Mit gesenktem Haupt und die Hände tief in die Taschen des
viel zu großen und abgetragenen Mantels gestopft schlurfte sie durch die
dunklen Straßen. „Kein Erfolg heute“ dachte sie missmutig und das Mädchen hatte
ein bestimmtes Ziel. Wie immer, wenn es nicht reichte um sich in einer billigen
Absteige ein Zimmer zu nehmen, führte ihr Weg sie zu ihm. Sie verabscheute ihn,
aber sie hatte die Wahl: Die Nacht im kalten und peitschenden Regen und mit
leerem Magen, oder sich begrabschen lassen, aber dafür weich und warm in einem
sauberen Bett und mit gefüllten Magen verbringen. Sie war zu spät dran für die
Obdachlosenunterkunft und außerdem beklaute man sich dort auch noch
gegenseitig. Alle geschützten Plätze der Stadt waren bereits belegt und so
stapfte sie durch die Pfützen der Straßen, um zu seinem Haus zu gelangen.
Er würde wieder verlangen, daß sie badete und dann sollte
sie sich zu ihm legen. Wenn sie an seine fleischigen Finger und sein rosafeistes
Schweinegesicht dachte, wurde ihr schlecht. Das Mädchen hielt an einer
Häuserecke und versuchte verzweifelt die aufkeimende Übelkeit zu unterdrücken. “Scheiße…“
keuchte sie und hielt sich den schmerzenden und sich unter ihrem Würgen
krümmenden Leib. „Tief Luft holen…atme…“ hämmerte ihre eigene Stimme in ihrem
Kopf „Beruhig dich, Augen zu und durch.“ Doch sie wollte sich nicht beruhigen.
Die schmale Gestalt sank auf ihre Knie und schluchzte. Ein Bild des Jammers im
kalten Regen bot sie. Plötzlich durchfuhr ein Ruck den kleinen Körper und das
Mädchen reckte trotzig ihr Kinn. “Nein!“ Erst war ihr gar nicht bewusst, daß sie dieses
eine Wort laut ausgesprochen hatte und mit Verwunderung wiederholte sie es
gleich noch einmal. Und wieder und wieder, bis es klar und fest über ihre
Lippen kam. “Nein!“ Es war wie ein Befreiungsschlag und sie sprang auf ihre
Füße zurück.
Festen Schrittes steuerte sie auf sein Haus zu und klopfte
an der Tür. Es dauerte eine Weile, bis der Hausdiener öffnete. Ohne ein Wort ließ er sie ein und das Mädchen stiefelte
direkt die Treppe hinauf. Vor der Tür zu seinen Gemächern blieb sie stehen,
straffte die Schultern und trat ein. Sie dachte nicht im Traum daran
anzuklopfen wie sonst, sondern betrat das Zimmer als wäre es das Selbstverständlichste
der Welt. Er saß noch an seinem Sekretär und gerade als er ansetzen wollte sie
zurecht zu weisen, hob sie die Hand. Kurz war sie erstaunt, daß er tatsächlich
schwieg, dann fing sie sich und sah ihn mit festem Willen in den blauen Augen
an. „Nie wieder wirst du mich anfassen. Du wirst niemals wieder etwas von mir
verlangen. Ich brauche dich nicht. Ich werde meinen Weg gehen und ich schaffe
es ganz allein!“
Sie stand wieder im Regen und grinste zufrieden vor sich
her. Wie ein Fisch auf dem Land hatte er nach Luft geschnappt und einen
hochroten Kopf bekommen. Sie hatte kurz gedacht, er würde gleich tot umfallen,
den Gefallen tat er ihr aber nicht. Sie griff in ihre Manteltasche und zog
zufrieden lächelnd die goldene Taschenuhr hervor. Es war das letzte Mal daß sie
etwas gestohlen hatte. Das wusste Arlassia zu diesem Zeitpunkt jedoch noch
nicht.
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