Wortlos ließ sich Thrym dieses Mal neben dem alten Schamanen nieder. Als Gruß sollte ein Neigen des Hauptes genügen, war der Blonde doch sichtlich nervös. So konnte er auch nicht ruhig sitzen und als der Alte die ersten Worte sprach, umspielte ein Lächeln seine Lippen. "Geister zum Gruß, Rastwolf." Thrym schluckte, dann gab er Antwort. "Un' dir, Ehrwürd'ger." Der Schamane sah zu Thrym und die blinden Augen schienen ihn zu durchbohren wie Nadeln. "Weswegen bist du hier? Hast du eine Antwort gefunden?" Der Blonde nickte. "Ay'. Ich hab' nachg'dacht un' ich denk', dass'ch 'ne Antwort g'fund'n hab'." Hogni nickte ihm zu und wandte den Blick wieder ab. "Dann lass sie mich hören."
Thrym räusperte sich. "Ich denk'... dass'r Wolf freiwill'g z'rücksteckt. 'r wär' ohne Hamm'r stärk'r, wenn'r nur mit'n Zähn'n kämpf'n würd'. 'r weiß das auch. Ab'r trotzdem verzicht't er auf'e Stärke." Zögernd sah der Blonde zum Schamanen. Dessen Miene machte deutlich, dass es wohl die Antwort gewesen war, die er hören wollte. Hogni sah zufrieden aus. "Und warum tut er das? Warum verzichtet er auf das, was ihm die Geister gaben, um sich zu wehren?" Der Rastwirt strich sich mit den den Fingern durch den Bart. Er war erleichtert. "Weil ihm 'was an dies'm Hamm'r liegt. Er hat'n lieb, er is'hm wicht'g. Desweg'n trägt'r ihn bei s'ch." Ein frohes Brummen entfuhr Hogni. "Dein Verstand ist scharf, blonder Wolf." Thrym lächelte und beide schwiegen sie eine Weile. Dann ergriff der Schamane abermals das Wort.
"Du bist dieser Wolf, er ist nicht nur ein Bild. Er ist das, was du bist. Dir ist nicht wichtig, der Beste zu sein. Was dir wichtig ist, ist, dass es deinen Freunden gut geht. Deiner Sippe, deinem Rudel und Allem voran deinem Weib. Und deinem Welpen, wie ich hörte. In diesem Sinne steckst auch du häufig zurück. Und machst dich bewusst schwächer, als du eigentlich bist. Doch das ist nicht schlimm. Du bist trotz alledem ein starker und herzensguter Kerl. Dein Rudel weiß, dass es auf dich zählen kann. Und auch deine Freunde wissen es. Obwohl sie dich manchmal ärgern oder böse auf dich sind." Der Alte hob die Rechte und legte sie Thrym auf den Kopf. "Du hast niemanden verlassen und warst nicht feige. Du warst deinem Herzen treu und denen, die du darin behältst. Sei dir dessen immer bewusst, Bruder." Thrym schluckte und nickte dann. Er bekam kein Wort mehr heraus.
"Lass mich dir noch eine Geschichte erzählen. Ich weiß, was dich bewegt. Bruder Wolf hat es mir erzählt. Auf meinen Reisen hörte ich einst ein Lied, wohl vor einem halben Jahrhundert. Es handelt von einem Mann, der so ist wie du. Ihn plagen die gleichen Sorgen. Höre dir an, was er getan hat." Ehe der Blonde eine Antwort geben konnte, erhob der Alte die Stimme und sang ein Lied. Auch wenn sich die Zeilen nicht reimten, so bettete die Stimme des Alten sie in eine Melodie, in der sie aufgingen.
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Oh, einst stieg die Sonne blutrot morgens.
Blutrot war sie am frühen Tag.
Die Maid verließ der Gefährte, zog weit, weit weg.
In ferne, ferne Länder.
Sie gab ihm ein zartes Wort zum Abschied.
Ein zartes Wort, ein Wort des Schutzes.
"Oh Liebster, ich werde warten, werde auf dich warten
Und dich in der blutroten Sonne treffen."
Der Maid Finger zitterten und fingen die Tränen.
Sie fingen die Tränen, die aus hellen Augen fielen.
Mit sanfter Hand nahm sie ihr Amulett.
Sie nahm ihr Amulett und betete für gutes Glück.
"Ich bete, ich spreche einen Zauber und gebe es meinem Liebsten für die Reise in die Ferne.
Beschütze meinen Liebsten vor dem Tod."
Und er zog los in ferne Länder, um sein Glück zu suchen.
Weg auf Weg, der Sonne entgegen.
Durch Kälte und Hitze,
Bei Tag und bei Nacht.
In grauen Nebel,
In vergehendes Licht,
so wandte er sich den Geistern zu.
Bare Füße blutig gelaufen
folgte er einem unbekannten Pfad.
Und er hörte den Ruf der See.
Er fiel in die Umarmung der Nordwinde.
Er suchte nach Glück.
Und nun sollte er dieses Land danach fragen.
Höre den schweren Atem der Erde,
Die uranfängliche Seele des Landes,
Das kalte Licht des Nordsternes,
Den Wolf im Nachtwind,
Die Dämmerung über dem Nordland,
Die Schwingen des Rabens im Meer der Sonne.
Hier stehen meine Vorväter standhaft
An der Seite des Einäugigen.
Hier opfere ich meinen Göttern,
Dem Nährboden meiner Wurzeln.
Dieses Haus ist schön,
Doch fremd und kalt.
Ich höre die Stimme der Winde aus anderen Ländern.
Zeigt mir die Wege dorthin, oh Geister.
Die Stimme eines neuen Landes,
Dein Fuß betritt es,
Wieder hast du die Straße verlassen,
Weit weg zu einem fremden Fluss habe ich dich gelockt.
Leute! Nun sagt,
Weswegen ist euer frohes Land berühmt?
Eure Götter, wer sind sie?
Was verstecken diese Lande?
Grenzenlose Wälder zogen uns auf,
Wie Pferde des Windes, in Freiheit.
Brot so schwarz wie die Erde,
Sämiger, schäumender Met,
Der Falke unserer Mutter
Beschützt unsere Kinder in der Sonne.
Der einäugige Schöpfer
Lehrte uns über Stahl, erweckte uns.
Die Hügel unserer Erde.
Sieh in die Ferne,
Soweit den Auge blicken kann,
Dies ist das Land unserer Vorväter.
Starrend auf die Schönheit der goldenen Felder
Werde ich mein Knie beugen.
Ich werde diesem Land einen Tribut anbieten
Doch werde ich es wieder verlassen, ohne jede Spur.
Im Glanz des Sonnenlichtes
Wird sich die Weite eines neuen Landes erstrecken.
Weswegen ist euer frohes Land berühmt,
teuer in den Augen eines Fremden?
Mir macht es nicht aus,
Am Rand der großen See zu leben.
So wie das Meer hineinschwemmt,
Schwemmt es Silber heraus.
Ich ziehe einen Mantel aus Wasser an,
Einen Pelz aus Kieseln.
Jetzt gehe ich ans Meer,
um mit dem Nordwind zu spielen.
Und wieder gehe ich weiter,
Aus einem fremden Land zu meinem Herzen.
Obwohl es sich weit ersteckt,
Ist dieses nicht mein.
Ich gehe in weite Ferne,
Weg von der blauen See,
Wieder frage ich die Leute meine Frage.
Land meiner Väter, was bist du schön,
Wie eine junge Maid.
Deine Glieder sind Tal und Berg
Und dein Kleid sind die Wiesen.
Der frische Waldhauch ist dein Atem,
Dein Reden der Gesang der Vögel.
Der Weiher ist dein helles Auge,
Dein Gruß der Klang der Glocken.
Der Wald, er ist dein grüner Mantel,
Dein glänzendes Haar goldenes Korn.
In bunten Sträußen erblühen
Viele Blumen, zart und reich.
Die schönen Wiesen sind dein Kleid,
Deine Glieder sind Tal und Berg,
Du bist wie eine junge Maid,
Heimatland, so schön.
So schön!
Weg um Weg,
Der Sonne entgegen,
Durch Kälte und Hitze,
Bei Tag und Nacht.
Ziehe ich los,
Ziehe ich los in fremde Länder.
Bare Füße scheuern,
Doch in meinem Herz bewahre ich die Hoffnung.
Ich denke an meine Heimat,
Ich erwarte ein Wunder, wieder gehe ich
An die Küste
In das nächste Land, dem ich meinen Respekt erweisen werde.
Weswegen ist euer Land berühmt?
Du folgtest der Sonne, geleitet von deinen Göttern.
In den Westen bist du gereist,
Wo die See das Land verschlingt,
In das Land des Rufes der Drachen,
Dieser Ort ist mit meiner Seele verschmolzen,
Dein Pfad hat dich hierher geführt,
Willkommen in meinem Vaterland.
Wärme dich am Feuer, mein Gast,
Und erfrische dich mit unserem Bier.
Weit sind auch wir gereist,
Doch unsere Freude ist hier.
Wo meine Brüder rings um das Feuer
Zu dieser Nachtstunde trinken,
Wo Geschichten und Gelächter
Bis zum Tagesanbruch klingen.
Unsere Freude können wir finden
In den Wäldern, in den Feldern der Heide.
Unsere Freude können wir finden
An den Ufern dieser Flüsse.
Oh, wie sehnte sich dieses sündige Herz,
Oh, ob seines Heimatlandes,
Oh, eile zum Morgenrot,
Zu unserer Mutter, mein liebes Herz.
Und dort siehst du es,
Mit einem Lied in deinem Herzen,
Durch einen Mahlstrom an Gefühlen.
Hier sind sie - die Länder unserer Heimat,
In Ketten des Vergessens.
Ob der aufkommenden Kraft an Freude
Rufst du: "Hier ist meine Heimat!"
Du rufst: "Hier ist meine Heimat!"
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Und da wusste Thrym, was vor ihm lag und was er zu tun hatte.