Eisenhut, Baldrian und Hopfen brachte der Bär mit zum Schrein des Wolfes, als er am frühen Abend zurückkehrte. Er hatte den Splitter des verdorbenen Eises weiter gegeben, sodass dieser nie wieder Schaden an Unschuldigen anrichten konnte. Und doch war das Gesicht des Dunklen von Sorge durchzogen. So stand er nun vor dem Totem eines Geistes, welcher nicht sein Leitgeist war und sah auf die Schlafstelle, die mit Fellen ausgekleidet worden war. Um sie herum standen viele Kerzen, die ihren feurigen Schein in die Dämmerung strahlten und ihr flackerndes Licht auf die junge Norn warfen, die auf der Schlafstätte lag. Das schneeweiße Haar hing ihr halb ins Gesicht, worauf er es mit einer zärtlichen Geste hinter ihre Ohren strich. So begegneten sich ihre Blicke für einen Moment lang, ehe der Schamane des Wolfes ihr einen Becher reichte.
Seit der Splitter aus ihrem Körper entfernt war, hatte sie zwar an Kraft gewonnen, doch würde sie dennoch vergehen wie eine Blume die man einfach pflückte. Das wussten sie. Wolf und Bär. Schluck um Schluck trank sie den Tee, bis der Becher gänzlich geleert war und ihr Atem beruhigte sich dadurch stetig mehr. Der Schwarzbär kniete sich nahe ihres Kopfes auf den Grund und hob ihren Oberkörper etwas an. Keiner sprach ein Wort, als der Wolf kam und dem Bären den zweiten Becher mit einem weiteren Sud reichte. Es dauerte noch eine kleine Weile, ehe der dunkle Schamane der jungen Norn das Gebräu einflößte, bevor sie vollends in einen tiefen Schlaf fiel. Als auch dieser Becher geleert war, bettete Gernar den Kopf der Jungnorn auf dem Fell und zog sich ein Stück weit zurück.
„Ihr Geister der Wildnis“, sprach Hogni dann, „wir schicken heute euer geliebtes Kind zu euch. Ihr Name war Lumi. Und wir bitten euch, sie in euren Armen zu empfangen wie ein Kind von seiner liebenden Familie empfangen wird.“
Ihr Atem verlangsamte sich stetig, während die beiden Schamanen, schwarz und weiß, nebeneinander saßen und ihren Tod begleiteten. Sie schwiegen sich dabei an, harrten in ihren eigenen Gedanken aus.
Es war mitten in der Nacht, als der Norn mit der schwarzen Haut vor hohen Flammen stand, die bis in den Nachthimmel zu reichen schienen. Sie leckten an dem Leichnam der jungen Norn und fraßen ihn nach und nach auf. Schweigend harrte er aus, in einer Wolke aus Rauch, Hitze und dem beißenden Geruch von verbrennendem Fleisch. Als würde er sich damit selbst strafen wollen. Doch er war es ihr schuldig. Sie hatte es verdient, dass Rabe ihre Seele ergriff und sicher in die Nebel geleitete. Er gab sich die Schuld an dem, was ihr widerfahren war, hatte er sie schließlich in die Nebel gebracht. Der Preis, den sie dafür bezahlt hatte, war um ein Vielfaches höher gewesen als der, den er hatte zahlen müssen. Sie hatte nicht nur ihre Stimme verloren, sondern letztlich auch ihr Leben. Die Diener des Drachen würden dafür bezahlen. Er war gewillt, sie zu finden und auszumerzen. Nichts anderes hatten sie verdient.
„Auf bald, Kind der Geister. Wir werden uns in deiner Heimat wieder sehen... in unserer aller Heimat.“
Und als am frühen Morgen die letzte Glut in dem Haufen aus Asche erlosch, da schob der Norn vorsichtig seine Hände in die Asche und warf sie Teil um Teil in den frischen, rauen Wind der oben auf dem Gipfelplateau aufkam. Als hätten die Naturgeister gespürt, dass sie an diesem Morgen gebraucht wurden.
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