*Die folgende Geschichte entfällt dem Raster der Authentizität, wie dies bereits die Überschrift suggeriert und ist nicht im Kanon meiner anderen Geschichten anzusiedeln. Ferner beinhaltet sie zahlreiche Figuren, welche grob an bestimmte Rollenspielcharaktere angelehnt sind, doch von diesen inhaltlich wie konzeptionell mitunter stark abweichen und keinerlei repräsentativen Anspruch besitzen.
Kurzum: Nichts in dieser Geschichte hat Einfluss auf das gegenwärtige Rollenspiel, oder sollte so verstanden werden. Aufgrund von vereinzelt vulgärer Ausdrucksweise und angedeuteter Gewalt, liest sich das Weihnachtsspecial im Spoiler*
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„Es war einmal im Jahre 1329 nach Exodus. Die ersten Grundlagen der tyranischen Marktwirtschaft, wurden im globalen Maßstab formuliert. Im Text der krytanischen Verfassung monopolgeiler Großunternehmen, treten zum ersten mal in der Zeitrechnung Neologismen wie 'Fusion', 'Aktiengesellschaft' und 'Google Chrome' auf. Da die multinationalen Unternehmen der Sechse von ihren Prägorativen Gebrauch machen, gehen zahllose Bauernschaften, Handwerks- und Familienbetriebe in rasanter Geschwindigkeit bankrott. Sie müssen noch heute, in den Hinterhöfen der ersten Cantharestaurants, ohne Unfallversicherung und Weihnachtsgeld, mit Messern die Worte 'Made in Cantha' in qualitativ miserable Kaffeemaschinen ritzen. Die fortschreitende Urbanisierung führte zu einer Entvölkerung peripherer Gebiete, sodass sich insbesondere in Königintal und Kessex fruchtbares Land und arbeitsfähige Bauern zu bedrohten Arten avancierten.
Lehen in Kryta verloren durch diesen Modernisierungsprozess sukzessive an monetärem Wert, der Schuldenberg des königlichen Vasallen selbst wuchs ungebremst. Nach dem tragischen Tod von König Jenna und ihrem neuen Gemahl, König Spast Ete, durch einen vermeintlichen Anschlag des weißen Mantels, ergriff ein neuer König die politische Macht in Götterfels, an welchen sämtliche Leben zurückgingen. Sein Name war König Sberger Klops, der erste, von den Ministern und dem gemeinen Volk demokratisch gewählte Monarch Tyrias. Um dem Schuldenberg der Lehen zu entgehen, forderte er sämtliche Vasallen des Reiches auf, diese zurück zu erwerben, wobei weitere Kosten transaktioneller Natur entstanden. Das Vasallentum zerrieb sich. Nebst dem Klerus der Sechse hatten nur die Minister dank der Erfindung des Kreditgeschäftes hinreichendes Kapital angehäuft, um die Monopolisierung Krytas voran zu treiben. Die Schere zwischen Besitzenden und Besitzlosen öffnete sich so weit, wie noch niemals zuvor.
Doch was bedeuteten die kapitalistischen Umbrüche in den Wintertagen der Jahreszeit des Kolosses, welche man besinnlich und beschwingt im Familienkreis verbrachte? Mussten die lieben Kinder ihre Träume begraben, weil karitative Einrichtungen keine Geldmittel für Geschenke mehr erübrigen könnten und man gar des Weihnachtsmannes Schlitten und Rentiere gepfändet hatte? Wenn es nach einem kleinen, aber tapferen und vollkommen gutherzigen Weihnachtselfen ging, so würde auch die ökonomische Lage dem Weihnachtszauber keinerlei profanen Beigeschmack verleihen. Und hier setzt unsere Geschichte an.“
Die Berge an Steuererklärungen, Rechnungen und Mahnungen hatten den kleinen Weihnachtselfen an Höhe längst überrundet. Emsig, doch allmählich an den Folgen von Kostenrechnungen, Schriftverkehr und unbezahlten Überstunden verzweifelt, wühlte er sich wie ein kleiner Wirbelwind durch die Papierhaufen, die dennoch an Größe zu gewannen schienen. Der festliche Weihnachtszauber hatte die entlegene Blockhütte selbst in den Wintertagen nicht erreicht. Kein Duft von Gänsebraten, Dwaynastollen, Glühwein und gebrannten Mandeln erfüllte die Luft, Weihnachtsschmuck suchte man vergebens und auch mit den Vorbereitungen für den großen Tag, lang man hoffnungslos im Rückstand. Musste Weihnachten aufgrund dieses bürokratischen Alptraums ausfallen? Leicht ermattet blickte der Elf mit seinen blauen Augen zu seinen Händen herab, in welchem er Grundbuch und Schreibfeder hielt. Der marternde Anblick der roten Zahlen, ließ seine großen Schlappohren traurig herunter hängen, sodass ihm seine rote Bommelmütze beinahe ins Gesicht rutschte. Es war ein stiller Moment der Resignation. Doch tapfer, wie der kleine Elf war, wollte er nicht aufgeben.
Allerdings stand er alleine da. Die anderen Elfen waren zwecks besserer Besoldung andere Beschäftigungverhältnisse eingegangen. Nur er und ein anderes Helferlein waren noch zugegen, welches jedoch nicht half, sondern sich immerfort irgendwelchen Fantasien mit dem anderen Geschlecht hingab und deswegen 'Professor Promiskuitivität“ genannt wurde. Auch der Chef hatte seine Sorgen im Alkohol ertränkt und kam aus seinem Kämmerlein gar nicht mehr heraus. Angesichts der Schulden waren keine Geschenke mehr aufzutreiben. Doch aufzugeben, das kam dem tapferen, kleinen Weihnachtselfen nicht in den Sinn! Dort draußen musste es trotz der wirtschaftlichen Notlage noch immer Leute geben, welche den Sinn des Weihnachtsfestes hoch hielten den armen Kindern in einem solidarischen Gestus der Nächstenliebe, Geschenke machen würden. Zumindest, weil sie derartige 'Spenden' von der Steuer absetzen konnten.
Beflügelt von der Motivation, die anstehenden Festlichkeiten nicht ausfallen zu lassen, warf der kleine Weihnachtself sämtliche Papierberge über den Haufen und ließ diesen ökonomischen Unfug hinter sich. Es galt, ein Mirakel zu schaffen, um den weihnachtlichen Zauber zu wahren. Denn für ein Mirakel brauchte man schließlich nicht mehr, als eine brillante Idee und viel zu wenig Zeit. Beides glaubte er zu besitzen. Also suchte er unter dem brieflichen Chaos seine sieben Sachen zusammen, um sich reisefertig zu machen. Er hüllte sich seinen kleines, rotes Mäntelchen, legte die Wanderstiefel von gleicher Farbe an und ergriff einen brauen Jutesack. Die Schlappohren leicht und wärmend unter die Bommelmütze gebracht, war der kleine, tapfere Elf fertig, die Lande zu bereisen. Denn dort draußen musste es sicherlich noch genug Leute geben, welche den Sinn des Weihnachtsfestes hochhielten und ihm Geschenke für die lieben, herzlichen Kinder übergeben würden.
Freudestrahlend verließ der kleine Elf die Blockhütte, um sich unverzüglich in einem bezaubernden Wintertraum wiederzufinden. Der Schnee lag auf seiner Hüfthöhe, an den Ästen der kahlen Laubbäume glitzerte der Tau im Sonnenlicht wie ein unendlichen Geflecht von Diamanten, die Raubtiere hatten Lametta zwischen Zähnen und Fängen. Diese keineswegs romantisierte Deskription der schönen Landschaft, stand in einem dezenten Kontrast zu den Geschehnissen jenseits der Blockhütte. Denn dort hatte man das Territorium längst touristisch erschlossen, irgendwelche bescheuerte Wiesn-Folklore dudelte unablässig an der Fressbude, während etliche Pseudo-Skifahrer die Piste ruinierten, weil sie es während er Skifahrt vorzogen, irgendeinen gequirlten Stumpfsinn in ihre geklauten Smartphones zu parlieren.
Doch der kleine, liebenswerte Weihnachtself, hatte nur Augen für die winterlichen Weihnachtstraum. Er tauchte in seinem Wechselbad der Glücksgefühle unter und verblieb einige Zeit dort, ehe er sich fröhlich hüpfend auf den Weg seiner Reise machte, an deren Ende die wundervolle Stadt Götterfels ihn erwarten würde. Leicht verloren in den Tagträumereien, stimmte der kleine Elf – liebreizend wie er selbstredend war – ein heiteres Liedchen an.
„Oh ihr Elflein, hebt die Beinchen,
hüpfet über Stock und Steinchen,
hoppelt um den Ententeich,
oh ihr Elflein, tummelt euch!“
Es dauerte nicht lange, da war die Blockhütte aus der Sehweite verschwunden und ein kleines Waldstück passiert, da sah der Weihnachtself in der Ferne eine Brücke, die von Nebelschwaden umhüllt wurde. Nebelschwaden? Trotz des klaren Sonnenscheins? Während er fröhlich näher an die Brücke hoppelte und nach der Trockeneismaschine suchte, welche für den Nebel zweifelsohne kausal sein musste, erblickte er am anderen Ende des Stegs die Silhouette eine Person. Neugierig trat er näher und erkannte schließlich die Umrisse eines Hünen, gehüllt in hellblondes Fell, eine rote Mütze mit Glöckchen sowie einen albernen Wimpel am Gürtel tragend und momentan einen riesigen Spekulatius verspeisend. Spekulatius und eine rote Wintertagsmütze? Wie weihnachtlich!
„Ja, was ist denn das?“, erklang da die freundliche Säuselstimme des kleinen Elfen.
Knurpselnd und mampfend senkte der große Kerl seinen Blick, unterbrach seine Nahrungsaufnahme kurz mit offenstehendem Mund und entblößte somit eine tiefgreifende Note der Einfalt in seinen Regungen. Unverzüglich bäumte er sich furchterregend auf, stieß einen wilden, durchdringenden und markerschütternden Schrei aus, bevor er zähnebleckend dazu überging, zu dem kleinen Weihnachtselfen zu sprechen. Dabei fielen unzählige Krümel des Spekulatius aus seinem Munde und vermischten sich im Schnee zu einem Mosaik der süßlichen Reste von Leckereien.
„Halte ein, kleiner Elf, der so keck ist, meinen Steg zu betreten! Ich bin der große, furchterregende und schröckliche Brücken... Äh... Troll! Willst Du passieren, so stehe mir Rede Antwort, dann winken dir Weiterreise und eine Belohnung. Doch scheiterst Du, kleiner Elf, so werde ich...“, der halb vertilgte Spekulatius wurde mit einer überzogen demonstrativen Geste inszeniert, „... dich an Ort und Stelle auffressen!“
Tapfer bäumte sich der kleine Weihnachtself auf, wodurch er neben dem schröcklichen Brückentroll wie ein kleines Ziergewächs in der Nähe einer gigantischen Eiche wirkte. Couragiert und mit angeschwollener Brust erwiderte er den gierigen Blick des bösen Hünen, wich keinen Zoll zurück und ließ sich nicht verunsichern von seinem geifernden Keksmaul, was die bescheuerte Vorstellung von bescheuerten Klischee-Asura-Krümelmonstern dezent kontrastierte. Tapfer und mit einer gehörigen Prise Selbstbewusstsein, mit welcher der kleine Weihnachtself in keinster Weise seine nicht existente Körpergröße zu kompensieren intendierte, stieg er in das Gespräch ein.
„Oh garstig, schröcklicher Brückentroll! Stelle deine Frage, denn ich fürchte mich nicht.“ Warum sollte er auch? Schließlich war dem Elflein die Hauptstadt von Assyrien bekannt. Seine Lieblingsfarbe mutmaßlich auch. Der böse Troll lachte hämisch und entblößte damit eine umfassend tiefgründige Einfalt in seinen Zügen. Die Krümel des Spekulatius weiterhin nicht im Munde behaltend, blickte er hungrig auf den keinen Elfen hinab. „So scheitere an meinem Rätsel und sei mein Mittagsmahl kleiner Elf! Mit welchem Ball kann man gut spielen, doch er springt nicht?“
Der kleine Elf erschauderte. Was war das denn für ein beknacktes Rätsel? Es erforderte einiges an Kreativität, um sich eine derart simplizistische Frage auszudenken. Hoffentlich hatte der arme Troll dafür nicht seinen eigenen Namen vergessen müssen, um Speicherplatz im Hirn freizumachen. Dennoch tat der kleine Weihnachtself betroffen, seufzte merklich mehr mal und bückte sich in einem Anflug der Verzweiflung, um eine Handvoll Schnee zu ergreifen.
„Könnte es vielleicht... ein Schneeball sein?“, fragte der kleine Elf mit gespielter Unsicherheit, bevor der Hüne den Schneeball ins Gesicht gepfeffert bekam. Da jaulte der Brückentroll schmerzhaft auf. Wohl weniger wegen des Schneeball, als der mentalen Demütigung wegen, dass jemand sein Rätsel gelöst hatte. Mit leidendem Gesichtsausdruck, zog er sich einen Plastikring vom Finger und reichte diesen niedergeschlagen dem kleinen Elf: „Du darfst passieren... Weißt Du eigentlich, wie viele Ringe ich diese Woche schon verschenkt habe?!“ Er hatte Geschenke gemacht? Wie weihnachtlich! Und so der kleine, niedliche Elf die Reste des Spekulatius betrachtete, glaubte er, der böse Troll habe an Schmuck keinen Mangel. Freudig nahm er den Ring entgegen und verstaute ihn in seinem Jutesack. Kurz danach war er wieder in seinem winterlichen Traum gefangen und setzte seinen Weg abermals hüpfend fort.
Es dauerte nicht lange, da hatte der kleine Elf dichtend und fröhlich ein kleines Waldstück erreicht. Kurz sah er sich nach dem besten Weg um, dann geschah es. Zwei dunkle Silhoutten, welche hinter einem Busch gelauert hatten und nun hervorsprangen, verdichteten sich zu den Gestalten zweier rauflustiger Mordbuden. „Ja, was ist denn das?“ Der Elf hielt inne, wich aber tapfer nicht zurück und bedachte beide eines entschlossenen Blickes, während die beiden Gestalten einen emsig einstudierten Spruch vortrugen.
„So bleib er stehen, der böse Schelm!“
„Wir rauben Euch aus, bis auf den Helm!“
„Ihr habet Reichtum, wie ich hoffe!“
„Juwelen und die feinsten Stoffe!“
„Ein groß' Anwesen, ein schönes Pferd!“
„Aktien in hohem Wert!“
„Ein geleaster Pferdewagen!“
„Testamente und Privatklagen!“
„All das geht von nun an uns!“
„Also her damit, Ihr... Äh... ich hab den Rest vergessen...“
Festen Standes und Blickes lauschte der kleine Elf den Worten der beiden, bösen Halunken und besah sie dabei genauer. Von Anonymität schienen die hiesigen Wegelagerer nicht viel zu halten. Beiden trugen rote Wintermützen, welche mit weißen Schriftzügen besehen waren. Auf der Mütze des Rechten war der Name 'Billy' inskribiert, auf jener des Linken prangerte 'Clodiver'. Abgerundet wurde ihr Erscheinungsbild weniger von den wilden Gesichtern und den bedrohlichen Mordbwerkzeugen, die dem kleinen Elfen entgegen gehalten wurden, sondern von ihren bezaubernden Rentierpullovern. Wie weihnachtlich! Und da prangerte doch auch ein Schriftzug auf den Pullovern selber... #TeamWM? Nun, der Elf wusste nicht, was dies seltsamer Schlüssel bedeuten möge, doch er trat beiden üblen Schurken fest Entschlossen gegenüber und ripostierte ihre Keckheit mit poetischer Wortgewalt.
„Ihr üblen Räuber! So ziehe ich die Nase kraus,
und hole blitzgeschwind die Schrotflinte heraus!“
Beide Banditen glotzten so blöd wie man eben glotzte, wenn man schlussendlich realisierte, dass man mit einem lächerlichen Langdolch zu einer Schießerei erschienen war. Doch die späte Einsicht milderte den Schmerz nicht, welcher durch die Schrotkugeln entstand, die beiden um die Ohren flogen.
„Leise und sacht beuge ich mich herab,
und säge dem Rechten seine Schmutzfüße ab.“
Billy wusste nicht recht, wie ihm geschah. In jedem Fall dürfe er jetzt die Invalidenkasse beanspruchen dürfen. Nicht.
„Dich anderen ergreife ich sanft an seinem Schopf,
und versenke ein Handbeil in deinem Kopf.“
Clodiver fiel ebenfalls, als sich das weniger weihnachtliche Werkzeug in seine durchaus weihnachtliche Mütze bohrte. Und so ließ er die beiden Mordbuden am Wegesrand liegen. Nicht jedoch, ohne vorher ihre Mordwerkzeuge in seinem Jutesack zu verstauen und somit als Präsente zu konfiszieren. Schließlich wollte der gutmütige Elf in keinem Falle, dass sich hier noch jemand verletzte. Denn es war Weihnachten. Bevor er seinen Weg freudestrahlend fortsetzte, wünschte er beiden Liegenden noch besinnliche wie schöne Feiertage und hoppelte auf dem Waldstück heraus, an dessen Ende sich ein Gasthaus am Wegesrand, durch Kaminrauch angekündigt hatte.
„Ja, was ist denn das?“, erklang da wieder die liebliche Säuselstimme des Weihnachtselfen.
Er kämmte seine leicht verrutsche Bommelmütze mit den klauenartigen Fingern wieder hinter die Mütze und näherte sich dem einladend wirkenden und sehr festlich geschmückten Haus, welche auch aus Lebkuchen hätte sein können. Wieso ausgerechnet Lebkuchen? Vielleicht weil es so herzig zuckersüß aussah, vielleicht weil es dem indigenen Habitus der Betreiber entsprach, oder weil der Elf seine rosarote Weihnachtsbrille nicht abzunehmen vermochte? Langsam und mit staunend geöffnetem Mund näherte er sich der Türschwelle und las den Namen des Hauses, auf dem der Weihnachtszauber lag. Dieser rang ihm ein ausuferndes Lächeln ab und erinnerte den Elfen – wundersamerweise – an den Großkreis an der Himmelskugel, welcher durch Zenit, Nadir und die Himmelspole verlief. Freudig trat der kleine Elf ein und sein Herz machte ähnlich hohe Sprünge wie er bei der Fortbewegung, als er das innere Geschehnissen mit seinen freudestrahlenden, blauen Augen bezeugen konnte.
Der Geruch von Tee und Glühwein lag in der Luft, was beileibe nicht der einzige Eindruck war, welche die festliche Stimmung auf den Zenit zu bringen vermochte. Weihnachtsengel befanden sich in dem größeren Haus und schienen den unterschiedlichsten Tätigkeiten nachzugehen. Während die kleinen Füßchen den Elfen langsam in Richtung des Verkaufstresen voranschreiten ließen und er dabei einen wohlschmeckenden Vince-Minz-Kaugummi gegen die Reste jenes Arla-Kekses zwischen seinen Zähnen in den Mund nahm, beobachtete er zwei blonde Weihnachtsengel beim musizieren. Er schloss kurz die Augen, um die Nuancen ihres Oratoriums in vollen Zügen genießen zu können, wie ein Gourmet die Weihnachtsgans.
„Fick dein' Tanktop, Sooci macht den Bank Job,
Qayy wird gefickt - es ist one night in Bangkok...“
Rhythmisch und taktvoll bewegte der kleine Weihnachtself seine Hände auf und ab, versuchte im Strom des musischen Flusses mit zu schwimmen. Es klang, in seinen großen Schlappohren, in jeder nur erdenklichen Hinsicht herrlich.
„...Es ist mitten in der Nacht, ich bin draußen,
Deppenrap, blondes Haar, starrend blaue Augen...“
Diese poetische Wortgewalt! Diese lyrische Omnipotenz! Dieses einzigartig brillante und geniale Reimschema! Die Engel reimten 'Bank Job' und 'Bangkok' – was immer jene Neologismen auch zu bedeuten hatten und 'draußen' auf 'Augen'! Dem kleinen Elfen gingen die Superlative für dieses Momentum der Kreativität und Unerreichbarkeit aus. Leise stimmte er in das weihnachtliche Lied mit ein und sang, ohne die Blondinchen in ihrer Harmonie zu stören.
„Sag', was willst Du machen, wenn ich zu 'nem Asura mutier'?
Ich beiß' deine Maid und dein Vater hängt beim Golfturnier...“
Er fand sich schließlich überglücklich am Verkaufstresen ein, den ein elonischer Teekoch, der nicht im mindesten griesgrämig dreinschaute, scheinbar hütete wie seinen Augapfel. Zumindest, wenn er nicht gerade wen am Schlafittchen packte, um ihn daran herauszuwerfen. Aber so liebenswert wie der wirkte, hätte ihm das der kleine Weihnachtself auch nicht zugetraut. Insbesondere nicht wegen der roten Plastikkugel, welche ihm auf der Nase saß. Enthusiastisch und beschwingt schilderte der Elf dem Koch sein Vorhaben, bat um eine Gabe als Geschenk und bestellt einen fruchtig-heißen Glühwein. Während er darauf wartete fuhren seine strahlenden Augen wieder durch das Geschäft und sein Kaugummi entfaltete einen herrlich Geschmack von Pfeffervince im Mund. Vielleicht auch von Pfefferminz.
Dabei fiel sein Blick nach oben, wo ein anderer, jedoch dunkelhaariger Weihnachtsengel – dem man aufgrund seines Aussehens niemals zutrauen würde, etwas anderes zu sein als liebevoll und gütig – sich eines anderen Gastes annahm. Jener Gast hatte eine auffällige Lockenfrisur, welche gar derart gigantisch erschien, als hätte er einen ungeschorenen Königspudel operativ mit seinem Kopf verbunden. Seine dunkle Haut, die ein wenig – eigentlich sogar sehr – unnatürlich erschien, verlieh ihm im Kerzenschein dieses herrlichen Hauses den Charme einer ge- oder verbrannten Mandel. Wie weihnachtlich!
„Scheiße! Punkt eins, wenn ich was ordentliches haben will, wieso ist meine scheiß' Bestellung dann verdammt nochmal nicht da, wenn ich verdammt noch mal sage, dass sie da zu sein hat? Punkt zwei, warum hat dieses Scheißhaus keinen scheiß Briefkasten und wieso muss ich mein scheiß Anliegen bei dem scheiß Teekoch machen? Das ist ja wohl der Mörderscheiß! Ich werde hier gleich wahnsinnig! Scheiße!“
Der kleine Elf bemerkte, dass der so nett und vor allem keineswegs skurril aussehende Mann scheinbar ein paar Funken Glück brauchte. Idealerweise in Form von Marzipan, der klebrig genug sein sollte, um sein Mundwerk hermetisch zu versiegeln, dem so viele Obszönitäten entwichen und das weihnachtliche Ambiente störten. Doch der gute Weihnachtsengel nahm sich des Brausekopfes – oder Lockenkopfes mit dem aufbrausenden Temperament – mit unschuldiger Miene an, legte ihm sanft einen Finger auf die Lippen und kam ihm nahe.
„Shhh... Bist du nicht besser als das?"
„SCHEIßE, NEIN! BIN ICH NICHT!“
Den Glühwein bereits abgöttisch genießend, beobachtete der glückliche, kleine Weihnachtself, wie der Brausekopf von dem Engel sanft an die Hand genommen wurde und in einem der Zimmer verschwand. Es war so liebevoll, sich ihm trotz seiner Worte freundlich anzunehmen. Die Türe wurde geschlossen und ein dumpfer Knall ertönte. Weihnachten war schließlich das Fest der Liebe. Oder der Nächstenliebe. Oder auch der körperlichen Liebe. Dass der Knall nicht durch ein spezielles Abspritzgerät, sondern von einem anderen Gerät hervorgerufen worden sein könnte, drang natürlich nicht in das weihnachtliche Weltbild des kleinen Elfen vor.
Kurzzeitig wurde er von seiner sehr höflich wirkenden Dame mit einer Maske abgelenkt, bevor er von dem liebenswerten Teekoch tatsächlich eine Gabe erhielt, die er seinen Geschenken hinzufügen konnte. Mit offenem Mund starrte er begeisterst auf das größere Säckchen, gefüllt mit getrockneten und zerkleinerten Harzblüten, die sich zweifellos als vorzügliche Backzutat eignen würde. Vielleicht auch als Beilage um Weihnachtstee? Freudig verstaute der Elf die Kostbarkeit in seinem Jutesack, während er tausende Danksagungen an den Teekoch aussprach, seinen Glühwein mit einem genussvollen Seufzer austrank und sich hernach zum Aufbruch bereitmachte. Der Duft, die musizierenden Engel, die lustige Maskerade und der ganze Schmuck ließen keinerlei Zweifel daran, dass in diesem Haus alles echt war. Überhaupt kein Schein und kein Trug lagen auf diesem Ort danieder, wie ein schmutziges Leichentuch. Herrlich.
Die winterliche Sonne begrüßte den Elfen und strahlte ihm warm Gesicht, als er das Haus mit einem Lächeln verließ. In der Ferne ließ sich Götterfels erkennen, doch die Hälfte des Weges lag ja noch vor ihm. Daher hüpfte er weiter durch den Schnee, fröhlich und gespannt, was ihn wohl noch erwarten würde.
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