Drohungen

Es war später Abend und die meisten Häuser der Nachbarschaft waren schon dunkel oder im Begriff, die Lichter zu löschen um der wohlverdienten Nachtruhe nachzukommen. Dass in der Hüttenbiegung Vier an den meisten Tagen der Woche noch bis spät nachts das kühle, bläuliche Licht der Paraphernalienmanufaktur auf die Gasse hinausdrang, das wunderte keinen der Nachbarn mehr. Der irre Stanwick arbeitete eben lang, immerhin war er fleißig wenn schon nicht freundlich oder zugänglich. Es hatte auch schon eine ganze Weile nicht mehr geknallt dort in der Werkstatt und die lautstarken Streits mit der Assistentin gehörten ebenso der Vergangenheit an. Im Prinzip störte Stanwick niemanden und so sollte er eben machen, was er da drin halt so...machte.
So wie jetzt.
Gerade war der Konstrukteur damit beschäftigt, Runenfolgen mit einem speziellen Leylötkolben in Mithrilstreifen zu ätzen. Er kam gut voran, das Werkstück brauchte nur noch einen Gravurdurchgang und konnte dann in der mit Arkanpartikeln angereicherten Lauge die Nacht verbringen. Leises Britzeln konzentrierter Elementarenergie und der Geruch von Säure erfüllten den Raum, als es jäh...
...klopfte.
Ioan rollte die Augen. Nicht jetzt.
"Ja, herein." sagte er unwirsch, aber trotzdem. Weil er mittlerweile einfach gelernt hatte, nicht mehr zu sagen, was ihm als erstes in den Sinn kam. Die anderen Menschen mochten das eben nicht so.


"'n Abend." ertönte eine vage vertraute Stimme von der Türe her. Erst das Klicken ihres Schlosses brachte den vertieften Tüftler dazu, hochzuschauen. Er mochte es so gar nicht, wenn die Türen der Räume, in denen er sich befand, geschlossen wurden. Irritiert blickte Ioan also hoch und als er den Mann sah, der dort in seiner Werkstatt stand, da wich aus dem ohnehin gemütsarmen Antlitz des Genies jegliches Restleben, das zumindest die Irritation dort hingebracht hatte.
"He, he." sagte der gar nicht so Fremde mit einem halbseitigen Lächeln. "Ganz ruhig, Mister Stanwick. Ich komm' nur zum Plaudern." Mit einer Selbstverständlichkeit als wäre es seine Werkstatt trat der späte Besuch in die Mitte des Raumes, zog sich den Drehbankstuhl hinzu und setzte sich auf Ioans Augenhöhe. Der Konstrukteur selbst konnte immer noch nichts Anderes tun als starr vor Zorn zuzuschauen, wie sich die Vergangenheit wiederholte.
"Ich bräuchte da einen Gefallen von Ihnen. 's geht um eine gemeinsame Freundin. Sie erfindet gern, wie Sie sicher wissen." Es war nicht gelogen gewesen: Der Fremde trug sein Anliegen in einem entspannten Plauderton vor, als säße man bei einem Bierchen in der Kneipe. "Sie wird sich in Kürze an Sie wenden - oder besser noch: SIE werden sich in Kürze an unsere Freundin wenden und ihr bei der aktuellen Arbeit jede erdenkliche Hilfe angedeihen lassen." Gen Ende bekamen die Worte des Besuchers pointierten, ruhigen Nachdruck, als erklärte er einem Vierjährigen, wie man Schuhknoten bindet.


"Einen...e...einen verfluchten ...gar nichts werde ich machen! Alice und ich sind fertig! Und auf eure Drohungen habe ich schon beim letzten Mal geantwortet - endgültig!!" Ioan Stanwick war im Prinzip kein sehr mutiger Mann. Jetzt gerade aber, erfüllt vom Zorn über die Dreistigkeit dieser Fanatiker, die schon zum zweiten Mal kamen, um in sein Leben einzugreifen, die es beim letzten Mal fast zerstört hätten - jetzt sammelte sich in ihm ein ungekannter Drang, ausnahmsweise einmal die Fäuste zu ballen und es jemandem heimzuzahlen. Vorzugsweise dem Bastard, der da vor ihm hockte. Wirklich, es war so einfach: Der Konstrukteur müsste nur aufstehen, voranlangen und den Besucher berühren, dabei die Überspannung seiner natürlichen Elementarladung durch die Hand in dessen Leib jagen und zuschauen, wie der Dreckskerl sich zuckend am Boden wand...


Nur, dass Ioan so weit nicht kam, ehe er in den Lauf eines Revolvers sah, der direkt auf ihn gerichtet ein schwarzes, laufgroßes Loch in allen, zusammengesammelten Mut riss.
"Ah, ah, ah." tadelte der Besucher beiläufig. "Ich hab' mich wohl schlecht ausgedrückt: Jede. Erdenkliche. Hilfe. Sonst muss ich leider Ihrer hübschen Bäckerin einen unangenehmen Besuch abstatten. Kommen Sie schon." Ja, da war ein Lächeln um den irritierend schönen Mund des Fremden, eines, das sogar Ioan verstand. Es verbrämte die kameradschaftlich geplauderte Drohung mit einem Zierdeckchen aus Eisblüten, die von innen heraus geradewegs dort in der Magengrube erblühten, wo die nackte, panische Angst ihre gute Stube hatte. "Ich steh' auf Lockenköpfe. Bringen Sie mich nich' dazu, Kathlyns durchzupusten."


Ioan Stanwick war kein mutiger Mann. Und er hatte noch nie etwas wirklich zu verlieren gehabt.
Bis jetzt.
Also setzte er sich wieder. Und nickte schweigend.
Auch der Fremde nickte und steckte den Revolver fort. "Super. Find ich echt sportlich von Ihnen. Wär' schön, wenn das unter uns bleibt. Kathlyns Brote schmecken nicht nur mir. Also dann."
Der späte Besucher erhob sich vom Hocker, tippte sich mit lascher Geste an die Schläfe. "Schönen Abend noch. Und gutes Gelingen, Mister Stanwick." wünschte er und verließ dann die Werkstatt. Seine Arbeit war getan.

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