Schritte

Fuß um Fuß.


CORNELIAS Blick war auf die ausgelatschten, dunkelbraunen Stiefel an ihren Füßen gerichtet. Früher einmal – sie war der Überzeugung, dass es schon Jahre sein mussten – war das Leder in einem schmucken Dunkelblau gehalten gewesen. Schlamm, Dreck und Staub hatten sie in den letzten Wochen allerdings umgefärbt, auch wenn ihr Gewissen sie schalt, dass sie das Geschenk schon zuvor mit zu wenig Aufmerksamkeit bedacht hatte. Ihr Vater war der Überzeugung gewesen, dass ein dunkles Blau ihr am Besten stand. Er redete immerzu davon, wie schön der Ton mit ihren Haaren und der hellen Haut harmonierte.
Vielleicht wollte er sie auch nur in wertvolle Kleidung stecken, um der Frau – endlich – einen Mann an ihrer Seite zu bescheren. ‚Fast Anfang Dreißig und nach wie vor hast Du niemanden an deiner Seite, Passerotta, wo soll das denn hinführen? Der junge Mann von gestern besaß sogar ein Gut!‘


Die Brünette musste unweigerlich schmunzeln, als die Stimme an ihr inneres Ohr klang. Die Lippen allerdings – sie schmerzten und spannten sich unter der Trockenheit. Im Nachhinein, sie musste es zugeben, hätte sie vielleicht doch lieber auf seine Worte gehört.


Schritt für Schritt.


Ein Sonnenstrahl blendete sie und raubte ihr die Geistesabwesenheit, die sie wie Watte umgeben hatte. Das Morgengrauen verzog sich. Mit ihm der Nebel, der den Kiefernwald in zart-weiches Licht getaucht hatte. Die zweiglosen Stämme boten allerdings wenig Schutz vor der aufgehenden Sonne, die ihr die Tränen in die Augen zwang. Die rehbraunen Seelentore waren von der durchgemachten Nacht empfindlich geworden.


Der Fokus wanderte über das lange blonde Haar der Frau vor ihr. Götter, war die Mähne verfilzt. Sie wusste schon, warum ihre Frisur nicht einmal mehr Schulterlänge erreichte. Gerade hier draußen musste man sich nicht alle paar Tage die Haut vom Kopf reißen, um einigermaßen gepflegt zu bleiben.


Die Stelle hier kannte Cornelia sogar. Sie war nicht zu Fuß hier gewesen. Aber es fühlte sich der Natur näher an, wie die Kiesel des Schotterwegs ihr durch die Stiefel in die Sohlen drückte. Beinahe genoss sie den Moment. In ein paar Stunden würden sie an einem See vorüberziehen. Als sie die Haare noch lang trug, war sie dort schwimmen gewesen.


Ein gleichmäßiger Marsch.


Sie spürte die einzelnen Schritte kaum mehr. Über die Phase der Anstrengung war die Fanucchi lange hinaus. Viel mehr fühlte sich die Wanderung an, als würde sie durch einen Traum wandeln. Ein Traum, der so gnädig gewesen war, ihre Beine mit angenehmer Taubheit zu umfangen.
Abgesehen von den Fersen und den Zehen. Ihre Mutter hätte sie geschimpft, als sie ohne Socken losgezogen war. Aber vielleicht hätten es die grob gestrickten Wollungetüme auch nicht besser gemacht. Dann wäre die Haut jetzt nicht nur aufgerieben gewesen, sondern auch noch mit Wollfasern verklebt. Eine Vorstellung, der sie nicht weiter nachgehen wollte.


Stolpern.


Ihre Hand zuckte aus Reflex an die Schultern, um den Riemen ihres Rucksacks festzuhalten. Mitten in der Bewegung stockte sie aber. Den kleinen Tornister mit ihrer Habe hatte sie schon vor Meilen verloren. Für ein paar Tage hatte sie den Verlust bereut. Letztendlich war ihr allerdings selbst das bisschen, das sie aus dem Haus mitgenommen hatte, vollkommen egal geworden. Sie vermisste es nicht. Und ohne eine Last auf den Schultern ging es sich wesentlich leichter des Weges.

Kommentare 3

  • *hat so seine Vermutungen* Da bin ich mal gespannt! :D

  • Hallo. Das macht aber neugierig.Und ist sehr schön geschrieben. :)

  • Oh! Mir gefällt das mit den Blöcken und den kursiven Zeilen, die sich losgelöst fast wie ein Gedicht lesen.