Er ragte vor der jungen Norn und ihrem hünenhaften Begleiter auf und konnte die angespannte Stimmung zwischen ihnen spüren. Man hätte die Luft greifen und schneiden können. Ihre Finger waren zu Fäusten geballt, die bebend und zitternd an ihren Seiten hingen, nachdem sie den blonden Rastwirt mit einer schlichten Geste zurück gehalten hatte. "Ich will hören, was er zu sagen hat." Das waren ihre Worte gewesen und der Wirt hielt inne, damit Tjore erzählen konnte. Er hatte seinen Begleitern bereits im Vorraus mehr als deutlich gemacht, wessen Kampf das war. Und sie hielten sich daran. Vorerst.
So berichtete Tjore von jedem einzelnen Geschehnis, seit er mit ihrer Mutter und seinem ehemaligen Rudel aufgebrochen war, um einen Schamanen der Svanir zu vernichten. Wie er den Geistern abgeschworen und sich dem Drachen als einzig wahrem Tiergeist zugewandt hatte und damit das Todesurteil für seine Kameraden unterschrieb. Jede einzelne ihrer Regungen war für ihn ein Gefühl, als würden ihm tausende von Steinen von den Schultern genommen und darauf hatte er viele Winter warten müssen. Dieser Augenblick war so lange herbei gesehnt und endlich standen sie sich gegenüber. So sprach er weiter, wie bei einem ganz alltäglichen Gespräch zwischen zwei Norn. So locker und amüsiert, als würde er ihr von einem Missgeschick beim letzten Bierrat erzählen. Er konnte einfach nicht mehr aufhören, denn das Ziel war zum Greifen nah, auch wenn ihm ganz deutlich bewusst war, wie sehr sich dieser Thrym beherrschen musste. "Eine nach der Anderen hat er sich geholt, bis ich diese gutgläubigen Geisterknutscher endlich zu ihm brachte. Sie hatten keine Gelegenheit oder auch nur den Hauch einer Chance gegen uns anzukommen. Deine Mutter stand bis zuletzt, kämpfte wie eine Wilde, überlebte aber auch nicht viel länger. Ich würde ja behaupten, dass sie um ihr Leben gebettelt hat, wie ein Welpe den man in einen Sack steckt und in den Fluss wirft...naja. Sie tat uns den Gefallen nicht. Und schließlich warst du die Letzte, die zu unserem Opfer fehlte. Nun, das werde ich dann richten, denn wer sich so lange verstecken kann, der wird zwar kein würdiges, aber dennoch ein Opfer sein." Mit einem weiteren düsteren Grinsen auf den Lippen schloss er seine Zusammenfassung der Erzählung, damit sie auch wirklich alles aufgenommen hatte und verschränkte die Arme vor der Brust. Abermals ließ er ihr einen Moment lang Ruhe, betrachtete in Jenem ihre Züge und ihren mahlenden Kiefer, während er den Hünen nun völlig ignorierte. Es würde nicht mehr lange dauern, dann wäre es soweit. Ein Fünkchen fehlte noch, um das Inferno zum Toben zu bringen. "Weißt du, Iida...Ich war es, der dem Burschen das Messer deiner Mutter gab damit er es dir bringt. Ich war es, der die Runen in den Boden gekratzt hat. Ich war es auch, der den Brief geschrieben hat, sowie ich auch dafür gesorgt habe, dass deine Wege steinig sind." Tjore machte eine kurze Pause und ergötzte sich abermals am Blick der jungen Norn. Sie bebte vor Zorn und ihr Mund war zu einem Strich geschmälert. Voller Genugtuung grinste er auf und legte sich die Hand auf die Brust, während die Andere sein schlankes Messer aus der ledernen Scheide zog. "Ich war es auch, der dem Bären den Schädel eingeschlagen hat."
Viel hatte er gesprochen, Worte die ihr Herz selbst nach dreieinhalb Wintern in tausend Stücke brechen ließen. So sehr sie seinen Worten nachhing, so aufmerksam wurde sie dabei. Die vielen Begegnungen dieser und ähnlicher Art hatten sie bis heute geprägt und es sollte nie wieder vorkommen, dass ein größerer und stärkerer sie urplötzlich überrannte. Natürlich - dieser Norn war weder Olga, noch Jorn. Vor ihr stand Tjore, den sie seit ihrer Geburt kannte und von dem sie dachte, dass er tot war. Zwar war Thrym in ihrem Rücken und sie wusste genau, dass er sie schützen würde. Er hatte es geschworen und egal was kommen würde, er würde seinen Schwur nicht brechen. Dennoch hätte sie im Nachhinein auf das Wissen verzichten können, welches Tjore ihr mit Plauderton erzählte. Sie hätte darauf verzichten können, zu erfahren, dass sie sich getäuscht hatte und dieser Norn noch am Leben war. Aber nun wusste sie es. Sie wusste bescheid. Über seinen Verrat, über ihren barbarischen Großvater und über den Tod ihrer Mutter. Hass machte sich in ihr breit, mischte sich mit der wütenden Trauer von der sie eigentlich geglaubt hatte, dass sie überwunden war. Ihre Augen brannten voll ungeweinter Tränen, die ihr die Sicht verschwammen. Aber sie wollte nicht weinen. Diese Blöße wollte sie sich nicht geben. Nicht hier und nicht heute! Er würde sie nicht weinen sehen. Tjore würde nicht sehen, wie sehr sie das alles verletzte. Kurz erschrak sie dennoch, als er das Messer aus der Scheide zog und sie wich etwas nach hinten zurück. Wenn sie jetzt kämpfen müsste, dann würde sie es tun. Auch wenn er um ein vielfaches großer, breiter und erfahrener war. Sie würde um ihr Leben kämpfen, denn das würde dem Drachen niemals zum Opfer fallen. Niemals.
Er sprach Worte, die sie nicht gehört hatte, weil ihre Gedanken es doch geschafft hatten, sie abzulenken. So zwang sie sich regelrecht aus diesen heraus und musste sich anstrengen, ihm zuzuhören. Iida sah vom Messer auf, in das gealterte Gesicht des einstigen Vertrauten. Seine letzten Worte hatte sie ganz genau gehört. Sie hallten in ihrem Kopf nach, wie der abartige Geschmack am Morgen nach einem Vollsuff. Der dem Bären den Schädel eingeschlagen hat. Ihr Blick war voller Abscheu und heiß brannten ihre Wangen, während sie ihn anstarrte und ihren Atem, wie auch ihr Gemüt zum ersten Mal seit Langem zwingen musste, ruhig zu bleiben. Es war das erste Mal in ihrem Leben, bei dem sie das Verlangen nach blutiger Rache und Genugtuung hatte.
"Hier, nimm es." Tjore hielt ihr das Messer entgegen und mit jedem Atemzug zuckten seine Mundwinkel weiter hinauf, zu einer abartig verzerrten Fratze amüsierter Grausamkeit. Dabei ließ er sich langsam auf die Knie sinken, die Hand noch immer erhoben und das Messer mit dem Griff in ihre Richtung gestreckt, damit sie es nehmen konnte. Er war vor mehr als drei Jahren nach Hoelbrak geschickt worden, um dieses Mädchen zu töten. Diese Norn, die ihm nun gegenüber stand und sich nun doch endlich bewegte, jedoch nach wie vor nicht in die Richtung, die er sich erhoffte. So warf er ihr das Messer locker entgegen, sodass es einen halben Schritt vor ihm im Schnee landete. Wieder grinste er und sah zu ihr hinauf. "Sie hatte es immer gewusst." Iida stockte kurz der Atem und sie fixierte Tjore erneut, nachdem sie den Blick von dem Messer nahm. "Was?" Leise lachte Tjore als sie direkt darauf angesprungen war und er zog die Schultern in einer entspannten Geste kurz an. "Dass ihre Tochter schwach ist."
Da war er. Der Funke, der das Inferno entflammte damit es nicht mehr zu stoppen war. Laut schrie die junge Norn auf und riss das ihm so bekannte Messer aus der Scheide. Es war Raijas Jagdmesser. Und es war wohl Schicksal, dass er den Tod mit diesem Messer bekommen würde.
Ich warte. Ich warte schon so lange.
Iida kam näher, das Messer erhoben und packte Tjore an einem seiner Bartzöpfe. Sie holte mit dem Messer aus und starrte ihn dabei wutentbrannt an, während die Klinge auf seinen Hals zuschnellte...
Kommentare 1