte aufgehört ihr Vater zu sein, als Juliana das Haus verlassen
hatte.
Also suchte sich Emilie woanders ihre Zuneigung, ihre Aufmerksamkeit,
ihre Verehrung. Natürlich entging ihr die Ironie nicht, dass sie nun
genau das tat, weswegen sie Juliana überhaupt hinausekeln wollte.
Doch für Emilie waren es keine kleinen Affären. Sie suchte den Mann fürs
Leben. Sie sehnte sich nach jemandem der bei ihr blieb, sie warm hielt
wenn sie einsam war. Sie war noch sehr jung, aber sie wollte endlich
wieder einen festen Bezugspunkt. Doch die Jungs mit denen sie sich traf
wollten nur eines. Emilie war über die Zeit noch hübscher geworden, ihre
Figur weiblicher und sie verdrehte allen Jungs in ihrer Umgebung den
Kopf. Sie genoss diese Verehrung, auch wenn sie nur oberflächlich war.
Jedoch war bisher jeder am nächsten Morgen weg gewesen. Sie konnte jeden
haben, aber niemanden behalten. Sogar mit dem einen oder anderen
Mädchen hatte sie es versucht, die neugierig waren. In der Hoffnung bei
denen wäre es anders. Doch es war weit gefehlt. Langsam hatte sie die
Vermutung, die Götter straften sie für ihre Gemeinheiten mit denen sie
die Bindungen ihrer Familie zerstört hatte, indem sie verhinderten dass
sie jemals wieder eine feste Bindung würde eingehen können.
Doch auf der anderen Seite war sie noch ein Teenager. Ihre Liebhaber
waren Teenager. Wahrscheinlich waren die einfach noch nicht bereit dazu.
Sie würde warten müssen. Und sich bis dahin mit dem zufrieden geben,
was sie bekam.
Sie stand auf um sich zu waschen und anzuziehen, wusch sich den Schlaf
aus den Augen und den Geruch ihrer letzten Liebschaft vom Leib.
Wenigstens hatte sie Stella und Milly, die immer für sie da waren wann
immer sie jemanden zum Reden brauchte. Stella war total oberflächlich
und noch viel zickiger und gemeiner als Emilie selbst. Milly dagegen war
eher still, zurückhalten, aber von einer tiefen Intelligenz die Emilie
oft bewunderte. Beide bewunderten Emilie für ihr Aussehen und für ihr
Modebewusstsein. Die Freundschaft zwischen ihnen bestand aus
gegenseitiger Bewunderung und gleichzeitig aus Neid. Und wenn sie sich
unterhielten dann machten sie die meiste Zeit andere runter, die nicht
zu ihrem elitären 3er-Team gehörten.
Sie zog sich an, eine einfache Kombination in den Familienfarben, und
verließ ihr Zimmer. Zu ihrer Überraschung fand sie ihren Vater, zusammen
mit Marla und Sebastian, in der Küche vor. Auf dem Tisch stand ein
Kuchen mit einer Kerze, auf der "Süße 16" stand, daneben ein kleines
Päckchen und zwei Umschläge.
"Alles Gute zum Geburtstag, mein Engel" sagte Victor zu ihr. Geburtstag?
Ach stimmt. Das war ja heute. Emilie lächelte und schenkte ihrem Vater
einen Kuss auf die Wange und eine Umarmung und den beiden Bediensteten
einen dankbaren Blick.
Und während Marla die Torte anschnitt nachdem Emilie die Kerze ausgepustet hatte, öffnete Emilie die Umschläge.
Sie wusste bereits vorher, was drin war. Dasselbe wie jedes Jahr. In
einem Umschlag war eine unpersönliche Karte. Eine vorgefertigte
Geburtstagskarte mit der Unterschrift ihrer Mutter. Sie machte sich
keine Mühe. Aber immerhin hatte sie es nicht vergessen. Im anderen war
ein Wertbrief von ihrem Vater, mit dem sie von der Bank von Götterfels
Geld abheben konnte. Wertvoller, aber genauso unpersönlich wie die Karte
ihrer Mutter.
Das Päckchen war neu. Hatte ihr Vater sich diesmal etwa doch Gedanken
gemacht? Ihr etwas besonderes besorgt? Einen Anhänger, vielleicht
Schmuck? Hatte er herausgefunden was sie mochte?
Voller Spannung öffnete sie es. Und fand einen Schlüssel vor, zusammen
mit einer Urkunde und einem Vertrag. Stirnrunzelnd sah sie ihren Vater
an und blickte wieder auf die Gegenstände.
Der Vertrag stellte sich als Kontoeröffnung heraus. Sie hatte auf der
Bank von Götterfels nun ihr eigenes Konto und eine nicht geringe Summe
war dort eingezahlt worden. Nun konnte Emilie ihr eigenes Geld
verwalten. Der Schlüssel und die Urkunde gehörten zu ihrem Haus.
"Du wohnst ja hauptsächlich hier." erklärte ihr Vater, als sie ihn
fragend anblickte. "Ich weiß nicht wie oft ich noch bei dir sein kann
und ich habe nahezu überall wo ich arbeiten muss eine kleine Unterkunft.
Deswegen habe ich das Haus auf dich überschreiben lassen. Geld und ein
Haus, eine Basis für ein neues Leben, das du dir nun aufbauen kannst,
jetzt, wo du alt genug bist."
Das steckte also dahinter. Statt Emilie die Einsamkeit zu nehmen und für
sie da zu sein, ihr ein wohlüberlegtes Geschenk zu machen, kapselte er
sich nur weiter von ihr ab und vergrößerte die Einsamkeit. Sie blickte
wieder auf die Urkunde.
"Sebastian und Marla werde ich natürlich weiter beschäftigen, auch wenn
sie Dir zur Verfügung stehen werden. Allerdings werde ich mir Sebastian
unter Umständen hin und wieder ausleihen müssen, aber ich bin sicher du
kommst zurecht."
Großartig. Einfach großartig. Das heißt sie würde in Zukunft noch
einsamer sein. Doch sie schluckte ihre Verärgerung und Enttäuschung
herunter. Sie hatte ihr Herz längst wieder verschlossen und ihr
Schauspiel perfektioniert. Sie lächelte gerührt.
"Vielen Dank Vater." sagte sie.
Sebastian runzete die Stirn. Er war der einzige der Emilie komplett durchschaut hatte. Doch er sagte nichts.
"Ich weiß das ist nicht das was du dir gewünscht hast, aber so ist es am
besten. Du solltest außerdem mal anfangen aus dem Haus zu gehen, am
richtigen Leben teilhaben und nicht immer nur in Adelskreisen
herumtreiben. Das wahre Leben besteht aus mehr als Kleidern und Schmuck,
weißt du?"
"Ich geh doch aus dem Haus. Mit Stella und Milly." meinte Emilie hingegen.
Victor war Sebastian einen vielsagenden Blick zu, den sie nicht genau deuten konnte. Dann sah er wieder zu ihr.
"Du solltest dich auch mal mit anderen treffen. Die zwei üben keinen
guten Einfluss auf dich aus. Genausowenig wie die nächtlichen Besucher
wie der der vorhin klammheimlich aus dem Haus geschlichen ist."
"Ach, das war doch nur..." begann sie und stockte. Sie kannte nichtmal den Namen des Jungen.
"Hör auf die Lehren Lyssas." meinte Victor schließlich. "Betrachte nicht
immer nur eine Seite der Medaille. Schau auch mal hinter den Spiegel.
Geh in eine Taverne oder so, rede mit den Leuten, lern sie kennen. Du
wirst sehen, es wird dein Leben bereichern."
"Ja Vater..."
Den Kuchen aßen sie schweigend, bevor Victor erneut aufbrach.
Einsamkeit und Belehrungen. Ihren sechzehnten Geburtstag hatte sie sich einmal anders vorgestellt.