In das Dunkel des Geschenks waren die Augen der Gräfin vertieft. Die Hände lagen an den Seiten des Kästchens, das samten ausgeschlagen war und in dem sich auf diesem angenehmen Bett eine Glaskugel befand, die mit wabernder Nacht erfüllt wirkte, als wolle sie alles Licht des späten Nachmittags im Raum verschlucken.
Die Handflächen waren schon ganz zu Anfang vor Nervosität feuchtkalt geworden und ihr Blick huschte gehetzt über die Ränder der geschliffenen Sphäre, als würde sie darin etwas finden wollen.
Nur bot sich darin nichts Findenswertes.
Es begrüßte sie keine Eingebung, keine Vision und kein Tor in eine andere Welt. Lediglich die gähnende Abstinenz von Licht empfing sie weiterhin.
Es war ihr nicht bewusst, wie viel Zeit sie verbracht hatte.
Der Fokus war starr geworden, die müden Augen gerötet und als wäre es aus der Kugel gedrungen, war das schlichte Zimmer ihrer Residenz in Dunkelheit getaucht. Von den Straßen herein gedrungen war sie, durch die Fenster gekrochen und es brannte keine Kerze und kein Feuer um der Elonerin Wärme oder Licht zu spenden.
All das bemerkte diese allerdings in dem Moment nicht.
Ihre Gedanken hatten sich verloren, waren fortgeschweift, als sie den Fokus in der Schwärze einbüßte. Zurück zu vergangenen Zeiten waren sie geschweift und hatten sich – beeinflusst von dem für sie bedrückenden Präsent, der Jahreszeit und dem Datum – an anderen Dingen festgesetzt. Keine Ausflüchte bot ihr diese Erinnerung.
Ein anderes Haus, eine andere Zeit und eine andere Frau war es, die in der Küche stand und ganz gemäß des gewohnten Ritus kochte. Eine kleine Litanei an verschiedenen Kerzen erhellte den Raum.
Derart erfüllt von Vorfreude war die große Frau, dass es ihr gar eine gesummte Melodie aus der Kehle zwang. Hackbraten sollte es werden. Das Gericht hatte bereits seinen Platz im Ofenrohr gefunden und versüßte ihr die Wartezeit mit einem verführerischen Duft.
Oder ob es wirklich angenehm war? Schließlich begann sie langsam doch den Hunger zu spüren. Eine der schon geschälten, kleinen Kartoffeln fand auf diese Erkenntnis hin ihr schmackhaftes Ende.
Die für eine Hausfrau viel zu schöne und dennoch damit zufriedene Frau wendete sich um und lehnte sich an die Arbeitsfläche. Eigentlich war alles fertig, nur fehlte eben noch die richtige Gesellschaft. Eine Zigarette – schon fertig gedreht – klaubte sie hinter ihr auf und steckte sie an. Ihre Arme verschränkte sie vor sich, während sie den Tabak genoss. Genauso wie sie es genoss, sich zu überlegen, was sie ihrem Gatten wohl dieses Mal vorwerfen könnte, da er wieder zu spät war.
Und das obwohl sie beide wussten, dass es nie ganz im Ernst gemeint war und er trotz des Tadels selbst keine große Wahl hatte.
Augenblicke vergingen, Sekunden und Minuten. Langsam begann sich ihr Glimmstängel dem Ende hin zu neigen. Gerade als sie den weißen Sargnagel ausgedrückt hatte klopfte es.
Es klopfte? Ihre Brauen schoben sich zusammen und der Kopf mit dem hochgesteckten schwarzlockigen Haar legte sich fragend schräg. Sie erwartete keinen Besuch mehr. Schon gar nicht um diese Uhrzeit. Ihr dunkler Blick wanderte an ihr herunter. Wenig begeistert verzog Djamila den Mund – sie konnte es nicht ausstehen, wenn sie sich nicht vernünftig auf jemanden vorbereiten konnte. Schon gar nicht, wenn sie so ziemlich die einfachste Kleidung ihres Schranks trug.
Trotzdem trugen sie ihre Schritte durch das Esszimmer und zur Haustüre hin. Metallen klackte das Schoss als sie aufsperrte und die Tür nur einen Spalt weit aufzog, um durch diesen zu spähen und den Störer zu identifizeren. Ihre Augen hefteten sich fest auf ihn und erlaubten sich nicht in den Abend hinaus zu blicken.
Den Mann kannte sie. Es war ein Freund ihres Gatten. Seinen Namen kannte Djamila aber ebenso wenig wie ihr irgendetwas anderes über ihn bekannt war. Details bekam sie nie erzählt.
Dafür war die Ahnung, die in ihr aufzukeimen begann, umso klarer. Noch bevor der Halbfremde eine Begrüßung sprechen konnte, hatte sich ihr Puls beschleunigt und ihr kalten Schweiß auf die Stirn gedrückt.
„Kann ich helfen?“, erhob letztlich doch die Frau das Wort als Erste. Ihre Nervosität war ihrem Gegenüber nicht entgangen. „Hast Du einen Moment?“ Ganz egal ob Gegenfragen unhöflich waren – es war ohnehin kein Tonfall, der ihr erlaubt hätte die Tür einfach wieder zu schließen und sich nicht anzuhören, was der Mann plötzlich von ihr wollte.
Schon innerhalb der kurzen Unterhaltung waren ihre Hände zittrig und richtig gehend nass geworden. Ein paar Handgriffe mehr als sonst brauchte sie, um das Kettchen – das im Zweifelsfall ohnehin niemanden wirklich aufhalten würde – zu lösen und die Tür genau so weit zu öffnen, dass der Gast eintreten konnte und sie die Abendluft wieder aussperren konnte.
„Was ist?“, erklang ihre Stimme bar jeglicher Freundlichkeit, sobald sie wieder an ihren Platz an der Arbeitsfläche zurückgekehrt war. Ihr Gegenüber war schlicht mit zusammengelegten Händen ein paar Schritt von der Tür entfernt geblieben. „Wo ist Ethan?“
Es brauchte eigentlich nicht mehr, als die Spur von Mitleid, die über das Gesicht des Menschen huschte. Nicht das nervöse Kneten seiner Pranken ineinander und nicht den ausweichenden Blick, der über den gedeckten Tisch wanderte, nur um den dunklen Augen Djamilas zu entfliehen. Und schon gar nicht den Tonfall, in dem er erneut die Stimme erhob. „Miss Featherstone. Es tut mir Leid..“
Der beherrschte Gesichtsausdruck am Antlitz der Dunkelhäutigen entgleiste. Ihre Knie wurden weich, sodass sie die Handflächen hinter sich aufstützen musste. Mehr hatte es nicht gebraucht, um ihren Verdacht zu bestätigen. Ihre kleine Welt über ihr zusammenbrechen zu lassen.
Er hätte ihr genauso gut ein Messer in die Brust rammen können. Sekunden dauerte es, bis sie eine Regung von sich gab und selbst dann war es nur ein fassungsloses Kopfschütteln.
„Nein..“, hauchte sie. „Nein, nein, nein. Das kann nicht sein.“ Die sonst so feste Stimme der Frau verklang tonlos in der bedrückten, verengten Kehle.
„Es tut mir wirklich Leid. Djamila, ich kam so schnell ich konnte, nachdem Ethan..“, setzte der Mann wieder an, um sich zu erklären. Ihr die Umstände mitzuteilen.
Er kam aber nicht dazu, sich auszusprechen. Ein hysterischer Aufschrei unterbrach ihn und durchschnitt die heimelige Stimme des Esszimmers. „Sei still!“ Ganz und gar nicht nach ihr selbst hörte sich Djamila selbst schreien.
„Geh‘ weg!“ Anweisungen, die sie nicht geben wollte und doch wollte sie sich vielleicht nur selbst schützen.
Zuerst machte er keine Anstalten ihren Worten Folge zu leisten. Er hatte andere Befehle und er wollte sie erfüllen. Als ihm nach einem zweiten Ansetzen der Stimme ein Glas nur knapp an der Schläfe vorbei segelte und hinter ihm klirrend zerschellte, machte er sich doch aus dem Staub. „Komm‘ nie wieder!“, schrie ihm die verzerrt hohe Stimme hinterher.
Schluchzen begann sich darunter zu mischen und die ersten Tränen rannen ihr über die Wangen. Sie hatte den Unheilsbringer vertrieben, als wollte er ihr nur einen Albtraum in den Kopf setzen, aber Djamila wusste, dass er nicht gelogen hatte. Wieso auch?
Klare Gedanken fassen konnte die Frau aber ohnehin nicht. Sobald der Mann aus der Tür war, sackte sie auf den Boden zusammen. Abendessen, Vorfreude und die Laune waren vergessen. Ihre Knie zog sie zu sich und drückte sie mit so viel Kraft an sich, wie ihre Muskeln es erlaubten. Es war kein Schluchzen, das sich ihrer Kehle entrang – viel mehr waren es in den Oberschenkeln erstickte Schmerzensschreie der inneren Zerrissenheit.
Ganz ähnlich war die Haltung in einer anderen Stadt. In einer anderen Zeit. Und es war die Haltung einer anderen Frau. Das Herz war das Selbe geblieben und es zwang sie, diese Fetzen an Erinnerung immer wieder zu erleben. Sobald ihr die Schatten im Raum gewahr geworden waren, wollte sie Feuer schüren, Kerzen entzünden.. Aber die verlockende eingesperrte Finsternis ihres Geschenks hatte sie ganz ohne eine Handlung zu vernehmen gebannt und überlistet. Zu viel Zeit hatte sie schon in der Vergangenheit verbracht.
Verlaufen war die schmuck aufgetragene Schminke um die dunklen Augen, die durch den dunklen Raum huschten. Kalt umgriff die Herbstnacht ihr Herz. Es war kein Gatte da, der ihr mit einer Kerze und einem aufmunterndem Lächeln aufhelfen würde.
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