Die Gruppe zu verlassen fiel ihr um ein so vielfaches leichter, als sie selbst zuvor gedacht hatte. Die Ereignisse überschlugen sich und nach dem Fehlverhalten der Magistra Wehrgesang selbst, wunderte die Lichtbringerin rein gar nichts mehr. Woher sollten die Bürcherwürmer denn wissen, wie man sich im Feld zu verhalten hatte? Woher nur sollten sie erahnen können, wie wichtig es war Befehlen Folge zu leisten, anstelle dem eigenen Kopf durchzusetzen? Nein. Die Situation lag klar vor Augen. Die Magistra hatte ihre Leute verzogen und verhätschelt wie kleine Kinder – und es war ganz eindeutig nicht die Aufgabe Vish’s sich mit Gefahrenquellen zu umgeben. Die rote Fraktion war zwar auch nicht unbedingt leicht zu steuern, aber wenigstens wussten diese um die Notwendigkeit einer geordneten Führung und verfolgten ähnliche Ziele.
Schon in der Nacht nach dem Verlassen der Kerngruppe wurde der Abriss der störenden Abaddonfigur durchgeführt. Es fühlte sich gut an gleichermaßen etwas für den Orden und für die eigene Gottheit zu tun, auch wenn das natürlich die sogenannten Gelehrten nicht verstehen konnten. Man hatte extra keinen Sprengstoff genutzt, sondern auf herkömmliche Methoden gesetzt, die trotz allem Mordrem und eine große Wyvern zu dem Versteck der zurück gelassenen lockte, wobei das nicht sicher war. So sehr, wie diese Leute mit Magie um sich geschmissen hatten, war es ohnehin nur eine Frage der Zeit. Vermutlich war den Mordrem bereits von Anfang an der Standort bekannt und hatten nur auf eine Chance gewartet. Es war seltsam, dass eine derartige Menge an Feinden es offensichtlich schaffte sich ungesehen an die unterbesetzten Leute heran zu schleichen. Hatten sie denn keine Wachen tiefer im Areal aufgestellt um Feindbewegungen zu überprüfen?
Als man zur Hilfe eilte stellte sich die Situation allerdings als wesentlich ungefährlicher dar, als man zuvor vermutete. Der Wyvern starb direkt vor dem Eingang, was die Verteidigung dessen um ein vielfaches erleichterte – oder zumindest hätte erleichtern können. Es war nur logisch, dass die Lichtbringerin sich dafür entschied sinnvolleren Aufgaben nachzugehen, wenngleich Priester und Zaishen dem Ruf der Schlacht folgten. Es war ihr gleich, ob die Roten hier oder an anderer Stelle die Truppen der Feinde dezimierte, Hauptsache sie kamen der unausgesprochenen Aufgabe nach, welche ihnen unweigerlich zugetan wurde. Für Balthasar. Für die Menschheit. Für den Orden.
Die Tage eilten in der Zwischenzeit mit riesigen Schritten dahin und waren durchsetzt mit Kampf, noch mehr Kampf und der Behauptung des Areals für sich. Erschreckenderweise gelang es bisher ganz gut, auch wenn man immer wieder den Standort für Ruhemöglichkeiten wechseln musste, um nicht aufzufallen. Verletzungen blieben nicht aus, doch Agentin Voluspa kam ihrer Pflicht als Heilerin bestens nach, sodass man trotz allem gut vorwärts kam.
Die Versorgung mit frischem Wasser und Nahrung gestaltete sich innerhalb der Ruinen als doch recht einfach. Der kleine Süßwasserfluß in der Nähe beherbergte ausreichend Fische, die man nur fangen musste um daraus eine Mahlzeit zu machen, die endlich die gequälten Mägen füllte. Auch die Nachhut aus dem vorherigen Lager sollte bald eintreffen, sowie der schon lange wartende Kopter, den Vish jetzt zu Transportzwecken nutzen wollte um tiefer in den Dschungel eintauchen zu können.
Sie streckte den Rücken durch und ließ den Blick schweifen. Versteckt auf einem der Häuserdächer, von wo aus man eine gute Übersicht hatte, saß sie mit dem Rücken angelehnt an dem von der Sonne aufgewärmten Stein. Hier oben war die Aussicht in jedem Fall phantastisch, auch wenn das leise Rauschen des Windes immer wieder von störenden Geräuschen der Pflanzenmonster unterbrochen wurde. Ja, wenn sie sich hier so umsah gefiel ihr die Idee, dieses Gebiet für den Orden zu beanspruchen immer mehr und mehr. Vielleicht hatte die Schattenflamme Interesse an dem alten, weitläufigen Ruinenkomplex, der sicherlich viele Geheimnisse barg, die nur darauf warteten ans Tageslicht geholt zu werden.
Man brauchte nicht viel Vorstellungsvermögen um den einstigen Glanz dieser scheinbaren Metropole zu erkennen, auch wenn die Größe selbst für die Umgebung schon eigentümlich war. Eine Historikerin war die Rothaarige nicht, sodass ihr beim besten Willen keine bekannte Stadt einfiel die dem bisher gesichteten Aufbau und Prunk entsprach. Sie mussten weitere Erkundungstouren anstellen, um endlich etwas mehr sagen zu können und dem eigenen Informationsdrang zu stillen.
Der Ausflug zum Grenthschrein hatte bisher zweierlei Dinge ergeben. Erstens die Erkenntnis, dass die vorherigen Besitzer zwar kunstvolle Arbeiten leisten konnten, Grenth aber eher stiefmütterlich behandelt hatten und zweitens ein Mitbringsel in Form einer kleinen, nicht mehr ganz intakten Statue, welche sie nun in den Händen hielt, als wäre es eine Puppe. Sanft strichen die schlanken Finger über die Figurine, bei der der knöcherne Thron nur noch andeutungsweise zu sehen war und auch das Gesicht schon deutliche Spuren der Verwitterung trug. Trotz allem fand sie dieses Kleinod wunderschön. Versteckt stand es fast schon wartend in einer Nische – all die Jahre nahezu unangetastet. Ein Wunder, bedachte man, dass der Rest des Ortes nahezu zerstört war. Ein Umstand an dem auch Mutter Melandru nicht unschuldig war. Der Fund bestärkte Vish in der Annahme hier genau richtig zu sein und auch entsprechend richtige Entscheidungen getroffen zu haben. Es war göttliche Bestimmung, eindeutig.
Neben der kleinen Statuette fanden sich noch kleinere Tonscherben von großen, bauchigen Vasen oder anderen Keramikarbeiten in dem Gebiet, die teilweise mit gottgefälligen Mustern und Zeichnungen versehen waren. Von frischer Farbe konnte aber auch hier nicht mehr die Rede sein, denn der Zahn der Zeit vermochte auch hier seine Spuren zu hinterlassen. Die Mimik verhärtete sich wieder etwas während sie nun endlich nach zerknittertem Pergament und einem Bleistift kramte. Es gab noch Arbeit zu erledigen, die nicht länger warten konnte, zumal sie heute letztmalig jemanden zurück in das Lager schicken würde.
Werter Kollege Laurent,
zuerst die guten Neuigkeiten: Wir konnten die Leute des abgestürzten Luftschiffes bergen, wobei allerdings viele verletzt sind und nur wenige tauglich für das Feld – und auch bei jenen die körperlich versehrt sind, ist eine geistige Untersuchung dringend notwendig. Offensichtlich hat nicht jeder die Schrecken des Unfalles und des langen auf sich gestellt sein gut überstanden. Kapitän Fockes Zustand ist zwar einigermaßen stabil, aber dennoch besorgniserregend.
Leider war es das auch schon an guten Nachrichten, denn nun folgen die schlechten: Die Unfähigkeit und das nicht einhalten der Lagerregeln, sowie strikte Befehlsverweigerung um den Lagerfrieden zu wahren haben mich zu der Entscheidung kommen lassen, die Gruppe der Abtei zu verlassen. Es ist nicht in meinem Sinne wegen ein paar Personen, die sich an einfache militärische Grundsätze nicht halten können meine eigenen Leute in den Tod zu schicken. Die Magistra hat sich offensichtlich das Personal, welches sie mitnahm nicht genau angesehen und beschloss dann dieses auch noch in unüberhörbarer Nähe aufs schwerste zu beleidigen und zu provozieren. Es ist traurig, dass jemand mit einem Offiziersrang nicht in der Lage ist sich unter Kontrolle zu halten. Man muss nicht jeden mögen, aber als führende Person muss man mit jedem arbeiten können. Sie erhielt von mir im Zuge dessen mehrere Male den dringenden Hinweis die Situation durch eine Entschuldigung zu verbessern, was sie ablehnte und statt dessen permanent um den heißen Brei herum redete. Es kam zur Eskalation durch ihre mangelnde Einsicht. Jeder Griff jeden an – und so etwas schimpft sich Pakt. Nein, werter Kollege , der Pakt ist tot, wenn wir solche Leute nun schon aus Verzweiflung dem Dschungeldrachen in den Rachen werfen müssen.
Ich weiß, dass wir auch alleine durch kommen, ohne ein paar Gelehrte, die das Schlachtfeld nur aus Büchern kennen, zumal wir den anwesenden Balthasarklerus mitgenommen haben. Sie erfüllen bisher ihre Aufgabe in absolut brauchbaren Maße, auch wenn ihre Mission bald die meine ist.
Flintstone beschloss im Übrigen trotz allen bei den anderen zu bleiben, was zwar seiner Loyalität mir gegenüber einen Abbruch tut, mir aber in gewisser Weise auch ganz recht ist. Ich denke er ist dort besser aufgehoben und leistet mir dennoch gute Dienste dank der erstellten Kommunikationsmöglichkeit. Aufgrund seines Fleißes und seiner Zuverlässigkeit habe ich ihn noch im Feld vom Eingeweihten zum Agenten befördert – ich bitte dies auch daheim zu vermerken.
Aktuell kann ich nur sagen, dass die Entscheidung, die Gruppe zu verlassen, schon viel eher hätte folgen müssen, aber ich habe gehofft und gedacht, dass sich eventuell noch ein Lernprozess einstellt. Ich habe mich geirrt. Wir befinden uns in der Ruine einer großen Stadt, die zwar durchaus interessant ist, aber auch von Mordrem geflutet. Trotz allem konnten wir schon einschlägige Erfolge bezeichnen in der Vernichtung der Feinde, sowie in der partiellen Reinigung von Gebieten. So konnten wir die Schreine Grenths und Balthasars unter anderem schon genauer untersuchen und die Statue Abbadons vernichten, wie es Brauch ist. Eventuell sollten wir das Gebiet für uns beanspruchen, da sich hier auch eine mächtige Anomalie befindet, oder gar etwas rein Göttliches.
Wir benötigen allerdings dringend Nachschub an Munition, die wir hoffen im Lager der Wachsamen auffüllen zu können. Für den ein oder anderen wird ein Schmied ebenso notwendig sein. Wir werden durchhalten und weiter machen, bis wir an dem neuen Ziel sind: Der Tempel des Balthasar. Die Befreiung dessen ist die derzeitige Mission, die ich uns auferlegt habe. Solltet ihr dem noch etwas anzufügen haben, lasst es mich wissen.
Möge Grenth euch stets mit Klarheit segnen
Lichtbringerin Mathyra
Wie nur allzu oft überflog sie die Seiten noch einmal und begab sich dann an den Abstieg. Der Priester stand in gewohnt wachsamer Manier vor der derzeitigen Behausung und behielt das Gebiet im Auge. Guter Mann. Der Zaishen befand sich nach dem gestrigen Ausflug in den Händen von Agentin Voluspa, die sich rührend um ihn kümmerte, was so viel bedeutete, dass sie versuchte ihm gut zuzureden und ihn mit Arzneimitteln wieder hoch zu bekommen. Eine normale Behandlung der Wunden hatte natürlich statt gefunden, recht kommentarlos sogar.
„Ah, Priester Dronon“, sie wedelte verheißungsvoll mit dem bereits versiegelten Brief und lenkte das giftgrüne Augenmerk auf das Gesicht des Mannes. „Ein Angebot an die Gruppe: Ich schicke heute wieder einen Boten los. Wenn ihr möchtet kann er Nachrichten auch von euch mitnehmen, allerdings solltet ihr euch beeilen mit dem schreiben. In ein einhalb Stunden wird er abreisen.“ Die Antwort folgte mit einem bestätigenden und zur kenntnisnehmenden Nicken in Richtung der Lichtbringerin. Gerade wollte sie nach drinnen verschwinden, da sprach der Hüne sie doch noch einmal an: „Lichtbringerin Mathyra ich weiß, wo wir uns befinden….“